# taz.de -- Alternative Kultur in Köln: Die Mädels von der Baustelle
       
       > Mitten in Köln-Kalk haben vier junge Frauen einen Ort für alternative
       > Kultur aus dem Boden gestampft. Ihr Motto: Einfach machen.
       
 (IMG) Bild: Den Arsch hochkriegen, „machen“ – diese Wörter benutzen die vier Frauen oft.
       
       KÖLN taz | Schorsch Kamerun ist schuld an der [1][Baustelle Kalk]. Als der
       Hamburger Regisseur mit 50 Freiwilligen am Kölner Schauspielhaus „Der
       entkommene Aufstand“ inszenierte – zu den Themen Unzufriedenheit und
       Protest –, da folgten Meryem Erkus und Nicole Wegner seinem Aufruf und
       wirkten bei dem Projekt mit.
       
       Gekannt haben sich die beiden jungen Frauen vorher nicht, teilten aber
       dieselbe Unzufriedenheit mit der Kölner Kulturlandschaft. Unzureichend
       waren ihrer Meinung nach die Plattformen für Bands und Künstler, die
       nirgendwo hineinpassen, weil sie zu sperrig sind, zu abgedreht, zu
       unbequem, zu klein oder zu laut.
       
       Erkus und Wegner wollten das ändern. Und stellten fest: Sie waren schon
       Nachbarn, wohnten in derselben Straße in Kalk. Kurzerhand mieteten sie ein
       Erdgeschoss mit Hinterhofschuppen an, in das eigentlich ein Wettbüro
       einziehen sollte.
       
       In Kalk.
       
       Seit Jahren schon erzählt man sich in Köln, dass dieser sogenannte soziale
       Brennpunkt auf der rechten Rheinseite das nächste coole Viertel wird. In
       der Tat ziehen viele junge Kreative dorthin, angezogen von multikultureller
       Atmosphäre, niedrigen Mieten und den wenigen schönen Altbauten, die den
       Krieg überlebt haben. Hohe Arbeitslosigkeit und viel Kriminalität sorgen
       für den schlechten Ruf des Viertels, sauber ist es in Kalk nur bedingt. Und
       doch atmet der Stadtteil einen aufregenden Vibe: Hier leben die
       unterschiedlichsten Kulturen miteinander, Künstler und Studenten bereichern
       das Viertel kreativ.
       
       ## Ein Raum, der gefehlt hat
       
       Das Eingangstor in der Kalk-Mülheimer Straße 124 schließt nicht richtig.
       Über einen Hinterhof gelangt man zu einer alten Dachdeckerwerkstatt: der
       „Baustelle Kalk“ von Erkus, Wegner und ihren Mitstreiterinnen. Keine 60
       Quadratmeter ist der Raum groß, die Wände sind unverputztes Gemäuer, der
       Boden zeigt Risse. Zur improvisierten Einrichtung gehört eine alte
       Badewanne, aus Paletten haben sie eine kleine Bühne gebaut. Hier werden
       Konzerte und Lesungen veranstaltet, Ausstellungen, Filme und
       Rauminstallationen gezeigt. Do it yourself im besten Sinne: chaotisch,
       unabhängig und aufregend. Mit Platz für 120 Leute.
       
       An einem verregneten, kalten Januartag vor gut einem Jahr eröffnete die
       „Baustelle Kalk“ mit einem Kurzfilmfestival. Nicht alle Besucher fanden
       Platz auf den zusammengewürfelten Stühlen und Decken, irgendwann passte
       auch stehend niemand mehr rein. In einen Veranstaltungsraum, der bis dato
       gänzlich unbekannt gewesen ist. Er scheint den Kölnern gefehlt zu haben.
       
       Als die Brooklyner Experimental-Noise-Band „Black Dice“ hier spielte, war
       die „Baustelle“ ausverkauft. Das feministische Missy Magazine veranstaltete
       eine Lesung zum Thema „Streberinnen und Nerds“, es gab einen
       Kleidertausch-Flohmarkt und einen Comic-Workshop. Der Raum war schon als
       Wald verkleidet, als Unterwasserwelt und weiß verhüllt.
       
       Kommerziell organisiert ist die „Baustelle Kalk“ nicht. „Wir wollen Kultur
       leicht zugänglich machen“, sagt Meryem Erkus. Die Eintrittspreise sind so
       niedrig wie möglich.
       
       ## „Schnickschnack-Beauftragte“
       
       Organisiert wird die „Baustelle Kalk“ mittlerweile als eingetragener
       Verein. Meryem Erkus ist die erste Vorsitzende, ihre Stellvertreterin
       Nicole Wegner bucht die Bands. Meryem Erkus Schwester Fatma ist
       Schatzmeisterin und die „Schnickschnack-Beauftragte“ Janina Warnk gestaltet
       den Raum künstlerisch. Sie nennen sich „die Mädels von der Baustelle“, sind
       Mitte bis Ende zwanzig und machen das Ganze ehrenamtlich. Die
       Erkus-Schwestern und Janina Warnk studieren eigentlich, Nicole Wegner macht
       Filme.
       
       „Machen“, dieses Wort benutzen die vier Frauen oft, wenn sie den Erfolg der
       „Baustelle Kalk“ erklären wollen. Sie meinen damit: Du musst deine gute
       Ideen nicht nur haben, sondern sie in die Tat umsetzen. „Den Arsch
       hochkriegen“.
       
       Die Seiten für die nächsten Tage und Wochen in Meryem Erkus’ Kalender sind
       vollgeschrieben. Alles Termine für die „Baustelle“. Auch das Mailpostfach
       quillt über. „Wir bekommen viele Anfragen von Bands“, sagt Nicole Wegner,
       „doch als Ehrenamtliche können wir das gar nicht alles stemmen. Die
       abgesagten Bands fragen mich oft, ob ich sie weiter verweisen kann, aber
       leider gibt es in Köln immer noch sehr wenige kleine Konzertlocations.“
       
       Den Arsch hochkriegen, vielleicht ist das doch nicht so einfach.
       
       ## Kein guter Umgang mit Kultur
       
       Dabei ist privates Engagement gerade in Köln immens wichtig. Denn die alte
       Stadt am Rhein ist nicht bekannt für ihren guten Umgang mit Kultur:
       Theaterintendantin Karin Beier, die das mittelmäßige Kölner Schauspielhaus
       so belebte, dass es zweimal in Folge zum Theater des Jahres gekürt wurde,
       wechselt nach unendlichen Grabenkämpfen mit sturen Stadtpolitikern nach
       Hamburg.
       
       Das Open-Air-Künstlerareal Odonien stritt mit der Stadt ellenlang über
       dessen Rettung. Die Szeneclubs Sensor und Papierfabrik wurden abgerissen,
       und das Underground, die altehrwürdige Institution im alternativen Kölner
       Nachtleben, soll einer Shopping-Mall weichen. Und immer wieder rückt das
       Ordnungsamt aus, um Ruhe wiederherzustellen – auch zu den absurdesten
       Orten, ganz ohne Anwohner in der Nähe.
       
       Dieses Problem hat die „Baustelle“ nicht, obwohl sie im Erdgeschoss eines
       Wohnhauses liegt. Das Publikum hat schnell verstanden: Früh zu kommen ist
       angesagt, denn um 22 Uhr sind die Konzerte vorbei, und danach ist auch auf
       dem Innenhof rumzustehen nicht mehr drin. Das Risiko, es sich mit den
       Nachbarn zu verscherzen, ist zu hoch.
       
       ## Kulturaustausch nach Istanbul
       
       Denn die vier Mädels haben noch viel vor. Unter dem Titel „Istanbul, Kalk!“
       und finanziert vom Kultursekretariat des Landes NRW fliegen sie am 23.
       Februar für einen Kulturaustausch nach Istanbul: Mit Kölner Musikern und
       DJs gestalten sie einen Abend in einem Istanbuler Club. Im März kommen die
       Poptheoretiker des Magazins Testcard zur Lesung. In den Osterferien wird
       die „Baustelle“ mit Kursen, Workshops und Vorträgen von Noise-Rock aus den
       USA bis Quantenphysik zur Ferienschule.
       
       So langsam entdecken auch andere Kölner Künstler die „Baustelle“ für sich.
       In Kollaboration mit der Galerie „Halle der vollständigen Wahrheit“ zeigt
       die „Baustelle“ im April Werke portugiesischer Künstler. „Als jemand, der
       selbst in Kalk wohnt, schätze ich jeden Funken Kultur, der hier gepflanzt
       wird, denn das verlangt Mut und Abenteuerlust“, sagt „Halle“-Galerist Malo
       Neumann. „Zählt man noch dazu, dass die Mädchen zur Realisierung ihrer
       Projekte fast bis zur Selbstaufgabe Herzblut investieren, muss man entweder
       blind sein oder Angst vor Brücken haben, um das zu ignorieren.“
       
       Auch der Kölner Musiker Albrecht Schrader, der im Mai eine Veranstaltung in
       der „Baustelle“ organisiert, schätzt den neuen Kunstort: „Die Baustelle hat
       sich etwas von der Naivität und der Begeisterungsfreude kindlicher
       Spielnachmittage und Sandkastenwelten beibehalten. Das ist im städtischen
       Kulturbetrieb eine große Ausnahme.“
       
       ## Das erste Jahr überlebt
       
       Ein eisig kalter Tag Ende Januar 2013, in Kalk liegt Schnee. Die Mädels
       haben unzählige Luftballons aufgehängt, in der Baustelle ist es warm, was
       daran liegt, dass wieder viele Leute gekommen sind. Unter der vormals
       ausrangierten Discokugel pustet „Touchy Mob“ in eine Luftschlange und hängt
       sie sich um den Hals. Den Applaus widmet der Berliner Künstler der
       „Baustelle Kalk“. Es ist ihr erster Geburtstag. Es wird darauf angestoßen,
       wie viel geiler subkultureller Content ihnen hier im letzten Jahr geboten
       wurde. Genauso feiernswert ist aber, dass die „Baustelle“ es tatsächlich
       geschafft hat, das erste Jahr zu überleben.
       
       „Wir haben bisher immer die Miete zahlen können“, sagt Meryem Erkus. Dann
       muss sie kurz nachdenken, doch ja, es ist wahr: Sie haben es jeden Monat
       irgendwie hinbekommen. Und wenn sie sich eins wünschen dürften, sagen die
       Mädels, dann ist das ein Auftritt von Schorsch Kamerun. Denn der hat das
       alles schließlich überhaupt erst ins Rollen gebracht.
       
       30 Jan 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://baustellekalkpost.blogspot.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benjamin Weber
       
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