# taz.de -- Callcenter in Kosovo: Bei Anruf Deutsch
       
       > „Ich vermisse das Leben in Deutschland“, sagt Beka. Im Callcenter musste
       > der junge Kosovare Deutsch sprechen – und Kunden abzocken.
       
 (IMG) Bild: Es gibt zahlreiche Callcenter in Prishtina: Auf dem Display des Empfängers taucht mittels Rufumleitung eine deutsche Nummer auf.
       
       PRISHTINA taz | Am Telefon meldete er sich als Thomas König, Niklas Schmidt
       oder Luigi Giacometti. Denn niemand sollte ahnen, woher er anruft. In
       Wirklichkeit trägt der schlanke, junge Mann mit den hochgestellten Haaren
       einen traditionellen albanischen Namen. In dieser Geschichte soll er Beka
       heißen.
       
       Fünf Jahre lang hat Beka als Telefonagent für Callcenter im Kosovo
       gearbeitet; für Firmen, die systematisch Verbraucher in Deutschland und der
       Schweiz betrogen haben sollen. Deshalb möchte er seinen echten Namen nicht
       in der Zeitung lesen – auch wenn er nicht daran glaubt, dass ihn das
       deutsche Gesetz im Kosovo erreichen kann.
       
       Das denken anscheinend auch die Betreiber der illegalen Callcenter. Allein
       in der Umgebung von Prishtina soll es an die hundert solcher dubiosen
       Telefonzentralen geben. Von dort aus locken sie Anleger in ruinöse
       Aktiendeals, verkaufen Zeitschriften-Abos mit falschen Preisversprechen
       oder vermitteln zweifelhafte Coaching-Seminare – bevorzugt an Deutsche,
       Schweizer oder Österreicher.
       
       ## Teure Glücksspiel-Abos
       
       Beka hat damals unter anderem Glücksspiel-Abonnements verkauft. „Wir haben
       den Leuten alles Mögliche erzählt: Sie haben gewonnen, 490 Euro, die
       bekommen Sie sofort aufs Konto. Sie müssen nur noch ein paar Fragen
       beantworten, und dann brauchen wir ihre Kontodaten.“ Das Geld erhielten die
       Betroffenen allerdings nie, wie Beka berichtet. Stattdessen schoben ihnen
       die Callcenter-Agenten ein kostenpflichtiges Lotterie-Abo unter. „Am Ende
       des Gesprächs haben wir eine Aufzeichnung gemacht, eine Art Vertrag“, sagt
       Beka. Von einem Gewinn war in dem Mitschnitt nicht mehr die Rede. Dennoch
       stimmten viele zu. „Die Leute hatten ja schon im Kopf: Ich habe gewonnen.“
       
       Einige Callcenter-Bosse sollen mit derartigen Betrügereien reich geworden
       sein. Ein früherer Chef von Beka steht derzeit in Frankfurt vor Gericht.
       Ihm wird gewerbs- und bandenmäßiger Betrug vorgeworfen. Zuvor hatte die
       Staatsanwaltschaft bei ihm rund 1,6 Millionen Euro Vermögenswerte
       sichergestellt, darunter fast 100.000 Euro Bargeld und eine Kollektion
       wertvoller Uhren.
       
       Die Mitarbeiter der Callcenter profitierten in weit geringerem Maße:
       Zwischen 400 und 500 Euro Lohn habe er im Monat verdient, berichtet Beka.
       Für Kosovo immer noch ein gutes Gehalt – und zugleich wenig genug, um
       Kosovo als Outsourcing-Standort attraktiv zu machen. Inzwischen lassen auch
       deutsche Marktforschungsunternehmen ihre Umfragen in Prishtina durchführen.
       Andere Firmen lagern die Kundenbetreuung aus oder gleich das gesamte
       Sekretariat. Das ist vollkommen legal.
       
       ## Vermächtnis des Krieges
       
       Doch es sind nicht nur die niedrigen Personalkosten, die das Land für
       Callcenter-Betreiber attraktiv machen. Es ist vor allem die hohe
       Konzentration von Menschen mit Deutschkenntnissen – ein Vermächtnis des
       Krieges.
       
       Beka hat in seiner Kindheit und Jugend als Asylbewerber in Kassel gelebt.
       Erst mit 17 kehrte er in den Kosovo zurück. „Das war direkt nach dem Krieg.
       Überall verbrannte Häuser, überall kaputte Straßen. Ich habe mich in meinem
       Zimmer eingeschlossen, bin zwei Jahre lang fast nicht rausgegangen“,
       erzählt er. Das kleine Dorf, in das seine Eltern zurückkehrten, das alte
       Haus – das war nicht mehr sein Leben. Den Frust fraß er in sich hinein,
       zwischenzeitlich wog Beka – heute ein schmaler, fast zierlicher Mann – mehr
       als 130 Kilo. Sein einziger Wunsch: zurück nach Deutschland. Aber das war
       unmöglich.
       
       Seit Beka vor zwölf Jahren abgeschoben wurde, hat er den Kosovo nicht mehr
       verlassen. Für die Einreise gelten strenge Regeln, arbeiten dürfte Beka in
       Deutschland ohnehin nur in Ausnahmefällen. Eine Urlaubsreise kann er sich
       nicht leisten. „Ich vermisse das Leben in Deutschland. Ich vermisse meine
       Freunde“, sagt er. Die Dummheiten, die er mit André, Guiseppe, Serdaf und
       Ardo gemacht hat. Die Reise nach Hamburg mit der Clique aus dem
       Jugendzentrum – „das war perfekt. Wenn ich daran zurückdenke … Es ist mir
       schon passiert, dass ich angefangen habe zu heulen.“
       
       ## Ein Heer an Arbeitssklaven
       
       Viele Callcenter-Agenten in Prishtina haben ähnliche Geschichten erlebt.
       Laut Schätzungen flohen etwa 130.000 Kosovaren vor dem Krieg nach
       Deutschland. Viele kamen als Kinder, sie gingen zur Grundschule oder sogar
       aufs Gymnasium, bevor sie zurückmussten.
       
       Diese jungen Erwachsenen sind heute das Kapital der Callcenter-Betreiber.
       Laut Branchenkennern gibt es kaum ein Land in Europa außerhalb der EU, das
       so viele deutschsprachige Menschen hat. Wer durch die Straßen von Prishtina
       streift, entdeckt die Reklame der Telefonzentralen an den Hausfassaden, auf
       den Fernsehschirmen in Lokalen, auf Aushängen an den Glastüren der
       Universität. „Gute Arbeitszeiten, sehr gute Bezahlung“, wirbt ein
       Unternehmen auf einem Plakat. „Festgehalt und Provision“, heißt es in einer
       Stellenanzeige. Das sind gewichtige Versprechen in einem Land, in dem
       weniger als die Hälfte der Menschen einen Job haben.
       
       ## Nur Deutsch war erlaubt
       
       Die Arbeit bei einer der größten Telefonzentralen in Prishtina muss sich
       angefühlt haben wie das Leben in einer deutschen Exklave. „Im Callcenter
       haben wir nur Deutsch geredet. Wenn du Albanisch gesprochen hast, musstest
       du 10 Euro Strafe zahlen“, erzählt Beka. Morgens wurden die Mitarbeiter mit
       einem Shuttle-Bus abgeholt, aus den Boxen dröhnte deutscher HipHop. „Ich
       habe manchmal die Augen zugemacht und die Sprache gehört – dann habe ich
       für einen Moment vergessen, dass ich wieder im Kosovo bin.“
       
       Etwa 200 Anrufe habe er am Tag gemacht, rund 1.000 in der Woche, rechnet
       Beka vor. In fünf Jahren hätte er auf diese Weise die Nummern von etwa
       einer Viertelmillion Menschen in Deutschland gewählt. An seiner Identität
       habe nie jemand gezweifelt. Die Callcenter lassen ihre Anrufe umleiten,
       sodass auf dem Display des Empfängers eine deutsche Nummer erscheint.
       
       Am Anfang habe er selbst noch gedacht, mit den Anrufen etwas Gutes zu tun.
       „Wir sind gebrieft worden von den Teamleitern. Die haben uns erzählt, dass
       die Leute ja wirklich gewinnen können“, sagt Beka. Später habe er dann
       versucht, nicht mehr darüber nachzudenken, wer am anderen Ende der Leitung
       sitzt. „Manchmal haben Leute zurückgerufen, die haben geheult am Telefon“,
       erzählt er. Heute sieht man ihm an, dass es ihm leidtut.
       
       ## Ein Monatsgehalt einbehalten
       
       Aber wenn er sich an den Schreibtisch in seiner Box setzte, in die Reihe
       mit den vielen anderen Agenten, wenn er das Headset über den Kopf zog und
       der Computer automatisch die nächste Telefonnummer wählte – dann war er
       nicht mehr Beka aus dem Kosovo. Dann war er Thomas König, Niklas Schmidt
       oder Luigi Giacometti. Die drei kannten kein Mitleid. Die drei dachten nur
       an Prämien und Vertragsabschlüsse. An den Chef, der immer ein Monatsgehalt
       einbehielt, als Druckmittel.
       
       Wer ein bisschen Geld hat, kann sich im Kosovo leicht von seinen Problemen
       ablenken. Die Callcenter-Agenten verdienen besser als ein Lehrer oder ein
       Polizist. Beka war unabhängig damals: Er zog aus dem Elternhaus aus, von
       einem kleinen Ort in die Hauptstadt. Er finanzierte sein Studium, und an
       den Abenden ging er mit den Kolleginnen und Kollegen feiern. Wenn er heute
       Freunde von damals trifft, hört er wieder die Sätze, die er sich selbst
       früher gesagt hat: Wie können die Leute denn so blöd sein, auf so etwas
       hereinzufallen? Warum rückt jemand seine persönlichsten Daten heraus, für
       490 Euro? Warum vergessen sie alle Warnungen für die Aussicht auf ein
       bisschen Glück?
       
       ## „Nie wieder Callcenter“
       
       Für Beka kam das Erwachen im vergangenen Jahr. Damals wurde das Callcenter
       geschlossen, in dem er arbeitete. Zeitgleich leitete die deutsche
       Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen seinen früheren Arbeitgeber ein. Die
       Mitarbeiter sind weitergezogen, zu den legal arbeitenden
       Marktforschungsinstituten oder zu anderen dubiosen Geschäftemachern. Eine
       frühere Kollegin von Beka berichtet, die damaligen Teamleiter hätten
       inzwischen reihenweise neue Filialen aufgemacht. Sie selbst ist bis heute
       dabei.
       
       Aber Beka traf eine Entscheidung: „Nie wieder Callcenter!“ Heute wohnt er
       wieder bei seinen Eltern, mit Ende zwanzig. Zurück in dem kleinen
       Städtchen, in dem die größte Attraktion ein Café im Obergeschoss eines
       Bürohauses ist. Bis heute ist er nicht sicher, ob die fünf Jahre ein Traum
       oder ein Albtraum waren. Er versucht jetzt, gemeinsam mit seiner Schwester
       eine Sprachschule aufzubauen.
       
       „Ich habe mich mit dem Leben hier arrangiert“, sagt Beka. Trotzdem schreckt
       er jedes Mal auf, wenn in den Nachrichten über die Visa-Verhandlungen
       zwischen Kosovo und EU berichtet wird. „Ich würde gern noch mal zurück.
       Nicht, um dort zu leben, nur zu Besuch“, sagt Beka. „Mann, wie ich dieses
       Land vermisse!“
       
       19 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arne Schulz
 (DIR) Urs Spindler
       
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