# taz.de -- Die Wahrheit: Zug und Gegenzug für Engelszungen
       
       > Ein Streit zwischen Landschaftsmalern und Bahnbefürwortern droht zu
       > eskalieren. Ich soll vermitteln.
       
       Weil ich aus einer bekannten Familie stammte, die früher eine eigene
       Spezial-Eisenbahnlinie betrieben hatte, genoss ich in einschlägigen Kreisen
       ein gewisses Ansehen. Deshalb war es keine Überraschung für mich, als ich
       zum Außenposten gerufen wurde, um in dem eskalierenden Streit zwischen
       Landschaftsmalern und Bahnbefürwortern zu vermitteln.
       
       Zuerst arbeitete ich das Verbindende heraus. Es zeigte sich, dass zwischen
       beiden Parteien in einem wichtigen Punkt prinzipiell Einigkeit bestand. Dem
       Standpunkt der Landschafter, „Jedem Malen geht ein Planen voraus“,
       entsprach die Überzeugung der Bahnbefürworter: „Jedem Bauen geht ein Planen
       voraus.“ Man verständigte sich auf die Formel „Jedem Handeln sollte ein
       Planen vorausgehen.“
       
       Danach wurde es schwieriger. Die Landschaftsmaler hatten den Vorteil einer
       sozusagen naturgegebenen Position, von der sie alles Recht ableiten zu
       können glaubten: „Die Landschaft war zuerst da.“ Behutsam wollte ich
       versuchen, die prinzipielle Veränderbarkeit der Landschaft in die
       Diskussion einzubringen, indem ich, das Element der Bahn noch völlig
       aussparend, die Schaffung einer Landschaft thematisierte. Doch damit
       erregte ich den Unwillen der Landschafter. „Es kann sich da doch nicht
       jeder beispielsweise selbst ein Gebirge bauen!“, wurde gewettert. „Das
       würde der vollen Befriedigung der Landschaftsbetrachtung zuwiderlaufen!“
       
       An dieser Stelle schien es mir geboten, der Gegenseite ein wenig
       Unterstützung zu geben: „Die Schönheit der Natur wird dem Menschen doch
       erst durch die Bahnfahrt recht erschlossen.“ Leider wurde mein letztlich
       auf Konsens zielendes Argument von den Bahnleuten als Parteinahme zu ihren
       Gunsten missverstanden, wodurch sie sich zu dem Postulat ermutigt fühlten:
       „In der Landschaft ist die Bahn das Primäre!“ Das hatte wiederum einen
       wütenden Aufschrei der Landschafter zur Folge, und ich konnte wieder von
       vorn anfangen.
       
       Ich redete mit Engelszungen, übertraf mich selbst auf dem Gebiet der
       Diplomatie und zitierte aus einem alten Faller-Lehrbuch, „Modellbau leicht
       gemacht“: „Es soll doch stets die gegenseitige Abhängigkeit und organische
       Zusammengehörigkeit von Natur und Technik zum Ausdruck kommen. So wenig das
       Vollstopfen mit allzu viel bahntechnischen Dingen sinnvoll ist, so wenig
       wäre die einseitige Betonung der Landschaft das Richtige.“
       
       Nach zähen Verhandlungen konnte ich schließlich den Landschaftsmalern das
       Zugeständnis abringen: „Es soll nicht gesagt sein, dass unsere Ansicht die
       einzig richtige sei.“ Im Gegenzug räumten die Bahnbefürworter ein: „Eine
       Gleisstrecke ohne jedes landschaftliche Zubehör wirkt eintönig.“
       
       Abgekämpft schleppte ich mich an diesem Abend ins Bahnhofshotel zurück. Bei
       der Rezeption lag eine Nachricht für mich: Eine gewisse Charlotte Krüger
       lud mich zu einer Party ein. War das nicht der Name der Frau, wegen der
       sich in meiner Kindheit ein Mann vor die Bahn meiner Eltern geworfen hatte?
       Wie geschah mir? Offenbar bahnte sich eine neue Geschichte an.
       
       14 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eugen Egner
       
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