# taz.de -- Roma in Berlin: Endstation im Niemandsland
       
       > Massenhaft wurden für den Bau der A 100 Kleingärten in Neukölln geräumt.
       > Zwischen Sperrmüll haben sich dort rund 50 Menschen ein provisorisches
       > Leben eingerichtet.
       
       Alexandru Melian ist Wächter im Niemandsland. Das Loch im Zaun, das Tor in
       seine Welt. Die zertrampelten Büsche sein Wald, das ärmliche Dutzend Hütten
       sein Dorf, der aufgeweichte Sperrmüll, die leeren Flaschen sein Besitz. Ein
       dunkelrotes Käppi thront auf Melians ergrautem Haar, ein zerlaufenes Herz
       ziert seinen linken Unterarm. Wenn Melian lacht, legt sich ein feines Netz
       aus Falten um seine blauen Augen. Er steht in der Tür seiner kleinen Hütte.
       „Jedem, der hier hungrig vorbeikommt, gebe ich von meinem Brot“, sagt er
       und deutet auf den schmalen Trampelpfad, der an seinem Haus vorbei auf das
       Gelände führt.
       
       Seit mehr als zehn Monaten lebt Alexandru Melian, der aus der rumänischen
       Stadt Bacau kommt, am Rand von Neukölln zwischen wucherndem Unkraut, Müll
       und zertrümmerten Möbelresten, zwischen Sonnenallee und Treptow. Umrahmt
       von Kleingartenvereinen, Autowerkstätten und Schrottplätzen. Das Gelände
       gehört der Stadt, früher buddelten hier Kleingärtner.
       
       Im Jahr 2010 wurde das Gebiet geräumt, um Platz für die umstrittene
       Stadtautobahn A 100 zu schaffen. Es gibt weder Strom noch Wasser noch
       irgendeine Form von sanitärer Anlage. Die Fenster der Hütten sind kaputt,
       die Dächer nur notdürftig mit Planen und Holzlatten geflickt. Wer hier
       lebt, ist gestrandet.
       
       Vor ein paar Tagen berichtete die Berliner Zeitung über das Gelände als
       „den Slum von nebenan“. Seitdem sind die Behörden alarmiert. „Das Gelände
       wird nach und nach geräumt werden“, sagt Petra Rohland, Sprecherin der
       Senatsverwaltung für Umwelt und Stadtentwicklung. Was dann mit Alexandru
       Melian und den anderen Bewohnern werden soll, weiß niemand. Die Behörde
       verweist auf die Integrationsbeauftragte, die Integrationsbeauftragte
       verweist auf den Bezirk, der Bezirk verweist auf den Senat.
       
       Melian sitzt auf einem verblichenen Schlafsofa. Links neben ihm steht ein
       alter Fernseher, der als Ablage dient. „Wenn wir hier wegmüssen, gehen wir
       woandershin“, sagt er achselzuckend. In einer Ecke der Hütte stapeln sich
       Wasserkanister. Dämmmaterial quillt aus dem kaputten Dach. „Das Wasser
       bekommen wir von den umliegenden Autowerkstätten, und gekocht wird
       hiermit“, sagt Melian und hält einen verrosteten Spirituskocher hoch. „Wir“
       – das sind nach Melians Schätzung 50 weitere Menschen. Nicht alle sind
       rumänische Roma, wie Melian, sein Cousin Lacatus und sein Freund Suras, mit
       dem er sich die Hütte teilt. Auch Polen, Bulgaren und ein paar Deutsche
       haben sich hier ein provisorisches Leben eingerichtet. Mit 57 Jahren ist
       Melian der Älteste. Jeder kennt ihn. „Mit Problemen kommen die Leute zu
       mir“, sagt er.
       
       Melians Weg ins Niemandsland ist lang und verworren. Das erste Mal kam er
       1992 nach Berlin auf der Suche nach Arbeit. Unter dem rumänischen Diktator
       Ceausescu hatte er Straßen für den Staat gebaut. Ihm, seiner Frau und den
       beiden Töchtern ging es gut. Alexandru Melian besaß ein Haus, eine
       Krankenversicherung, ein sicheres Einkommen. Doch nach dem Sturz des
       Regimes und der Wende musste die Firma schließen, Melian verlor seinen Job,
       das Haus. Er beschloss, illegal nach Berlin zu reisen, um Geld zu
       verdienen. Mal arbeitete er auf dem Bau, mal als Hilfsarbeiter. Das Geld
       kam immer schwarz und bar auf die Hand.
       
       Wenn die Sehnsucht nach seiner Familie zu groß wurde, fuhr er zurück nach
       Rumänien. Wenn ihm das Geld ausging, kam er zurück nach Berlin. Seit über
       20 Jahren geht das so. Eine Zeit lang konnte Melian eine günstige Wohnung
       in der Sonnenallee mieten, gemeinsam mit seinem Freund Suras. Irgendwann
       kam es zum Streit mit dem Vermieter, Melian und Suras zogen in einen
       Wohnwagen. Im Winter war es kalt, das Geld knapp. Suras begann zu klauen,
       wurde erwischt und musste eine Haftstrafe absitzen. „Dieses Leben hat
       meinen Freund krank gemacht“, sagt Alexandru Melian. Im Oktober vergangenen
       Jahres traf Melian seinen Cousin Lacatus in Berlin. Der erzählte ihm von
       einem Gelände, auf dem sie umsonst wohnen könnten.
       
       Deutschland sei ein gutes Land, findet Melian. Er mag Angela Merkel: „Die
       könnte gern in meiner Heimat Präsidentin werden.“ Damit sie in Deutschland
       offiziell arbeiten können, brauchen Rumänen und Bulgaren bisher eine
       EU-Arbeitsgenehmigung. Ausnahmen sind Fachkräfte und Hochschulabsolventen.
       Melian kann weder einen Hochschulabschluss noch ein Ausbildungszeugnis
       vorlegen. Damit sind seine Chancen auf einen Arbeitsvertrag gleich null.
       Denn ohne Vertrag kein Mietvertrag. Ohne Mietvertrag keine Anmeldung. Ohne
       Anmeldung keine Perspektive auf Besserung. Und warum bleiben Alexandru
       Melian und die anderen trotzdem hier?
       
       „Wir können hier mit Schwarzarbeit, Obdachlosenzeitung und Flaschensammeln
       mehr Geld verdienen als mit einem regulären Job in Rumänien“, sagt Melian.
       „Deswegen sind wir hier.“
       
       18 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gesa Steeger
       
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