# taz.de -- Kommentar zur Lage in Ägypten: Rückkehr zu alten Verhältnissen
       
       > Die ägyptischen Sicherheitskräfte haben brachial jeden Versuch einer
       > politischen Einigung zunichtegemacht. So sieht eine Konterrevolution aus.
       
 (IMG) Bild: Anhängerin der Muslimbruderschaft in Kairo.
       
       Als „Massaker“ hat die Muslimbruderschaft die Räumung von Protestlagern des
       gestürzten ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi bezeichnet. Das scheint
       eine zutreffende Beschreibung der Ereignisse zu sein. Wie sonst soll man es
       nennen, wenn friedliche Demonstranten mit gepanzerten Fahrzeugen
       angegriffen werden, wenn auf sie scharf geschossen wird und es zahlreiche
       Tote und Verletzte gibt?
       
       In Kairo sind aber nicht nur Menschen gestorben, sondern auch alle
       Hoffnungen darauf, dass die Streitkräfte tatsächlich bereit sind, Ägypten
       in die Demokratie zurückzuführen. Wer so brutal gegen die Opposition im
       eigenen Land vorgeht, wird allenfalls ein Marionettenregime dulden, aber
       keine unabhängige Regierung. Offenbar hat das auch Friedensnobelpreisträger
       Mohamed El Baradei erkannt. Er trat als Vizepräsident der
       Übergangsregierung zurück, weil er nicht länger die „Verantwortung für
       Entscheidungen“ übernehmen wolle, mit denen er nicht einverstanden sei.
       
       Nicht weiter überraschend ist es, dass die behaupten Opferzahlen der
       Machthaber und der Muslimbrüder stark voneinander abweichen und dass beide
       Seiten sehr unterschiedliche Berichte liefern. Das pflegt in solchen Fällen
       so zu sein. Aber selbst wenn die offizielle Lesart stimmt, derzufolge
       Demonstranten bewaffnet waren und geschossen haben: Dann ändert das nichts
       daran, dass von den Protestlagern bisher keine Gewalt ausgegangen war.
       
       Und es ändert auch und vor allem nichts daran, dass die Sicherheitskräfte –
       wenn man sie denn so nennen möchte – jeden Versuch einer politischen
       Einigung zunichte gemacht haben.
       
       Seit Jahrzehnten hat das ägyptische Militär die Fäden gezogen, an denen die
       zivilen Politiker des Landes hingen. Es sah so aus, als ob der arabische
       Frühling dem ein Ende bereiten würde. Jetzt zeichnet sich eine Rückkehr zu
       den alten Verhältnissen ab. Man kann auch sagen: In Ägypten ist derzeit zu
       besichtigen, wie eine Konterrevolution aussieht.
       
       Es gibt wahrlich gute Gründe, an der demokratischen Geisteshaltung vieler
       Muslimbrüder zu zweifeln. Und es gab gute Gründe für viele Ägypter, von der
       Regierung Mursi enttäuscht zu sein. Aber Menschenrechte und demokratische
       Freiheiten gelten nicht nur für Sympathieträger. Sondern für alle. Sonst
       gelten sie gar nicht.
       
       Vor 40 Jahren fand der Putsch gegen den chilenischen Präsidenten Salvador
       Allende statt, Tausende wurden damals gefoltert und ermordet. Vor fast
       einem Vierteljahrhundert wurden chinesische Demonstranten auf dem Platz des
       himmlischen Friedens in Peking niedergemetzelt. Beide Ereignisse haben zu
       erbitterten, lang anhaltenden Protesten von Demokraten weltweit geführt.
       Wer es ernst meint mit dem Beharren auf Freiheit und Grundrechten, darf
       jetzt nicht deshalb schweigen, weil er oder sie die Muslimbrüder politisch
       ablehnt. Das ist eine Frage der Moral.
       
       Aber die Verurteilung der Ereignisse in Kairo ist darüber hinaus eine Frage
       der politischen Klugheit. Wenn dieses Massaker achselzuckend hingenommen
       wird, gibt es für Islamisten überhaupt keine Argumente mehr, sich auf
       demokratische Prozesse einzulassen. Schließlich haben sie damit genug
       schlechte Erfahrungen gemacht: In Algerien, in den Palästinensergebieten –
       und nun in Ägypten. Ohne die Solidarität von Leuten, die mit den
       Muslimbrüdern politisch nichts gemein haben, muss jetzt jeder Islamist das
       Gefühl haben, der Weg in den Untergrund sei das einzige Mittel der Wahl.
       Das zu verhindern, liegt im Interesse der ganzen Welt.
       
       14 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Gaus
       
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