# taz.de -- Ein Jahr Wolfgang Niersbach im Amt: Alter Verwalter
       
       > Seit einem Jahr hat der Deutsche Fußballbund einen neuen Präsidenten. Der
       > kümmert sich vor allem ums „Kerngeschäft“ – leider.
       
 (IMG) Bild: Problemfans: Wolfgang Niersbach freut sich zusammen mit der Kanzlerin über die DFB-Elf.
       
       BERLIN taz | Bevor es daran geht, eine Zwischenbilanz zu ziehen, gilt es,
       sich ein paar Dinge zu vergegenwärtigen: Der Deutsche Fußballbund, der DFB,
       ist der größte Sportfachverband der Welt. Mehr als sechs Millionen
       Mitglieder gehören ihm an, und spräche der Fußball einmal mit einer Stimme,
       dann könnte sie ziemlich mächtig sein.
       
       Sechs Millionen Mitglieder bedeuten, dass ein Verband so etwas wie ein
       Staat im Staat sein kann. Denn ein Staat ist zunächst ja auch nicht mehr
       als ein paar Leute, die sich Volk nennen und sich eine Verfassung geben.
       Auch ein Verband hat eine Verfassung. Sie nennt sich Satzung. Über die
       Verfassung des DFB, also seine Satzung, ist im Zuge der Wahl Wolfgang
       Niersbachs zum Fußballkanzler diskutiert worden.
       
       Denn er hatte keinen Gegenkandidaten, weswegen sich taz-Sportredakteur
       Andreas Rüttenauer aufmachte, um zu kandidieren. Sein Vorhaben war: eine
       Demokratisierung des Verbandes in einer Urwahl. Doch das fand keinen
       Anklang; Wolfgang Niersbach wurde per Akklamation gewählt. Nicht mit 99,
       sondern mit 100 Prozent; ein Ergebnis, das selbst innerhalb der
       DDR-Volkskammer für feuchte Träume gesorgt hätte.
       
       Wolfgang Niersbach trat ein zwiespältiges Erbe an, als er auf Theo
       Zwanziger folgte, dessen Demission den Weg für den Generalsekretär
       Niersbach ebnete. Zwanziger war ein Anarchist im Gewand eines
       Konservativen. So regierte er den DFB. Seine Ehrpusseligkeit brachte den
       Verband immer wieder in die Bredouille. Am Ende war er isoliert. Erschöpft
       in allerhand Kleinkriegen an verschiedenen Fronten, warf er das Handtuch.
       Doch er hatte dem Verband auch ein Vermächtnis hinterlassen.
       
       Mit seinem Engagement gegen Rassismus und Homophobie hatte er den DFB in
       die Mitte der Gesellschaft geführt – heraus aus dem Stadion, hinein in die
       Diskussion. Man darf sich fragen, ob Mesut Özil, Ilkay Gündogan und Sami
       Khedira heute wie selbstverständlich für Deutschland spielen würden, wenn
       es Zwanziger nicht gegeben hätte.
       
       Niersbach hat sich an dieser Front bisher relativ bedeckt gehalten, sein
       Engagement ist überschaubar. Die großen gesellschaftlichen Themen werden
       seit seiner Wahl im sogenannten [1][„Referat Nachhaltigkeit“] geführt,
       nein, sie werden dort verwaltet. In den großen internationalen Debatten
       über Rassismus auf den Rängen und auf dem Feld ist eine Stimme des DFB
       nicht zu vernehmen. Niersbach umdribbelt das ebenso wie das Thema
       Fangewalt, mit dem die Politik den Fußball regelrecht erpressen wollte, um
       ihre Überwachungsfantasien ausleben zu können. Die Chance, hier zu
       moderieren und mitzumischen, hat Niersbach nicht wahrgenommen.
       
       ## Keine Haltung, nirgends
       
       Auch wie Niersbach zum korrupten Weltverband Fifa steht, man weiß es nicht
       so recht. Den DFB als Reformkraft im Weltfußball zu etablieren, dazu hat
       Niersbach offenbar keine Lust. Er will nicht mal in die Fifa-Exekutive,
       wenn Theo Zwanziger, der da noch bis 2015 sitzt, seinen Platz in der
       Weltfußballregierung räumt. In die Exekutive der Europäischen Fußballunion
       Uefa wird er dagegen schon aufrücken.
       
       Da erwarten ihn keine Probleme. Uefa-Boss Michel Platini, den Niersbach
       gerne als seinen Freund bezeichnet, hat ihm mit seinem Projekt einer
       europaweiten EM sogar die Chance gegeben, ohne großen Aufwand ein Stück
       Turnier nach Deutschland zu holen. Und sonst? Reicht es ihm, bei
       Länderspielen neben der Kanzlerin sitzen zu dürfen.
       
       Doch darf man aus alldem ableiten, dass seine Präsidentschaft nach einem
       Jahr eine Enttäuschung ist? Nein, das ist sie ganz bestimmt nicht. Denn
       Niersbach mag vieles sein – ein Blender ist er nicht. Niersbach hat
       sämtliche Versprechen, die er vor seiner Wahl gemacht hat, in die Tat
       umgesetzt. Das Zauberwort heißt Kerngeschäft.
       
       In diesem Geschäft kennt sich Niersbach aus. Kerngeschäft meint: Wir
       schauen wieder auf die Nationalmannschaft– die der Männer, versteht sich.
       Die Frauen, für die sich Zwanziger so sehr engagiert hat, müssen nicht
       damit rechnen, dass sie der DFB-Chef allzu oft besucht. Die Frauen sind nur
       ein ganz kleiner Teil dessen, was für Niersbach das Kerngeschäft ist.
       
       Ihm geht es um die Männerauswahl. Sein Plan dabei: Wir sorgen dafür, dass
       das ehemals so autonome Ensemble von Joachim Löw wieder ein wenig näher an
       den DFB rückt. Es war ein Ergebnis der Ära Jürgen Klinsmanns, das
       Nationalteam dem unmittelbaren Zugriff des DFB zu entziehen und es als
       Satelliten kreisen zu lassen.
       
       ## Der Staat DFB ist neu aufgestellt worden
       
       Niersbach gefiel das schon als Generalsekretär dem Vernehmen nach nicht.
       Als solcher war er für das Nationalteam zuständig. Und was stellt ein
       Generalsekretär schon dar, dessen Einfluss auf die DFB-Elf begrenzt ist,
       weil Olli B. und Jogi L. dem Separatismus frönen? Der neue Einfluss des
       Verbandes zeigt sich bisher nur in Details: So wurde der angesehene
       Medienchef Harald Stenger durch das „junge, unverbrauchte Gesicht von Jens
       Grittner“ (Team-Manager Oliver Bierhoff) ersetzt.
       
       Ins erste Jahr des Wolfgang Niersbach fällt auch die Weiterentwicklung des
       einstmals bewährten, mittlerweile aber etwas korrodierten
       Nachwuchskonzepts, mit dessen Durchführung der ehemalige Bundesligatrainer
       Robin Dutt beauftragt ist. Die nächste große Investition des DFB ist der
       Bau eines zentralen Nachwuchsleistungszentrums für die kickende Elite aller
       Altersklassen. Ein großes Investment in den Amateurfußball, dessen
       integrative Kraft in DFB-Veröffentlichungen gerne gepriesen wird, ist
       dagegen nicht geplant.
       
       Es geht um Titel, die „unvermeidlich“ sind, wie Dutt ankündigte. Werden
       diese konsequent vermieden, dann würde dies zu Lasten der Präsidentschaft
       von Niersbach ausfallen. Die starke Fokussierung auf die Nationalelf birgt
       auch das Risiko, dass sich Niersbach an den Erfolgen der Elf messen lassen
       muss.
       
       Der Staat DFB ist neu aufgestellt worden. Er wird von einer
       Expertenregierung geführt. Politische oder gesellschaftliche Ideen werden
       nicht formuliert. An der Staatsspitze steht ein Verwalter, der sich im
       Glanz des Profisports sonnen will. Dass er dort steht, ist nicht Niersbach
       anzukreiden, sondern den Mitgliedsverbänden, die ihn allesamt unterstützt
       haben. Sie haben die Verbandspolitik bekommen, die Niersbach versprochen
       hat.
       
       2 Mar 2013
       
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