# taz.de -- Kommentar 30-Stunden-Woche: Notwendiges Schmuddelkind
       
       > Die 30-Stunden-Woche könnte die Arbeitslosigkeit senken. Eine Debatte ist
       > überfällig, die Gewerkschaften müssen sich des Themas annehmen.
       
       Die [1][Forderung nach einer 30-Stunden-Woche] bei vollem Lohnausgleich ist
       wie ein Schmuddelkind, das sich auch die Gewerkschaftsspitzen vom Hals
       halten wollen: Haben wir probiert, hat nicht geklappt, unrealistisch, heißt
       es.
       
       Die Beschäftigtenvertreter haben mit dazu beigetragen, dass der Ruf nach
       Arbeitszeitverkürzung desavouiert ist. Nicht nur, weil die IG Metall die
       Kräfteverhältnisse, auch in den eigenen Reihen, 2003 falsch einschätzte und
       in Ostdeutschland der Streik für die 35-Stunden-Woche schmerzhaft
       scheiterte. Sondern auch, weil sie beim Abschluss der 35-Stunden-Woche in
       der westdeutschen Metallindustrie nicht an die Möglichkeit dachte, dass die
       Unternehmen mit Arbeitsintensivierung kontern würden.
       
       Trotzdem ist die Debatte notwendiger denn je. In Deutschland ist die Zahl
       der Arbeitslosen deutlich höher, als es die offizielle Statistik zeigt. Und
       in Europa werden in rasantem Tempo immer mehr Menschen vom Arbeitsmarkt und
       von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen und auf defizitäre
       Sicherungssysteme verwiesen.
       
       Die hohe Arbeitslosigkeit ruiniert wiederum die Sozialsysteme weiter. Der
       Gegenentwurf wäre es, die Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen. Das kann
       funktionieren. In Frankreich entstanden nach Einführung der
       35-Stunden-Woche rund 350.000 neue Arbeitsplätze. Und auch diejenigen, die
       sich nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie sehnen, würden
       profitieren.
       
       Doch vor allem die Arbeitgeber sträuben sich. Direkt im Betrieb würde es
       sie nicht mehr kosten, haben Wissenschaftler erneut vorgerechnet. Doch da
       sind ja noch die indirekten Folgen: Würde die industrielle Reservearmee der
       Arbeitslosen reduziert, stiege die Verhandlungsmacht der Beschäftigten. So
       wäre es leichter, Lohnerhöhungen durchzusetzen, die tatsächlich den
       verteilungsneutralen Spielraum, also die Raten von Preis- und
       Produktivitätssteigerungen, ausschöpfen. Mehr Geld in der Hand der
       Beschäftigten würde dabei die Binnenmärkte ankurbeln, statt – in der Hand
       der Unternehmer – in die Finanzmärkte abzufließen.
       
       Doch hier beginnt der Teufelskreis. Schon zur Durchsetzung der
       Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist es nötig, den erwähnten
       Verteilungsspielraum auszuschöpfen. Sonst zahlen die Beschäftigen drauf.
       Genau dafür aber fehlt den Gewerkschaften die Stärke. Es braucht also
       gesamtgesellschaftlichen Druck. Aber es braucht auch Gewerkschaften, die
       davon ablassen, sich hinter angeblich so unwilligen Beschäftigten zu
       verschanzen, sondern deren Spitzen aufklären und die Diskussion suchen.
       
       11 Feb 2013
       
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