# taz.de -- Wahlkampf an der Basis: Der Zuhörer
       
       > In den Hamburger Randbezirken will ein Rechtsanwalt mit türkischen
       > Wurzeln einen traditionsreichen SPD-Wahlkreis gewinnen. Die Parteispitze
       > hat ihn sich nicht ausgesucht.
       
 (IMG) Bild: Sie mögen es, wenn ihnen der Bundestagskandidat zuhört: Metin Hakverdi im Süden Hamburgs.
       
       HAMBURG taz | Der Herr mit der Nickelbrille interessiert sich für
       Gewächshäuser. Wenn er über Botanik spricht, dann wippt das kahle Haupt im
       Takt. „Das sind Anzuchtschränke für Nützlinge“, sagt er und zeigt im
       gläsernen Kompetenzzentrum Gartenbau im Hamburger Stadtteil Moorfleet auf
       einen deckenhohen Metallkasten. Der brummt. „Die Gärtner unter Ihnen kennen
       das.“
       
       Hier draußen, ganz am Rande der Großstadt, stehen 20 Männer in
       Holzfällerhemden im Kreis – und Metin Hakverdi. Er hat sich für diesen
       Abend einen Schlips umgebunden, in Sozialdemokratie-Rot. Im Grunde ist es
       bei den Bauern doch auch nicht anders als bei den alten Leuten, mit denen
       Hakverdi im Heim ein Stück Kuchen isst: Sie mögen es, wenn ihnen der
       Bundestagskandidat zuhört.
       
       Metin Hakverdi, 43 Jahre alt, ist der neue SPD-Direktkandidat für den
       Bundestagswahlkreis Hamburg-Bergedorf-Harburg, dessen Bewohner seit
       Bestehen der Bundesrepublik stets SPD-Abgeordnete gewählt haben: Neun Mal
       Herbert Wehner, acht Mal Hans-Ulrich Klose, fünf Mal Helmut Schmidt. 2002
       wurden das ländliche Bergedorf und der Arbeiterstadtteil Harburg zu einem
       Wahlkreis zusammengelegt, an der SPD-Dominanz hat das nichts geändert.
       
       Darauf hofft jetzt auch Hakverdi, der in die Fußstapfen des
       Immer-Noch-Altkanzlers Schmidt, des langjährigen Zuchtmeisters der
       SPD-Bundestagsfraktion Wehner und des früheren Hamburger Bürgermeisters
       Klose treten will. Der Außenpolitiker Klose tritt nach 30 Jahren im
       Bundestag nicht wieder an, an seiner Stelle kandidiert nun Metin Hakverdi.
       Weil die Basis ihn nominiert hat.
       
       Der Seminarraum, in dem neben dem Bergedorfer S-Bahnhof sonst Integration
       unterrichtet wird, ist um halb zwölf bis auf den letzten Platz besetzt. „Su
       Akademie“ heißt diese Sprachschule. Su bedeutet Wasser, so viel Türkisch
       kann Hakverdi noch. Die Migranten im Wahlkreis fragen ihn nach so etwas,
       sagt er – nur die: „Ich bin nicht mehr das Zebra im Zoo.“ Er stützt sich
       auf die türkische Community, heißt es dagegen in der Hamburger
       Parteispitze. Die sei schließlich stark in diesen Außenbezirken der Stadt.
       
       „Guten Tag, ich heiße Metin Hakverdi und bin Einwanderersohn“, sagt Metin
       Hakverdi und holt Luft. Der Vater kam aus Anatolien nach Deutschland, seine
       Mutter aus Mecklenburg-Vorpommern. Er selbst wuchs im sozial schwachen
       Hamburger Viertel Wilhelmsburg auf, als ein Junge mit ausländischem
       Nachnamen in den Siebzigerjahren – und seine einzige Chance war Bildung.
       Sozialdemokratisch geförderte. Er steht breitbeinig, die Schatten um seine
       Augen sind beinahe rund. Hakverdi ist auf dieses Direktmandat angewiesen.
       Sein Listenplatz ist zu schlecht.
       
       Jetzt Fragen. Eine Frau steht auf, aus Afghanistan, sagt sie, seit elf
       Jahren hier. „Wir haben große Probleme mit Kopftuch. Die mit Kopftuch auch
       ein Mensch.“ Dann drückt sie ein Taschentuch auf ihre Augen. „Das ist
       Demokratie“, sagt Hakverdi. „Das heißt nur, dass 51 Prozent der Menschen
       entscheiden, welche Steuern sie zahlen. Nicht, dass es gute Menschen sind.“
       
       Hakverdi arbeitete als Rechtsanwalt, bevor er 2001 in die SPD eintrat. Er
       wurde Bürgerschaftsabgeordneter, sitzt im Parlamentspräsidium, profilierte
       sich im Untersuchungsausschuss zur Kostenexplosion bei der Elbphilharmonie.
       Jetzt will er den nächsten Schritt machen.
       
       Wahlkampf an der Basis, für Hakverdi heißt das Hausbesuche. Zehn Stunden am
       Tag, sagt er, auch wenn es regnet. Er hat schon im März damit angefangen.
       Dazu Verbände abklappern, Bürgerzentren, Wohlfahrtseinrichtungen,
       Podiumsdiskussionen. Rentner, Schüler, Landwirte. Die Themen ergeben sich.
       
       Im Nachbarwahlkreis Hamburg-Mitte führt der Genosse Johannes Kahrs,
       Vorsitzender des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, eine ähnliche
       Materialschlacht: 80 Wähler-Busfahrten nach Berlin im Jahr, 250 Hausbesuche
       und seine Hafenrundfahrten mit dem Wahlvolk zählt Kahrs auf, Infostände und
       Vereinsbesuche. Seit 15 Jahren wirbt er auf diese Weise für sein Mandat.
       Aber Hakverdis Pensum – „der nackte Wahnsinn“, sagt Kahrs: „Ich weiß nicht,
       wie der das durchhält.“
       
       Hakverdi ist Bundestagskandidat geworden, weil er Stimmen gesammelt hat –
       gegen den Wunsch von Landeschef und Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der
       seinen Konkurrenten lieber gesehen hätte: Der Abgeordnete Ingo Egloff
       wollte ebenfalls Kloses SPD-Wahlkreis beerben. Er sitzt schon heute im
       Berliner Wirtschaftsausschuss. Er sei eben keiner, der sich jeden Monat mit
       Parteifreunden im Keller trifft, sagt Hakverdi. Er sei spät in die Partei
       gekommen und deshalb nicht so vereinnahmt.
       
       „Mein Name ist Metin Hakverdi und ich bin Haushalts und Finanzpolitiker“,
       sagt Hakverdi zu acht Stuhlreihen voll karierter Oberhemden. In Moorfleet
       folgt auf die Führung durch das Glashaus ein Politiker-Podium. Mindestlohn
       in Landwirtschaftsbetrieben? Die Gesichtszüge der Bauern wirken, als seien
       sie eingefroren. „Spätestens ab der Rente kann man die Rechnung nicht ohne
       den Wirt machen“, sagt Hakverdi zu ihnen.
       
       Wortmeldung von einem, der Ackerbau betreibt, Rindermast und Jagd. „Wir
       sind uns im Arbeitskreis Gänse komplett einig, dass wir ein Problem mit
       Gänsen haben“, sagt er: „Es sind zu viele.“ Hakverdi hat seine Ellenbogen
       auf den Tisch gestützt, die blauen Augen in den Saal gerichtet. „Ich kann
       Ihnen versprechen“, sagt er, „dass Sie mit mir einen Ansprechpartner
       haben.“
       
       16 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kristiana Ludwig
       
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