# taz.de -- Ex-HSV-Managerin nach Machtverlust: Ohne die Ritterrüstung der Funktion
       
       > Katja Kraus war die erste Managerin in einem großen Fußballklub. Jetzt
       > hat sie ein Buch verfasst über Mächtige, die abgestürzt sind. Eine
       > Begegnung.
       
 (IMG) Bild: „Ich wollte den Bruch als Chance sehen, etwas ganz anderes zu machen.“
       
       Zwei Tage nach ihrem Ausscheiden als Vorstandsmitglied beim Hamburger SV
       beginnt Katja Kraus die Arbeit an einem neuen Projekt. Wenn sie die Leute
       fragen, was sie denn jetzt genau mache, sagt sie: „Ich schreibe ein Buch“.
       
       Dann sagen die Leute: „Interessant. Und sonst?“
       
       Wenn sie sie Wochen später wiedersehen, fragen sie: „Ist Ihr Buch jetzt
       fertig? Wann steigen Sie wieder ein?“
       
       Als wollten sie einfach nicht einsehen, dass dieses Buch für Kraus nicht
       irgendein Zwischendings ist.
       
       ## Schluss beim HSV
       
       Kraus, 42, gelangte 2003 als erste Frau in das Top-Management eines großen
       Fußballunternehmens, zuständig für Marketing und Kommunikation. Zuvor war
       sie Fußballnationaltorfrau und Olympiateilnehmerin, studierte Germanistik
       und Politik, war Pressesprecherin bei Eintracht Frankfurt und dann bei der
       Ufa.
       
       Nach acht recht erfolgreichen Jahren war man im Aufsichtsrat des
       Bundesligagründungsmitglieds nicht mehr zufrieden mit dem
       Vorstandsvorsitzenden, der sie mitgebracht hatte.
       
       Im Mai 2011 war auch für sie Schluss beim HSV.
       
       Und nun?
       
       Sie hatte Verlustgefühle, sie war verunsichert. Was konnte sie eigentlich
       außer Fußballmanagerin? Sie sagt, sie habe Angebote gehabt, woanders in
       gleicher Funktion, um damit quasi bruchlos weiterzumachen. Sie tat es
       nicht.
       
       „Ich wollte den Bruch als Chance sehen, etwas ganz anderes zu machen.“ Sie
       ignorierte den Bruch nicht, sie arbeitete ihn auf.
       
       ## Schlechtes Ende bleibt in Erinnerung
       
       Gerade betritt sie ein Hamburger Lokal im Univiertel; begrüßt die Kellner
       mit Handschlag und steuert direkt auf den richtigen Tisch zu. Halblange
       braune Haare, grüne Augen, gut-leger angezogen und gut gelaunt. Kraus ist
       absoluter Beginner, was das Schreiben angeht, aber eben auch
       Kommunikationsprofi. „Das sollte ich vermutlich so nicht sagen, aber ich
       erzähl’s Ihnen gerne“, so was ist immer schön zu hören.
       
       „Macht“ heißt ihr Buch, das in diesen Tagen erschienen ist. Es enthält
       Gespräche mit Prominenten, die über ihren persönlichen Machtverlust
       sprechen. Darunter die Politiker Andrea Ypsilanti, Roland Koch, Björn
       Engholm, die Wirtschaftsmanager Ron Sommer und Hartmut Mehdorn, der
       Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger, die Bestsellerautorin Hera
       Lind.
       
       Sie will nicht „überführen“, das sei ja hoch- und runtergeschrieben. Auf
       keinen Fall will sie den üblichen wohlig-beruhigenden Schauer erzeugen,
       wenn ein Mächtiger abgestürzt ist. Sie gibt ihren Gesprächspartnern den
       Raum, von den Momenten zu erzählen, die den Menschen in der Funktion
       sichtbar machen. Es geht ihr darum herauszufinden, warum Menschen für eine
       machtvolle Position „einen hohen Preis bezahlen“ und sich dem öffentlichen
       Urteil aussetzen, das im Falle des Machtverlustes selten emphatisch ist,
       sondern meistens ungnädig. Ihre Erkenntnis: Scheitern ist ein Stigma. Auch
       wenn es ein zwangsläufiger Begleiter des Erfolges ist. Und der die Fallhöhe
       bestimmt.
       
       Aber der lange, womöglich gute Weg wird öffentlich vergessen, das schlechte
       Ende bleibt in Erinnerung, und manchmal wird ein Leben reduziert auf einen
       Moment, einen unglücklichen Satz oder eine Geste. Und alles, ohne einen
       Schritt in den Schuhen des anderen getan zu haben. Neben der
       demokratisch-moralisch wichtigen Aufklärung von Verfehlungen geht es immer
       auch um triviale Unterhaltung und das Befriedigen von bestimmten
       Gefühlsbedürfnissen. Tenor: geschieht dem Arschloch recht.
       
       Wo und wie sich Kraus mit ihren Protagonisten identifiziert oder
       therapiert, so das nötig sein sollte – das ist nicht zu sagen. Das Buch ist
       auf jeden Fall auch ein sorgsam komponierter Versuch, die Definitionshoheit
       über die eigene Geschichte zu bekommen. Einerseits war das Vorstandsamt bei
       einem Fußballbundesligisten ein Job, der sie ausfüllte. Und sie hatte noch
       nicht abgeschlossen, sondern jemand anders schloss für sie ab. Das sei
       „kränkend“ gewesen.
       
       Andererseits brachte diese Funktion sie auf eine Art komplett zum
       Funktionieren, die keinen Raum für anderes ließ. Immer alles im
       Halbstundentakt und getrieben von dem, was gestern, heute und morgen in der
       Zeitung steht; das ließ sie irgendwann auch sehr, sehr müde aussehen, wenn
       sie den Journalisten bei den üblichen Terminen die Hand schüttelte.
       
       ## Das alte Leben
       
       Manchmal fehlt ihr das alte Leben, und sehr oft fehlt es ihr nicht. Sie
       managt sich jetzt selbst, spricht weiter bei Konferenzen und nun auch über
       ihre „Verletztheit“, freut sich auf ihre anstehenden Lesungen und macht
       glaubhaft den Eindruck, den Bruch als Chance begriffen zu haben, mehr aus
       sich zu machen. Also die eine große Frage beantworten zu können: Wer bin
       ich ohne meine Funktion? „Das hab ich mich vorher auch schon gefragt“, sagt
       sie. „Brüche passieren ja nicht ohne Vorankündigung. Man sieht Zeichen, man
       spürt bröckelnden Rückhalt, notiert veränderte Kräfteverhältnisse.“
       
       Mächtige mit einem selbst gewählten Abgang wie Ole von Beust haben sich
       diese Frage vorher beantwortet. Die können deshalb die Freiheit positiv
       empfinden. Die abrupt Rausgetretenen erst mal nicht und manchmal nie, wenn
       sie nicht wissen, wohin sie ein neuer Weg führen könnte.
       
       Die Verluste? Ja, sie hatte einen Parkplatz in der ersten Reihe und ja, es
       ist schon irritierend, wenn man immer fünfmal angerufen wurde, ob man auch
       ja auf eine Party kommt und im nächsten Jahr von der Liste gestrichen ist.
       „Ich hatte immer die Hoffnung, dass ich reflektiert genug bin, um zu
       unterscheiden zwischen dem, was meiner Funktion, und dem, was mir als
       Mensch entgegengebracht wurde“, sagt sie. „Aber es sind auch Gefühle, mit
       denen man einen Umgang finden muss.“ Und wenn sie jetzt in einem Meeting
       ist, und es wird redundant, dann kann sie nicht mehr sagen: Danke, das
       war’s.
       
       Aber sie sei früher nie abends nach Hause gekommen und habe gedacht:
       „Mensch, heute warst du aber wieder mächtig.“ Macht sei ein abstrakter
       Begriff, den vor allem der Empfänger der Macht gebrauche, nicht der
       Mächtige. Aus ihrer Sicht ist Macht die Möglichkeit, Entscheidungen von
       Tragweite zu treffen, umzusetzen, zu verteidigen und sich damit auch
       angreifbar zu machen. In einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem es ihrer
       Beobachtung nach darum geht, „sich möglichst wenig messbar zu machen,
       möglichst wenig zu entscheiden und risikolos erfolgreich zu sein“.
       
       ## Den Frauen näher gekommen
       
       Im Gegensatz zu manchen Gesprächspartnern wurde ihre Arbeit und damit ihr
       Leben nicht diskreditiert, schon gar nicht ihre Integrität, wie es bei
       Andrea Ypsilanti und Maria Jepsen geschah. Es sind die beeindruckendsten
       Porträts. Den Frauen ist sie – Tanja Gönner mal außen vor – eindeutig näher
       gekommen. „Empfinden Sie das so?“, fragt sie. „Interessant. Vielleicht
       zeigen Frauen mehr.“
       
       Sicher hat man auch in der letzten Zeit selten jemand brutaler abstürzen
       lassen als die designierte hessische Ministerpräsidentin Ypsilanti. „Ich
       wollte verstehen, wie sie sich selbst sieht, und es war mir wichtig, dass
       sie sich gesehen fühlt“, sagt Kraus.
       
       Ypsilanti gehört zu denen, die die Namen ihrer Gegner nicht erwähnen, für
       Kraus ein Zeichen, dass sie noch keinen Frieden gefunden hat. Eine andere
       Erkenntnis gewinnt sie bei ihrer Beschäftigung mit der Hamburger Bischöfin
       Maria Jepsen, die zurücktreten musste, weil sie von sexuellen Übergriffen
       eines Pastors an Minderjährigen gewusst haben soll, ohne etwas zu
       unternehmen. Jepsen hielt und hält sich für unschuldig und musste aus ihrer
       eigenen Sicht gehen, weil diejenigen sie binnen Stunden pragmatisch oder
       opportunistisch fallen ließen, denen sie vertraut hatte. Diese Erfahrung
       ist nicht zu verarbeiten. Der verratene oder verlassene Mensch ist danach
       auf eine existenzielle Art weniger.
       
       „Wenn die Unschuld erst mal verloren ist“, schreibt Kraus, „dann gibt es
       keine Rückkehr hinter den Punkt der negativen Erfahrung.“ Auch der
       langjährige Ministerpräsident Björn Engholm fühlt sich heute noch im Stich
       gelassen – von seiner SPD. Das ist seine offene Wunde; nicht Barschel.
       
       „Macht“ ist mit einem ungewöhnlich großen Recherche-Aufwand entstanden und
       erstaunlich gut geschrieben für jemanden, der vorher nach eigener Aussage
       nur Weihnachtskarten beschriftet hat. „Ob ich schreiben, ob ich die Stille
       des Schreibens aushalten könnte, wusste ich nicht. Das war die
       überraschendste Entdeckung“, sagt Kraus. In der Danksagung erwähnt sie den
       Publizisten Roger Willemsen und dessen „Begleitung bei meinem Wachstum“.
       
       Außer ihr ist bis heute keine andere Frau in eine Spitzenposition der
       Fußballbranche gelangt. „Die Veränderungsbereitschaft im Fußballgeschäft
       ist relativ gering“, sagt sie. Und dass sie eines Tages zurückkehrt? Das
       sei für sie gerade nicht vorstellbar.
       
       Obwohl sie die Ritterrüstung der Funktion nicht mehr hat, obwohl es
       unsichere Tage gibt, obwohl sie sich immer noch manchmal fragt, was sie nun
       eigentlich sagen soll, wenn jemand wissen will, wer und was sie ist: „Ich
       mochte mein altes Leben sehr, aber ich will es nicht zurückhaben“, sagt
       Katja Kraus.
       
       Das ist doch mal was.
       
       16 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
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