# taz.de -- Philosoph über Papst-Erwartungen: „Wir werden sofort sehen, was er will“
       
       > Will Franziskus die Revolution? Das werden seine Nominierungen zeigen –
       > vor allem bei der Vatikanbank, sagt der Philosoph Flores d’Arcais.
       
 (IMG) Bild: Wird er die Vatikanbank reformieren?
       
       taz: Herr Flores d’Arcais, mit der Wahl Bergoglios habe nichts weniger als
       eine Revolution stattgefunden, schreiben diverse Zeitungen in Italien.
       Sehen Sie das auch so? 
       
       Paolo Flores d’Arcais: Wenn wir uns zwei auch für Nichtgläubige
       grundlegende Werte anschauen, nämlich Freiheit und Gerechtigkeit, dann ist
       eine Revolution in der Kirche auf dem Feld Gerechtigkeit jetzt durchaus
       denkbar. Auf dem Feld der Freiheit wird der neue Papst aber mit großer
       Wahrscheinlichkeit die rückwärtsgewandte Politik seiner Vorgänger
       fortsetzen.
       
       Freiheit: Damit sind alle ethischen und bioethischen Fragen angesprochen,
       von der Ausdehnung der Ehe auf die Homosexuellen über das Recht der Frau,
       darüber zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft zu Ende führt, und
       unser aller Recht, über unser Lebensende zu entscheiden bis zur
       Stammzellenforschung.
       
       Und da erwarten Sie gar nichts von Franziskus? 
       
       Bestenfalls wird es eine sehr vorsichtige Öffnung beim Gebrauch von
       Kondomen geben, wenn es um die Verhinderung zum Beispiel von
       HIV-Infektionen geht. Und dann kann es womöglich Reformen geben, die aber
       bloß die Gläubigen angehen, etwa die Zulassung von Geschiedenen zum
       Abendmahl. Doch wo immer es um das Verhältnis zwischen Moral der Individuen
       und dem staatlichen Gesetz geht, fürchte ich, dass Franziskus sich nicht
       von Benedikt XVI. und Johannes Paul II. unterscheiden wird. Auch er wird
       verlangen, dass das staatliche Gesetz sich der Linie der Moral des Vatikans
       anpasst, sprich: dass alle die Handlungen unter Strafe stehen, die in
       katholischen Augen Sünde sind. Dieses Verlangen ist völlig unvereinbar mit
       dem Abc einer Demokratie.
       
       Und was kann sich auf dem Feld der Gerechtigkeit tun? 
       
       Schon die Wahl des Namens Franziskus ist ein sehr starkes Versprechen,
       gleichsam ein Eid gegenüber 1,2 Milliarden Katholiken, dass hier eine
       Revolution stattfinden soll. Seit den Zeiten des Franz von Assisi, seit 800
       Jahren also, hat es kein Papst gewagt, diesen Namen zu wählen. Der Name
       stellte ein Tabu dar, zusammen mit dem Namen Petrus, den auch niemand
       wählte.
       
       Franz von Assisi steht für die radikale Rückkehr zum Evangelium, für die
       radikale Abkehr vom Reichtum, von der weltlichen Macht der Kirche. Papst
       Franziskus setzt da enorme Hoffnungen frei, indem er mit diesem säkularen
       Tabu bricht. Und wenn er das damit gegebene Versprechen nicht einhalten
       sollte, wird furchtbare Enttäuschung die Folge sein. Ich gehe deshalb davon
       aus, dass bei ihm echter Wille vorhanden ist, aber es muss sich zeigen, ob
       er auch operativ in der Lage ist, diese Revolution in Gang zu setzen.
       
       Wie sähe denn die operative Umsetzung aus? 
       
       Einer, der sich Franziskus nennt, müsste zum Beispiel die Vatikanbank IOR
       auflösen oder sie ihrem ursprünglichen Auftrag wieder zuführen. IOR, das
       heißt ja „Institut für religiöse Werke“ (Istituto per le Opere di
       Religione). Doch das IOR ist zu einem Finanzinstrument nicht bloß der
       weltlichen Macht der Kirche geworden, sondern zu einem Instrument, in dem
       ganz selbstverständlich schmutziges Geld floss, mit dem
       Korruptionsaktivitäten zwischen Politik und Unternehmen verdeckt
       abgewickelt wurden, in dem sogar Gelder des organisierten Verbrechens
       recycelt wurden. Wir werden sofort, an den ersten Nominierungen, sehen, ob
       Papst Bergoglio wirklich an die weltliche Macht der Kirche gehen will.
       
       Welche Nominierungen wären das? 
       
       Da wäre die Ernennung des Kardinalstaatssekretärs, da wären aber auch die
       Entscheidungen, die er direkt für das IOR trifft – oder eben nicht. Eine
       der letzten Handlungen des bisherigen Kardinalstaatssekretärs Tarcisio
       Bertone – die man nur vulgär nennen kann, da er sie gleichsam in den
       letzten Minuten des Pontifikats Ratzingers vollzog – war es ja, seine
       Kontrolle über das IOR zu zementieren.
       
       Das IOR wird von einer fünfköpfigen Kardinalskommission überwacht, unter
       ihnen befand sich Attilio Nicora, der immer wieder gefordert hatte, dass
       das IOR sich an die internationalen Standards zur Verhinderung von
       Geldwäsche anpasste. Das brachte ihm harte Konflikte mit Bertone ein – und
       jetzt seinen Ausschluss aus der Kontrollkommission. Wenn der neue Papst mit
       einem Motu proprio die alte, von Bertone dominierte Kommission abberuft,
       wäre das ein klares Zeichen, dass er wirklich eine Revolution will. Wenn er
       hingegen nichts unternimmt, dann dürfte man unterstellen, dass er sich bloß
       auf symbolische Gesten beschränken will.
       
       Das IOR also – und was weiter? 
       
       Ein weiterer Prüfstein für eine echte Erneuerung wird sein, ob der Papst
       bereit ist, den enormen Einfluss von Organisationen wie Comunione e
       liberazione oder dem Opus Dei, die sich zu auch ökonomisch höchst mächtigen
       wahren Kirchen in der Kirche entwickelt haben, zurückzudrängen. Sowohl
       unter Wojtyla als auch unter Ratzinger wurden diese Organisationen nach
       Kräften privilegiert, nicht umsonst wurden ihre Gründer beide
       heiliggesprochen. Ein weiteres Thema, dem sich der Papst wird stellen
       müssen, ist der Umgang mit den Pädophilieskandalen.
       
       Da hat sich doch schon unter Ratzinger viel getan. 
       
       Der überwiegende Teil der Kurie wollte immer bloß minimale Transparenz. In
       den USA tritt die Kirche mittlerweile für größtmögliche Offenheit ein –
       auch weil es dort das Instrument der class action, der Sammelklagen, gibt,
       mit der Folge, dass der neue Erzbischof von Boston sämtliche Besitztümer
       des Bistums verkaufen musste, um die Entschädigungszahlungen zu leisten. Es
       scheint, als wollten die US-Bischöfe hier wirklich eine neue Seite
       aufschlagen. Dagegen ist in Italiens Kirche noch gar nichts passiert. Der
       Papst wird nicht umhinkommen, den nationalen Kirchen hier eine einheitliche
       Linie zu verordnen.
       
       Wann werden wir wissen, ob Franz wirklich die Kirche revolutioniert? 
       
       Sehr bald – allein schon wegen seines hohen Alters. Wenn er wirklich etwas
       ändern will, kann er nicht lange abwarten.
       
       17 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
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