# taz.de -- Berliner Gericht hat entschieden: Arme dürfen teurer wohnen
       
       > Fast 600.000 Hartz-IV-EmpfängerInnen bekommen zu wenig Geld, entscheidet
       > das Sozialgericht. Der Senat hofft, dass höhere Instanzen das Urteil
       > wieder kassieren.
       
 (IMG) Bild: Das Gerichtsurteil könnte die Wohnsituation vieler Hartz-IV-Empfänger entspannen.
       
       Die Jobcenter müssen Hartz-IV-EmpfängerInnen deutlich mehr Geld zahlen. Zu
       diesem Schluss kommt das Berliner Sozialgericht in einem [1][Urteil vom 22.
       Februar] (PDF), das Klägeranwalt Kay Füßlein jetzt veröffentlicht hat. Die
       Obergrenzen für Wohnungsmieten sind laut der Gerichtsentscheidung um rund
       20 bis 25 Prozent anzuheben. Der Senat habe die Grenzen für die Mieten
       falsch berechnet.
       
       Grüne und Linke fordern, der Senat solle die Richtwerte überarbeiten.
       Sozialsenator Mario Czaja (CDU) lehnt das ab. Er hofft darauf, dass das
       Urteil in einer höheren Instanz kassiert wird. Betroffen von dem Urteil
       sind 570.000 Menschen, die derzeit in Berlin von Hartz IV leben. Sie müssen
       jetzt einzeln vor Gericht ziehen, wenn sie von den neuen Richtwerten
       profitieren wollen.
       
       Im Bundessozialgesetzbuch heißt es, dass die Jobcenter die „angemessenen“
       Kosten für eine Unterkunft bezahlen müssen. Was genau angemessen ist, ist
       von Stadt zu Stadt unterschiedlich. In Berlin hat der Senat die Beträge in
       einer Verordnung festgelegt. Die Beträge gelten für die Miete inklusive der
       kalten Nebenkosten wie Grundsteuer, Müllabfuhr und HausmeisterIn. Die
       Kosten für Heizung und Warmwasser werden zusätzlich bezahlt. Die Verordnung
       trat im Mai 2012 in Kraft. Wer teurer wohnt, muss in der Regel innerhalb
       von sechs Monaten umziehen.
       
       Der Senat hat sich bei der Berechnung der vom Jobcenter bezahlten Miethöhe
       auf den Mietspiegel gestützt. Die Richter halten das für unzulässig: „Die
       Werte sind ohne Substanz“, heißt es in dem Urteil. Das Gericht führt aus,
       dass der Mietspiegel erstens ungeeignet ist, weil dort viele Wohnungen
       nicht auftauchen – zum Beispiel öffentlich geförderte und daher
       preisgebundene Wohnungen.
       
       Zweitens moniert das Gericht, dass die Daten im Mietspiegel zweieinhalb
       Jahre alt sind. Gerade bei einem „insgesamt dynamischen Wohnungsmarkt“ wie
       in Berlin mit jährlichen Preissteigerungen lassen so alte Daten „keine
       tragfähigen Schlüsse auf die Häufigkeit und Verteilung freier Wohnungen zu
       diesen Preisen auf dem Wohnungsmarkt 2012 zu“.
       
       Weil die Berechnung des Senats nach Ansicht des Gerichts nichts taugt und
       weil es andere Berechnungen nicht gibt, greift das Gericht auf die
       Wohngeld-Richtwerte zurück und legt noch einen „Sicherheitszuschlag“ von 10
       Prozent drauf. Daraus ergeben sich die neuen Richtwerte. 
       
       Der Senat hat nun zwei Möglichkeiten. Er kann erstens seine Richtwerte neu
       berechnen und sich dabei an die Vorgaben des Sozialgerichts halten. Er muss
       also untersuchen, wie viel Geld die Hartz-IV-EmpfängerInnen in Berlin
       wirklich zahlen müssen, um angemessen große Wohnungen zu bekommen. Das
       fordern Linke und Grüne: Der Senat müsse „die Richtwerte endlich den
       Realitäten auf dem Wohnungsmarkt anpassen“, [2][meint Elke Breitenbach],
       sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion.
       
       „Die Richtwerte müssen sich an den Mietpreisen des real existierenden
       Wohnraums orientieren“, heißt es auch in einer [3][gemeinsamen Erklärung]
       der Grünen-Abgeordneten Katrin Schmidberger und Martin Beck.
       
       ## Zweite Möglichkeit
       
       Sozialsenator Czaja hat sich allerdings bereits für die zweite Möglichkeit
       entschieden. Er geht davon aus, dass das Landessozialgericht oder das
       Bundessozialgericht das Urteil der ersten Instanz aufhebt, und glaubt nach
       wie vor an die ursprüngliche Berechnung: „Wir sind uns sicher, dass wir vor
       Gericht damit auch Bestand haben werden“, sagte Czaja.
       
       Für die Betroffenen bedeutet das: Bis ein rechtskräftiges Urteil einer
       höheren Instanz vorliegt, können sie sich auf die Entscheidung des
       Sozialgerichts zu den höheren Mietgrenzen berufen – per Klage.
       
       Siehe auch: [4][Blogbeitrag von Anwalt Kay Füßlein] zu dem von ihm
       erstrittenen Urteil 
       
       Korrektur: In einer ersten Version dieses Artikels hieß es, wer teurer als
       erlaubt wohne, könne auch die Differenz zwischen tatsächlicher und
       offiziell angemessener Miete selbst zahlen. Kommentator "Alex" wies zurecht
       darauf hin, dass das jedoch tatsächlich nur in wenigen Fällen möglich ist:
       Wenn Hartz-IV-EmpfängerInnen "nichtanrechenbares Einkommen" haben wie etwa
       Blindengeld, ALG I, Pflegegeld. Diese Passage ist daher jetzt gestrichen.
       Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
       
       12 Mar 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.ra-fuesslein.de/resources/UrteilSGBerlin37AS30006-12.pdf
 (DIR) [2] http://www.elke-breitenbach.de/willkommen/nachrichten/detail/zurueck/nachrichten-1/artikel/berliner-wohnaufwendungsverordnung-vor-gericht-gescheitert/
 (DIR) [3] http://gruene-fraktion-berlin.de/presse/pressemitteilung/erneute-schlappe-f-r-czaja
 (DIR) [4] http://www.ra-fuesslein.de/wordpress/?p=504
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Heiser
       
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