# taz.de -- Auftakt des Weltsozialforums: Karneval der Protestkulturen
       
       > Mit einer Demonstration beginnt das Forum in Tunis. Unter dem Motto
       > „Würde“ finden sich alte Revolutionäre genauso wieder wie Gewerkschaften
       > und Islamisten.
       
 (IMG) Bild: Teilnehmerinnen aus Westsahara auf der Demonstration am Dienstag in Tunis.
       
       TUNIS taz | Sie drängen sich auf der gesamten Meile der Revolution. Vom
       blauen Glaspalast, einst Sitz der Diktatoren-Partei RCD bis zum mit
       Stacheldrat festungsartig gesicherten Innenministerium auf der Avenue Habib
       Bourghiba haben sich am Dienstagnachmittag schätzungsweise 10.000 Menschen
       versammelt.
       
       Doch anders als vor zwei Jahren sind sie nicht gekommen, um die Regierung
       zu stürzen: An diesem Tag beginnt in der tunesischen Hauptstadt Tunis das –
       je nach Zählweise – elfte oder zwölfte Weltsozialforum. Es ist das erste
       überhaupt in einem arabischen Land: Eine Verneigung der sozialen Bewegungen
       vor dem Arabischen Frühling, den die aus aller Welt angereisten
       Globalisierungsgegner jetzt begeistert feiern.
       
       „Natürlich erinnert mich das hier an damals“, sagt Rafi. Der junge
       Geowissenschaftler steht in seiner weißen Weste, die er über ein schwarzes
       Samtjackett gezogen hat, vor der ersten Reihe der Demonstranten, die Bilder
       mit den Toten der Revolution in die Höhe strecken. Vor zwei Jahren hat Rafi
       hier gegen Ben Ali protestiert, heute ist er einer der freiwilligen Ordner,
       die dafür sorgen sollen, dass der Demonstrationszug in geordneten Bahnen
       bleibt.
       
       „Vor allem erinnert es mich aber daran, dass wir seit damals überhaupt
       nichts geschafft haben“, sagt er bitter und zieht so lange an seiner
       Zigarette, als müsse er seine aufkommende Wut mit Nikotin dämpfen. Nichts
       erreicht? „Na gut“, sagt er: „Eine Sache, genau eine, haben wir geschafft:
       Ben Ali ist weg. Das ist alles.“
       
       ## Das Motto: „Würde“
       
       Rafi ist Mitglied der „Union des Chaumers Diplomés“, der hochqualifizierten
       Arbeitslosen. Die Uni schloß er ab, als Ben Ali gestürzt wurde. Eine
       Perspektive sieht er in Tunesien für sich noch immer nicht. „Hör' doch nur,
       die Leute rufen genau dasselbe wie vor zwei Jahren“, sagt er. „Das würden
       sie ja wohl nicht machen, wenn heute irgendwas anders wäre.“ Tatsächlich
       rufen die meisten der anwesenden TunesierInnen den Schlachtruf der
       Jasmin-Revolution von 2011: „Arbeit, Freiheit, Umverteilung“.
       
       Rund 30.000 Menschen werden zum Forum erwartet. „Die Revolution der Würde
       begrüßt das Weltsozialforum“ – riesige Transparente mit diesen Slogan haben
       die Organisatoren in der Stadt aufhängen lassen. „Würde“ ist auch das
       Motto, unter das sie das Forum gestellt haben. Doch was darunter Würde zu
       verstehen ist, bleibt offen. Vielleicht ist es genauso gedacht: Von
       Altkommunisten mit UdSSR-Fahnen bis zu religiösen Eiferern darf jedenfalls
       jeder mitlaufen.
       
       Noch vor der ersten Reihe etwa geht eine Gruppe junger Männer, die
       besonders laut rufen, auch sie tragen um den Hals die weißen Pappkarten,
       die sie als Teilnehmer des Forums ausweisen. Rafi und die andere
       Sicherheitsleute schauen sie an, halten aber Abstand.„Wir finden das nicht
       gut, aber sie haben das Recht hier zu sein“, sagt er. Die Islamisten haben
       nicht nur die Demo für sich entdeckt, sondern auch den Slogan. Statt
       „Arbeit, Freiheit, Umverteilung“ rufen sie „Arbeit, Freiheit, islamische
       Scharia“. Auf Arabisch reimt es sich.
       
       ## Polizei hält sich zurück
       
       Nicht mitlaufen können hingegen rund 130 subsaharische Flüchtlinge aus dem
       UN-Wüstenlager in Choucha nahe der tunesischen Grenze. Sie wollten auf dem
       Forum auf [1][ihre verzweifelte Lage] aufmerksam machen. Das
       Verteidigungsministerium hatte dies zuvor genehmigt, doch am Montagabend
       erschienen Militäreinheiten und hielten ohne Begründung die Busse auf, mit
       denen die Flüchtlinge in die Hauptstadt fahren wollten.
       
       Sichtbar sind am Dienstag hingegen die, die sich den großen Auftritt
       leisten können: Die großen französischen Gewerkschaften etwa, natürlich
       Attac, selbst die deutsche GEW oder die Friedrich-Ebert-Stiftung haben
       kleine Teilnehmer-Blocks. Und während Polizei und Militär in Tunesien sonst
       massive Präsenz auf den Straßen zeigen, halten sie sich am
       Dienstagnachmittag weitgehend im Hintergrund. Selbst die alte
       RCD-Parteizentrale, trotz Leerstand noch immer Hassobjekt für viele
       Tunesier, bewacht nur ein einziger Soldat hinter dem Zaun.
       
       Am Morgen war das Forum auf dem Campus der staatlichen El Manar Universität
       mit einer Frauenversammlung eröffnet worden. Am Mittwoch beginnen die über
       1.000 thematischen Veranstaltungen, bevor das Forum Samstag mit einer
       Demonstration für Palästina zu Ende gehen soll.
       
       26 Mar 2013
       
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