# taz.de -- Helmut Schleich erhält Kleinkunstpreis: Franz Josef Strauß ist auferstanden
       
       > Helmut Schleich spielt den bayrischen Mythos „FJS“. Der Kabarettist macht
       > das so gut, dass er dafür ausgezeichnet wird und Angst vor seiner Figur
       > hat.
       
 (IMG) Bild: Helmut Schlech (l.) als Franz Josef Strauß.
       
       SCHONGAU taz | Im Haus gegenüber soll er gewohnt haben: Franz Josef Strauß,
       viermaliger Bundesminister, zuerst für besondere Aufgaben, dann für
       Atomfragen und später für Verteidigung und Finanzen, 1980 Kanzlerkandidat
       der CSU und bis 1988 bayerischer Ministerpräsident. Das behauptete
       zumindest Helmut Schleichs Großvater.
       
       Seit 25 Jahren hat der Kabarettist das Haus seiner Großeltern im
       oberbayerischen Schongau, in dem er die ersten Jahre seines Lebens
       verbracht hat, nicht mehr besucht. Heute wohnt dort jemand zur Miete.
       Schleich kann also im winterlichen Nieselwetter nur einmal quer durch den
       bemoosten Garten staksen, das kleine Häuschen, die knorrigen Obstbäume und
       den Holzschuppen umrunden und seine Erinnerungen von draußen
       rekapitulieren.
       
       „Mein Großvater war ein glühender Strauß Verehrer“, sagt Schleich. „Ich
       habe das Königsgebaren um seine Figur also quasi mit der Muttermilch
       aufgesogen.“ Vom Garten aus zeigt Schleich auf ein einstöckiges,
       schmutzig-graues Mietshaus auf der anderen Straßenseite. „Er hat immer
       behauptet, dass er da drüben gewohnt haben soll.“ Nach dem Zweiten
       Weltkrieg müsste das gewesen sein.
       
       Wegen seiner Englischkenntnisse wurde Strauß damals von der amerikanischen
       Besatzungsmacht zum stellvertretenden Landrat des Landkreises Schongau
       bestellt. „Assistant Landrat“, nuschelt Schleich, wie ein angetrunkener GI.
       Ob Strauß wirklich einmal ein Nachbar war, lässt sich nicht mehr
       nachvollziehen. Die Straße trägt heute einen anderen Namen. Letztlich ist
       das unerheblich. Die Figur des Franz Josef Strauß lässt den Kabarettisten
       auch so nicht los.
       
       Wenig später parkt Schleich seinen Wagen am Schlossplatz. Dort, neben dem
       Landratsamt Weilheim-Schongau, thront die Büste des ehemaligen
       Ministerpräsidenten auf einer übermannshohen Säule mit Rautenmuster aus
       rotem Granit. „Roter Granit“, sagt Schleich auf die Sozialdemokraten
       anspielend, „pikant, jetzt, wo er sich nicht mehr wehren kann.“ 25 Jahre
       wird es im Oktober her sein, dass Franz Josef Strauß, der 1988 auf der
       Hirschjagd bewusstlos zusammenbrach, das Zeitliche segnete. Je länger er
       tot ist, umso größer und überragender erscheint der Mythos, der sich in
       Bayern um FSJ rankt. Für den Kabarettisten ist das ein Glücksfall.
       
       ## Levitenlesen mit Doppelkinn
       
       „Los ging alles mit dem Abstieg vom Stoiber“, sagt Schleich. „Als die CSU
       bei der Wahl 2008 die absolute Mehrheit in Bayern verlor, kam plötzlich
       immer wieder die Frage auf, was wohl der Strauß zu alldem gesagt hätte.“
       Weil auch er diese Frage interessant fand, gab Schleich darauf selbst
       Antworten. Das Revers seines Jacketts mit beiden Händen festhaltend,
       unaufhörlich mit den Schultern zuckend, den Kopf eingezogen, bis der Hals
       verschwindet und das Doppelkinn nach unten pressend, liest er seither dem
       bayerischen Kabinett immer wieder die Leviten.
       
       Dabei passiert etwas, das auch Schleich selbst erstaunlich findet: Eben
       weil er sich mithilfe einiger weniger Gesten so mühelos in die Ikone der
       CSU verwandelt, scheint er über deren aktuelle Politiker sagen zu können,
       was er will. Beim Starkbieranstich auf dem Nockherberg 2010 zum Beispiel,
       dem traditionellen Politiker-Derblecken. Dort klatschten Edmund Stoiber,
       Horst Seehofer, Karl-Theodor zu Guttenberg und Ilse Aigner auch dann noch
       fröhlich in die Hände, als Schleich alias Franz Josef Strauß sie als
       „vertrockneten Haufen buttermilchgesäugter Politpygmäen“ titulierte.
       
       Sicher, das mag auch etwas damit zu tun haben, dass es als Ehre gilt, wenn
       ein Politiker auf dem Nockherberg veräppelt wird. Trotzdem, so glaubt auch
       Schleich, ist es der Mythos Strauß, der langsam aber sicher auch auf ihn
       übergeht, umso länger er ihn spielt. Strauß, „die polarisierendste Figur,
       die es in der bundesdeutschen Politik je gegeben hat“, sei für konservative
       Bayern, die sich in Deutschland und Europa zunehmend marginalisiert fühlen,
       ein Übervater, der ihnen jenen herausragenden Status wiederbringen könnte,
       den sie für sich selbst beanspruchen.
       
       „Es ist schon erstaunlich, was die Figur für eine Kraft entfaltet.“ Selbst
       einer der CSU-Minister fragte ihn jüngst auf dem Oktoberfest: „Wollen Sie
       noch einen Knödel, Herr Ministerpräsident?“, und ließ den gesamten Abend
       nicht mehr von dieser Anrede ab. Diese Macht fasziniert ihn. „Es ist ein
       Spiel“, sagt er und lächelt. „Und ich spiele gerne.“
       
       ## Der irrlichternde Hapflinger Sepp
       
       Mittlerweile hat der 46-Jährige den schwarzen Trachtenhut, gegen einen viel
       zu kleinen, gelblich-grünen aus Stroh getauscht, den roten Schal abgelegt,
       eine verschmierte, 50er-Jahre-Hornbrille mit dicken Gläsern auf seiner Nase
       platziert und sich in die Figur des irrlichternden Hapflinger Sepp
       verwandelt. Eine reichlich ramponierte Zitter unter den Arm geklemmt,
       springt er so ungestüm davon, dass die Feder auf seinem Hut aufgeregt im
       Wind flattert.
       
       Der Hapflinger Sepp ist einer von Schleichs zahlreichen Charakteren. In
       seiner Sendung „SchleichFernsehen“ im Abendprogramm des BR deckt dieser
       regelmäßig vermeintlich geheime Absurditäten auf. Hier in Schongau ist er
       auf der Suche nach den „Strauß-Melonen“, die dieser mit seinen illegalen
       „Waffel-Geschäften“ verdiente.
       
       Seine erste Station ist das Denkmal. „Eigmauert hams eam! Schaug hin. Da is
       a drin, der Strauß“, fabuliert der Hapflinger Seppl, wild gestikulierend.
       Genau darin besteht Helmut Schleichs Kunst. Mit nur wenigen Gesten, ein
       paar Grimassen und verstellter Stimme wird er fast beängstigend authentisch
       zu einer anderen Person. Selbst wenn er dazu im Fernsehen ein Kostüm trägt,
       im Grunde bräuchte er es nicht.
       
       ## Bayerisch-österreichische Tradition
       
       In seinem Bühnenprogramm „Nicht mit mir!“, mit dem er derzeit auf Tour ist,
       kommt er abgesehen von ein paar Requisiten fast gänzlich ohne Verkleidung
       aus. Papst Benedikt den XVI. a.D. hat er im Repertoire, Helmut Schmidt,
       Horst Seehofer, Ottfried Fischer, selbst den ehemaligen BR-Intendanten
       Siegmund Gottlieb und noch einige mehr. „Figurenkabarett“, nennt er das,
       entliehen aus dem satirischen Volkstheater bayerisch-österreichischer
       Tradition.
       
       Immer wieder bleiben die Schongauer auf der Straße stehen, um Helmut
       Schleich in den Drehpausen zu begrüßen. „Ich habe hier ja fast schon
       Promistatus“, witzelt der, nur um gleich zu relativieren: „Die kennen mich
       gar nicht von früher. Die sehen mich im Fernsehen und dann hören sie, das
       ich aus Schongau komme und fangen an zu überlegen, welche Verbindung sie zu
       mir haben könnten.“ Bis zu seinem achten Lebensjahr hat Schleich hier bei
       den Großeltern gewohnt. Dann erst, nach dem plötzlichen Tod der Großmutter,
       zog er, das ledige Kind, zu seiner Mutter nach München.
       
       Mit 17 stand er zum ersten Mal auf der Bühne. Gemeinsam mit anderen
       organisierte er im Keller eines Münchner Gymnasiums ein alternatives
       Schultheater. Zu Beginn war es der Leiter seiner Firmgruppe, den er
       gemeinsam mit ein paar Freunden parodierte. Strauß, der für den in der
       Friedensbewegung der 1980er Jahre sozialisierten Schleich damals noch eine
       echte Hassfigur war, kam nur wenig später. 1983 gründete er mit Christian
       Springer und Andreas Rüttenauer, heute im taz-Ressort Leibesübungen, das
       Kabarett Fernrohr, tourte über die Münchner Kleinkunstbühnen und darüber
       hinaus.
       
       Seit 1998 tritt er als Solokünstler auf. Etwas anderes als Kabarettist habe
       er nie werden wollen. „Die meisten Leute, die auf der Bühne gut sind, sind
       aus einem Schmerz heraus ins Rampenlicht gegangen“, sinniert Schleich vor
       der Preistafel einer Eisdiele, auf der der Hapflinger Sepp wenig später die
       „Waffelgeschäfte“ des Franz Josef Strauß enttarnen wird. „Vermutlich war
       das bei mir auch so: Ich war nie der Schönste, oder der Schlauste, aber
       blöd daher reden, das hab ich schon immer gekonnt.“
       
       ## Deppen gibt's überall
       
       Seine Parodien haben ihn auch über Bayern hinaus bekannt gemacht. „Das
       Modell ist ja übertragbar“, sagt er, „schließlich gibt es in Berlin und
       Hamburg genauso viele Deppen, wie in München.“ Trotzdem müsse er aufpassen,
       dass die Figuren nicht zu viel Macht über ihn bekämen. In seinem
       Bühnenprogramm passiert genau das.
       
       Vor allem Strauß bemächtigt sich seiner dort immer wieder gewaltsam. Der
       Kampf der beiden Rollen wird auf der Bühne stilisiert. Die Macht des
       Strauß-Mythos ist für Schleich tatsächlich gefährlich. „Ich will nicht,
       dass die Menschen irgendwann sagen: Da war doch mal einer, der hat den
       Strauß immer so gut nachgemacht.“ Vielmehr wünsche er sich, dass sich das
       Publikum eines Tages sagen wird: „Weißt Du noch, der Helmut Schleich, der
       hat doch auch den Strauß parodiert.“
       
       Am 17. Februar wird Helmut Schleich in Mainz mit dem Deutschen
       Kleinkunstpreis in der Sparte Kabarett ausgezeichnet.
       
       17 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marlene Halser
 (DIR) Marlene Halser
       
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