# taz.de -- Kommentar Flutkatastrophe: Anspruch statt Barmherzigkeit
       
       > Der Wunsch, Geld für die Opfer der Flutkatastrophe zu überweisen, ist so
       > verständlich wie sympathisch. Es gibt ja derzeit keine Alternative. Aber
       > genau das ist eine Schande.
       
 (IMG) Bild: Grimma unter Wasser. Schon wieder. Spendenbereitschaft allein reicht da nicht aus.
       
       Wer kein Herz aus Stein hat, möchte beim Anblick von menschlichem Leid
       helfen – vor allem dann, wenn man sich in die Lage der Betroffenen halbwegs
       hineinversetzen kann. Bei den Flutopfern ist das so schwierig nicht, und
       manche Fernsehinterviews sind in diesen Tagen kaum zu ertragen: mit dem
       alten Ehepaar im sächsischen Grimma beispielsweise, das hilflos schluchzend
       sagt, alles sei verloren, und man habe doch gerade erst die neuen Möbel
       gekauft. Oder mit der Inhaberin eines Jeansladens in Passau, deren Geschäft
       zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre von einer „Jahrhundertflut“
       heimgesucht wurde. Die Jahrhunderte werden immer kürzer.
       
       Irgendetwas muss man doch tun können, um den Leuten zu helfen! Spenden. Ja,
       natürlich. Spenden. Was sonst? Wir haben uns inzwischen daran gewöhnt, dass
       Elend in vielen Fällen nur noch durch Hilfsbereitschaft gelindert werden
       kann. Mit einem Sozialstaat, der Lebensrisiken verlässlich absichert, hat
       unser Gemeinwesen offenbar nicht mehr viel zu tun.
       
       Nun ist der Wunsch, Geld für die Opfer der Flutkatastrophe zu überweisen,
       ebenso verständlich wie sympathisch. Es gibt ja derzeit keine Alternative.
       Aber genau das ist eine Schande. Niemand sollte hierzulande auf
       Barmherzigkeit angewiesen sein, der oder die unverschuldet in Not gerät.
       Zumal nicht in einer Zeit, in der Banken mit Steuergeldern gerettet werden,
       weil sie – so die offizielle Begründung – „systemrelevant“ seien.
       
       Als ob die Flutopfer nicht systemrelevant wären. Gewiss: Wer beschließt,
       sich in einem gefährdeten Gebiet anzusiedeln oder dort den Lebensunterhalt
       verdienen zu wollen, trifft eine private Entscheidung, die anders hätte
       getroffen werden können. Aber die Gesamtheit dieser Entscheidungen liegt
       durchaus im Interesse der Allgemeinheit.
       
       Es ist gesellschaftlich, kulturell und vor allem auch volkswirtschaftlich
       erwünscht, dass nicht ganze Landstriche in Ostdeutschland entvölkert werden
       oder dass eine Stadt wie Passau weiterhin Touristen anzieht. Wozu eben
       nette Boutiquen in der Altstadt und Restaurants mit Blick auf die Donau
       gebraucht werden. Warum werden manche, deren Aktivitäten im öffentlichen
       Interesse liegen, mit dem Risiko allein gelassen und andere nicht?
       
       Es ist auch eine individuelle Entscheidung, wenn jemand den Beruf des
       Polizisten ergreift. Dennoch würde niemand achselzuckend sagen, es sei halt
       Berufsrisiko, wenn ein Kriminalbeamter zum Krüppel geschossen wird. In
       einem solchen Fall fühlt sich der Staat zuständig – und zwar ohne dass der
       Eindruck erweckt wird, es würden großzügigerweise mildtätige Gaben
       verteilt. Dasselbe müsste für Opfer der Flutkatastrophe gelten. Es geht
       nicht um Freundlichkeiten, es geht um Ansprüche.
       
       Bestenfalls hilflos und schlimmstenfalls zynisch ist es, jetzt an das
       Mitleid der Versicherungswirtschaft zu appellieren. Zu den Aufgaben
       börsennotierter Unternehmen gehört es nicht, Gefühle zu zeigen.
       
       Versicherungskonzerne sind ihren Aktionären gegenüber verpflichtet, eine
       seriöse Risikoabschätzung vorzunehmen. Sie dürfen eingenommene Gelder nicht
       vertragswidrig ausgeben, sie sind verpflichtet, Prämien zweckgebunden zu
       verwenden. Sie müssen – wenn irgend möglich – eine Rendite erzielen. Der
       Staat muss das nicht.
       
       Die neuerliche Flutkatastrophe könnte eine gute Gelegenheit sein, darüber
       nachzudenken, ob fundamentale, unvermeidbare Existenzbedrohungen
       tatsächlich von kapitalistisch organisierten – also zwangsläufig
       gewinnorientierten – Unternehmen abgesichert werden sollten. Aber selbst
       wenn man so grundsätzlich nicht werden möchte, lässt sich eine ganz
       konkrete, praktische Frage stellen: Warum bietet der Staat nicht eine
       freiwillige, bezahlbare Versicherung für Elementarschäden in jenen Gebieten
       an, die kommerzielle Konzerne für allzu riskant halten? Schließlich gibt es
       ja auch andere Maßnahmen der Strukturförderung. Und andere staatliche
       Risikobürgschaften.
       
       Seit vielen Jahren haben wechselnde Regierungskoalitionen daran gearbeitet,
       die Schutzfunktion des Staates abzubauen. Private Vorsorge und
       Eigeninitiative hießen die Zauberwörter dieser Ideologie. Es ist Zeit,
       umzudenken. Und die Fürsorgepflicht des Staates zur Abwechslung mal zu
       erweitern.
       
       9 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Gaus
       
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