# taz.de -- Frankreich und die Bundestagswahl: Kein Savoir-Vivre
       
       > „Sie wollen keine Kinder, und ihre Immigranten hauen ab.“ Die Franzosen
       > interessieren sich für die Lebensverhältnise beim Nachbarn – nicht für
       > Wahlprogramme.
       
 (IMG) Bild: „Niemand hat doch Lust zu leben wie Deutsche“, glaubt mancher Franzose. Bauer in Berchtesgaden.
       
       PARIS taz | Spätestens seit der Bayern-Wahl steht für die französischen
       Medien fest, dass Angela Merkel die Wahlen gewinnen wird. Ganz Europa setze
       auf die Wiederwahl, meinte am Dienstag Le Figaro. Auch für Le Monde geht „a
       priori“ die Rechnung für Merkel und ihre Kampagne auf: „Deutschland geht es
       gut und ein großer Teil der Wähler will nur eins: dass es so weitergeht.“
       Das französische Online-Magazin [1][Slate.fr] versucht den Lesern dennoch
       alle möglichen infrage kommenden Koalitionen zu schildern und erklärt, was
       in dieser Hinsicht die Jamaika-Flaggenfarben bedeuten.
       
       Für die Linksregierung in Paris drehen sich die Spekulationen höchstens
       noch darum, ob es zu einer Großen Koalition kommt oder nicht. Was in
       Frankreich an dieser Wahl interessiert, sind weniger die Programme, sondern
       eher die Lebensverhältnisse beim Nachbarn.
       
       Den Auftakt dazu hatte Jean-Luc Mélenchon, der Gründer und ehemalige
       Präsidentschaftskandidat der französischen Linkspartei (Parti de Gauche)
       gemacht. Er nimmt selten ein Blatt vor den Mund, wenn es um seine Meinung
       zu Deutschland vor den Bundestagswahlen geht: „Niemand hat doch Lust zu
       leben wie Deutsche“, glaubt er voller Stolz auf das französische
       Savoir-vivre zu wissen.
       
       Ausgangspunkt seiner vernichtenden Kritik an der deutschen Lebensart sind
       die demografische Entwicklung und der Vergleich mit der französischen
       Familienpolitik und Geburtenförderung: „Wir sind doch heilfroh, Kinder zu
       haben. In fünfzehn Jahren werden wir (einwohnermäßig) zahlreicher sein als
       die Deutschen. Ihr Modell ist für Menschen, die sich nicht für das Leben
       interessieren.“
       
       ## Sie wollen keine Kinder“
       
       Den Beweis für die kategorische Behauptung liefert er mit der Statistik:
       „Sie sind im Durchschnitt ärmer und sterben früher (als die Franzosen und
       Französinnen), sie wollen keine Kinder, und ihre Immigranten hauen ab, weil
       sie nicht mehr mit ihnen leben wollen.“
       
       „Bei diesen Wahlen wird nichts passieren. Entweder wird Angela Merkel wie
       heute mit den Liberalen eine Koalition bilden oder mit den
       Sozialdemokraten. In beiden Fällen ist keine Wende, sondern höchstens eine
       leichte Korrektur zu erwarten“, meint ein führender französischer
       Unternehmer, der Ehrenvorsitzende des Verpackungskonzerns Saint-Gobain,
       Jean-Louis Beffa.
       
       Er führt in Le Monde Deutschlands Stärke auf diesen breiten Konsens von SPD
       bis CDU in der politischen Mitte zurück, der es Deutschland (im Unterschied
       zu Frankreich) erlaubt habe, die Reformen des Arbeitsmarkts, der
       Berufsausbildung, der Sozialversicherung und der öffentlichen Verwaltung
       durchzuführen.
       
       Indessen ist auch für Beffa Deutschland „kein voller Erfolg“. Auch er zählt
       die soziale Ungleichheit, das Fehlen eines Mindestlohns, die Zahl von
       working poor und die geringe Geburtenrate auf, die durch Immigration
       kompensiert werden müsse. Am meisten aber befürchtet er ein Fiasko für die
       Wettbewerbsfähigkeit wegen des Ausstiegs aus der Atomenergie. In einem
       Punkt stimmt der Arbeitgeber mit dem Antikapitalisten Mélenchon überein:
       „Was Deutschland fehlt, ist ’Lebenskunst‘.“ Auch daran wird sich mit den
       Wahlen nichts ändern. Darin sind sich die beiden Kritiker einig.
       
       21 Sep 2013
       
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