# taz.de -- Musealisierung des Alltags: Krempel aus der Zwischenwelt
       
       > Was wir aufbewahren, auch wenn ihm sein Zweck abhanden kommt: Eine
       > Ausstellung in Oldenburg widmet sich allem, was übrig bleibt.
       
 (IMG) Bild: Dinge, die man ausrangiert, aber dann doch nicht verschrottet, wie ein verschmiertes Waffeleisen.
       
       Wohl jeder hat zu Hause so ein Ding, das irgendwo herumsteht oder liegt. So
       ein Ding, das irgendwann einmal bei irgendetwas übrig geblieben ist und das
       man deshalb in Ehren hält. Oder das man einfach nur noch nicht weggeworfen
       hat. Ein Kleidungsstück aus ferner Jugendzeit vielleicht, das nie, nie
       wieder passen wird, man weiß es ja selbst und macht sich nichts vor, aber
       trennt sich trotzdem nicht davon. Die Muschel, die man an irgendeinem
       Strand aufgelesen und – im Gegensatz zu anderen Muscheln von anderen
       Stränden – behalten hat, weil jener Urlaub eben schöner war als andere.
       Oder ein hässliches Geschenk, übrig von der Hochzeitsfeier, das man behält,
       um es dem Schenker auf Nachfrage jederzeit vorweisen zu können.
       
       Solchen Gegenständen widmen Studierende der Universität Oldenburg nun eine
       eigene [1][Ausstellung]: „Was übrig bleibt“ ist gewissermaßen das
       Gesellenstück der zehnköpfigen Gruppe, die sich für den Masterstudiengang
       „Museum und Ausstellung“ eingeschrieben hatte. Die erste Ausstellung, die
       die Studierenden selbstständig auf die Beine stellten, und vielleicht für
       lange Zeit die letzte, bei der sie so viele Freiheiten hatten.
       
       ## Fünf Kategorien
       
       „Alles, was übrig ist, kann Ausstellungsstück sein“, sagt Franziska Scholl,
       eine der Ausstellungsmacherinnen. Übrig ist, was in eine der fünf von der
       Gruppe festgelegten Kategorien passt: „Emotionsgeladen“, „Entbehrlich“,
       „Überholt“, „Überstanden“, „Verfehlt“. Es gäbe sicher noch andere, sagt
       Scholl. Diese Einteilung sei nicht in Stein gemeißelt, und das sei „ja auch
       das Spannende daran: Vielleicht sehen Besucher das ja ganz anders.“
       
       Zunächst aber sind es diese fünf Kategorien, von denen sich die eine oder
       andere selbst erklären dürfte. „Emotionsgeladen“ ist etwa ein Top, von
       seiner Besitzerin nur einmal getragen, auf dem Geburtstag der Großmutter –
       die vier Tage später starb. „Überholt“ wiederum kann ein altes, aber noch
       funktionierendes Telefon sein – dessen Besitzer jetzt ein neueres, cooleres
       hat.
       
       ## Die verlorene Funktion
       
       Ein Objekt habe eine Funktion, erklärt Nora Spielvogel, die Sprecherin der
       Studierenden, die Sache mit dem Übrigsein: „Irgendwann verliert es diese
       Funktion.“ Bis es einer neuen zugeführt werden kann oder schlicht
       weggeworfen wird, existiere es in einer Art Zwischenwelt. In die gerate es
       manchmal auch rein zufällig: die Vase etwa, die die Bombardierung und
       Zerstörung eines Hauses unversehrt überstanden hat – nun in der Rubrik
       „Überstanden“.
       
       Man ahnt es bereits: Es gibt viele, sehr viele Gegenstände, die in eine
       dieser Kategorien passen würden und also auch in diese Ausstellung. All die
       Dinge, von denen man immer hört oder selbst sagt, dass sie „zu schade zum
       Wegwerfen“ seien, dass man sie „noch mal brauchen“ könne, dass man sie
       „irgendwann wieder benutzen“ werde. Wie diesen komisch aussehenden
       Bauchmuskeltrainer, den man eines Tages verwenden wird, ganz ehrlich,
       bestimmt, wenn man halt mal Zeit hat. Und Muße.
       
       In Anlehnung an ein zuletzt viel strapaziertes Bonmot könnte man fragen:
       Ist das übrig – oder kann das weg? Viele der gezeigten Dinge hätten
       irgendwann wegkommen können, auf die eine oder andere Weise. Sind sie aber
       nicht. Sie sind vielmehr gefangen in ihrem Zwischenwelt-Dasein, das sich
       definiert über das Festhaltenwollen, eine längst vergangene Sammelwut oder
       die bloße Ratlosigkeit ihrer Besitzer. Eine Lavalampe etwa ist dabei, die
       nur deshalb noch da ist, weil irgendwer nicht weiß, wie man sie korrekt
       entsorgen müsste.
       
       Dort verläuft die Trennlinie zwischen „Übrigem“ und, nun ja, „Müll“. Ein
       Begriff, der nicht wenigen Besuchern durch den Kopf schießen wird, wenn sie
       das eine oder andere der Exponate betrachten. Aber die sind eben gerade
       nicht dort gelandet, im Müll, obwohl sie keinen Zweck mehr erfüllen,
       manchmal nicht einmal mehr den des bewusst aufbewahrten Erinnerungsstücks.
       Und das macht sie für die Oldenburger Gruppe zu Ausstellungsstücken, zu
       Exponaten, von denen jeder Betrachter sofort eines beisteuern könnte.
       
       Auch die Macher müssen nicht lange überlegen, welche Dinge aus ihrem
       irdischen Besitz übrig sind. Für Franziska ist es ein T-Shirt, von Freunden
       vor einem mehrmonatigen Auslandsaufenthalt bemalt, nie getragen und auch
       nicht gewaschen: Franziska fürchtet, dass es die Farbe verlieren würde.
       Nora erzählt von einer Jacke in der Kruschtelkiste unter ihrem Bett,
       zurückgelassen von einem Exfreund – „Emotionsgeladen“. Dozentin Karen
       Ellwanger fällt ihre Sammlung altertümlicher Biografien ein, die ihr immer
       als Mahnung dienten, dass sie „so etwas nie machen soll“, sagt sie. Die –
       oder die roten Pumps einer alten Freundin.
       
       Und nach der Ausstellung? Dann findet sich jedes einzelne Stück in genau
       derselben Situation wieder wie zuvor. Konfrontiert mit der Frage: Was tun
       mit dem Ding? Zurück in die Schublade, auf den Dachboden, in die
       Umzugskiste im Keller? Oder bekommt es einen Platz im Regal, auf dem
       Kaminsims, dem Beistelltisch? Oder geht es den Weg allen Irdischen –
       Flohmarkt, immer öfter Ebay. Oder doch bloß die Mülltonne?
       
       Diese Unsicherheit, aber auch die reine Vielfalt der Objekte verleiht der
       Ausstellung ihre Spannung. Sie bedient sowohl den Faktor Nostalgie als auch
       den zum Fremdschämen, die ganze Palette von „Weißt du noch“ bis „Mein Gott,
       hat sich das wirklich wer in die Wohnung gestellt?“ Ein bisschen
       Zeitgeschichte hier, ein wenig Soziologie dort, garniert mit einer Prise
       Psychologie – eben solchem Schubladendenken aber verweigern sich die
       Exponate.
       
       ## Lieb gewonnenes Scheusal
       
       Die 50er-Jahre-Zimmeruhr mag mancher grässlich finden, für Leihgeber
       Carsten Schipke ist sie eine lieb gewonnene Erinnerung an „Opa Martin“,
       nicht einmal sein leiblicher Großvater, sondern ein freundlicher alter Mann
       aus der Nachbarschaft, der „mit über 90 Jahren noch in die Bäume geklettert
       ist, um Zweige abzusägen“. Als Opa Martin 96-jährig starb, half Schipke der
       Verwandtschaft bei der Auflösung des Haushalts, man ist seitdem miteinander
       befreundet. Und von Opa Martin sind Fotoalben übrig geblieben, Bücher, eine
       Urkunde von den [2][Reichsjugendwettkämpfen] 1930 – und eben die Uhr.
       
       Es ist müßig anzumerken, dass jedes Objekt eine solche ganz eigene
       Geschichte hat – das trifft auf so ziemlich jedes Exponat in so ziemlich
       jeder Ausstellung dieser Welt zu. Die „übrigen“ Objekte von Oldenburg aber
       erzählen ihre Geschichte über die reine Provenienz hinaus. In wenigen
       Sätzen erfährt man den Hintergrund des Gezeigten, sei er rührend oder
       schräg.
       
       Der Schachcomputer etwa, Marke „Mephisto“. Eine ältere Frau hatte ihn von
       Verwandten geschenkt bekommen, da sie gerne Schachspielen lernen wollte,
       aber dem rein männlich geprägten örtlichen Schachclub nicht beitreten
       durfte. Der Computer war ein gut gemeintes Präsent, mit dem die Frau aber
       nichts anfangen konnte: Ihr war es weniger um das Spiel selbst gegangen als
       um die sozialen Kontakte, die sie darüber zu knüpfen hoffte. Die
       Ausstellungsmacher fanden das Ding auf dem Flohmarkt, nun baumelt es von
       der Decke, neben geschmacklosen Snoopy-Figuren, die ebenfalls in die
       Kategorie „Verfehlt“ eingeordnet wurden.
       
       Es war eine Idee, die ihnen spontan gekommen sei, sagen die Studierenden.
       Eine, die sofort funktionierte, weil „jeder sofort etwas damit anfangen
       kann“, sagt Nora. Und auch eine, die nicht starr festgelegt bleiben soll,
       denn die Macher wollen auch Rückmeldungen von den Besuchern haben,
       schließlich ist es ja ihre erste Ausstellung. Eine Reaktion hängt bereits
       an der Pinnwand im Ausstellungsraum: „Denn das, was übrig bleibt, ist
       meistens Gekotztes“, hat jemand geschrieben.
       
       ##
       
       26 Mar 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.uebriges.de
 (DIR) [2] http://de.wikipedia.org/wiki/Bundesjugendspiele#Geschichte
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Maik Nolte
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA