# taz.de -- Tankzug-Explosion in Kanada: Rollende Zeitbomben
       
       > Wegen des Ölbooms werden in Nordamerika immer mehr Gefahrgüter auf
       > Schienen verlagert. Folge: Es häufen sich schwere Unfälle wie jüngst der
       > in Lac-Mégantic.
       
 (IMG) Bild: Zusammengefaltet wie eine Modelleisenbahn: Der ausgebrannte Tankzug von Lac-Mégantic.
       
       EDMONTON taz | Gut eine Woche ist vergangen, aber die Bilder sind immer
       noch präsent: ein Zug, randvoll mit Rohöl aus den USA, geparkt an einem
       Abhang vor der kanadischen Kleinstadt Lac-Mégantic. Als sich der Lokführer
       schlafen legt, kommen die 73 Tankwaggons ins Rollen, vielleicht weil die
       Handbremsen nicht richtig angezogen waren. Mit über 100 Stundenkilometern
       rast der Zug in den Ort, explodiert und legt das Zentrum in Schutt und
       Asche. Vermutlich 50 Menschen kommen ums Leben.
       
       Die Zugkatastrophe hat Kanada schwer getroffen. Das Land ist entlang von
       Schienen groß geworden: Die Eisenbahn brachte Siedler ins Land, erschloss
       den ressourcenreichen Westen und ermöglichte so den Aufstieg zur
       Industrienation. Auch heute noch gehören die rund 70.000 Kilometer
       Schienennetz zu den ökonomischen Lebensadern des flächenmäßig zweitgrößten
       Landes der Erde.
       
       Das Bahngeschäft allerdings hat sich in den letzten Jahren radikal
       verändert. Lange transportierten die Züge vor allem Menschen, Getreide und
       Baustoffe über den Kontinent. Heute schlängeln sich immer häufiger
       kilometerlange Tankzüge durch das Land.
       
       Noch 2009 transportierten die zwei größten kanadischen Bahngesellschaften
       Canadian National und Canadian Pacific im gesamten Jahr nur 500 Kesselwagen
       Öl mit jeweils 58.000 Litern. Dieses Jahr werden es über 130.000 sein.
       
       Ähnlich rasant ist die Entwicklung in den USA. Heute wird dort 40-mal mehr
       Öl per Bahn transportiert als noch vor fünf Jahren. Das meiste stammt aus
       den Ölsandregionen in der kanadischen Provinz Alberta und den boomenden
       Schieferölfeldern in Nord-Dakota.
       
       Der Zug der Montréal, Maine & Atlantic Railway, der Lac-Mégantic in Trümmer
       legte, wollte Schieferöl aus dem Bakken-Ölfeld in Nord-Dakota in Kanadas
       größte Erdölverarbeitungsanlage, die Ivring-Raffinerie in New Brunswick,
       bringen.
       
       ## „Pipeline auf Schienen“
       
       Dass dort immer häufiger Tankzüge anlanden, hat mit den knappen
       Pipelinekapazitäten zu tun. In den USA und Kanada liegen derzeit mehrere
       Projekte wegen Widerständen von Umweltschützern und Ureinwohnern auf Eis –
       unter anderem die umstrittene Keystone-XL-Pipeline, die einmal von Kanada
       bis an den Golf von Mexiko führen soll. Die Ölfirmen weichen auf Tankwagen
       und Güterzüge aus. Die Bahngesellschaften werben mit dem Slogan „Pipeline
       auf Schienen“ für das lukrative Geschäft.
       
       In manchen Fällen sind Bahntransporte zudem flexibler und kostengünstiger
       als Pipelines. Viele Schieferölfelder in Nord-Dakota sind nur auf zehn bis
       zwölf Jahre Förderung ausgelegt, da lohnt der Bau einer Röhre nicht. Ein
       paar Gleise aber sind schnell verlegt. Allein in Kanada wollen die
       Bahnunternehmen in den nächsten Jahren 1 Milliarde Dollar in ihr
       Schienennetz investieren und 30.000 neue Kesselwagen kaufen.
       
       Das ist umstritten. Zwar sind tödliche Bahnunfälle wie der in Lac-Mégantic
       laut US-Transportministerium äußerst selten. Statistisch gesehen sind sie
       trotzdem 25-mal wahrscheinlicher als tödliche Pipeline-Unfälle. Die
       Internationale Energieagentur hat errechnet, dass es bei Bahntransporten
       sechsmal häufiger zu Ölverschmutzungen kommt als bei Pipelines.
       
       ## Unfälle häufen sich
       
       Tatsächlich häuften sich in Nordamerika zuletzt die Zwischenfälle. In
       Saskatchewan liefen bei einer Entgleisung 90.000 Liter Öl aus, in Minnesota
       55.000 Liter. Calgary entging im Juni knapp einer Ölpest, als ein Kesselzug
       auf einer Brücke stecken blieb. Die Montréal, Maine & Atlantic Railway
       hatte laut Medienberichten allein 2012 acht Entgleisungen und vier
       Kollisionen.
       
       Umweltschützer machen laxe Kontrollen und Materialübermüdung
       verantwortlich. Kanada hat nur 35 Inspektoren für Gefahrguttransporte, der
       Rechnungshof bezeichnet das System als ineffektiv.
       
       Drei von vier Kesselwagen in Nordamerika gehören einem völlig veralteten
       Typ an – auch die des Unglückszugs von Lac-Mégantic. Seit 1994 bereits
       warnt die kanadische Transportbehörde, die Ölwaggons dieser Serie seien
       „sehr anfällig“.
       
       15 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörg Michel
       
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