# taz.de -- Geheimdienst an der Spree: Die Stadt der Spione
       
       > Die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Mitte nimmt Gestalt an: Ins
       > teuerste Gebäude, das die Bundesrepublik je errichtet hat, sollen
       > nächstes Jahr die ersten von rund 4.000 Beschäftigen einziehen.
       
 (IMG) Bild: Wie eine riesige Festplatte, die mitten in der Stadt gelandet ist - das BND-Gebäude.
       
       Zwei Palmen mit grünen Wedeln wachsen seit einiger Zeit auf einer Baustelle
       an der Grenze zwischen Wedding und Mitte gen Himmel. In der Nähe der
       Chausseestraße, wo sich die südliche Panke durch die Stadt schlängelt,
       stechen dem Spaziergänger die 22 Meter hohen Pflanzen ins Auge. Erst auf
       den zweiten Blick sind die künstlichen Materialien zu erkennen, aus denen
       die Palmen bestehen. Auf seiner Homepage spricht der künftige Mieter des
       Gebäudes nebulös – wie es wohl seine Art ist – von „als Palmen getarnten
       Funkmasten“. Mit ihren Assoziationen zu Sonne, Wüste und Meer stehen die
       Palmen im deutlichen Kontrast zur strengen und monumentalen Fassade, die
       hinter ihnen aus der Baugrube gewachsen ist.
       
       Auf einem Gelände so groß wie 35 Fußballfelder entsteht zwischen
       Chausseestraße und Panke die neue Zentrale des Bundesnachrichtendienstes
       (BND). Bauherr ist die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, der
       Auslandsgeheimdienst BND nur der Mieter. 20.000 Tonnen Stahl und 135.000
       Kubikmetern Beton werden hier derzeit verbaut, durchlöchert von 14.000
       Fenstern. Schon nächstes Jahr sollen die ersten 400 Mitarbeiter einziehen,
       insgesamt sollen es bis Ende 2015 rund 4.000 Beschäftigte werden. Nur ein
       kleiner Rest der Agenten soll am bisherigen BND-Standort Pullach bei
       München bleiben.
       
       Früher befand sich auf dem Gelände in Mitte das 1950 eröffnete „Stadion der
       Weltjugend“, das 1992 im Zuge der später gescheiterten Bewerbung Berlins
       für die Olympischen Sommerspiele 2000 abgerissen wurde. Nach einer
       Zwischennutzung als Golfplatz und Beachvolleyball-Feld entschied sich der
       BND für das Gelände in staatlichem Besitz. Der erste Spatenstich für das
       neue Gebäude an der Chausseestraße war im Oktober 2006. Bereits seit Ende
       2003 befindet sich als Voraustrupp eine Dependance des BND im
       Gardeschützenweg in Lichterfelde.
       
       Unter anderem zwei Ziele verbindet der BND mit seinem fast vollständigen
       Umzug nach Berlin. Er will näher bei der Regierung sein – und er will in
       der Gesellschaft ankommen. Was die Kilometer betrifft, sind es von der
       Chausseestrasse bis hin zum Bundestag und Bundeskanzleramt nur einer statt
       600. Zumindest räumlich wird so der Bruch mit der bisherigen Zentrale im
       Bayrischen und den dortigen Seilschaften noch aus Zeiten des Kalten Kriegs
       vollzogen.
       
       Angesichts der bereits erkennbaren Architektur bleibt dennoch fraglich, ob
       das zweite Ziel, in der Gesellschaft anzukommen, gelingen kann: Auf
       Außenstehende wirken die BND-Gebäude gerade in Zeiten des NSA-Skandals wie
       eine riesige, hermetisch geschlossene Festung, die von Außerirdischen
       inmitten von Sozialbauten und Abbruchhäusern geparkt wurde. Die Gebäude
       stehen in ihrer Unnahbarkeit in krassem Widerspruch zum Anspruch, den der
       derzeitige BND-Präsident Gerhard Schindler (FDP) vor kurzem in einem
       Gespräch mit der Zeit formulierte: Dass seine Mitarbeiter hinausgehen
       sollen „in die Welt, statt am Schreibtisch zu sitzen und Zeitungen
       auszuwerten“.
       
       Zu dieser Öffnung in Richtung Gesellschaft gehört auch die inhaltliche
       Aufarbeitung der eigenen Geschichte des aus dem Nazi-Geheimdienst „Fremde
       Heere Ost“ hervorgegangen Geheimdienstes. In seinem letzten Amtsjahr 2011
       berief der damalige BND-Präsident Ernst Uhrlau (SPD) eine hochkarätig
       besetzte „unabhängige Historikerkommission“. Zu den Plänen von mehr
       Transparenz gehört auch ein „öffentlich zugängliches Besucherzentrum an der
       prominentesten Stelle des Grundstücks – der Ecke Chaussee- zur
       Habersaathstraße“.
       
       Doch wird dies ausreichen? Werden die BND-Mitarbeiter die unmittelbaren
       Chancen dazu nutzen, die sich ihnen im Kiez bieten – und zum Beispiel mal
       bei der „Kinderakademie“ vorbeischauen, die an der Süd-West-Ecke mit ihrem
       Spielplatz ans BND-Quartier grenzt? Werden sie einen der vielen
       migrantischen Café- und Back-Shops an der Chausseestraße besuchen? Oder ist
       es naiv zu glauben, dass die geheimen Mitarbeiter nach getaner Arbeit mal
       auf einen Drink in der Bar um die Ecke sitzen und von ihren Abenteuern in
       Afghanistan plaudern?
       
       Zumindest werden in dem Gebäudekomplex neben Agenten auch
       Verwaltungsmitarbeiter sitzen und IT-Experten versuchen, mit den riesigen
       Computer- und Spionageanlagen der US-Amerikaner mithalten zu können. Zudem
       wird das Gelände auch das gemeinsame Ausbildungszentrum des BND und des
       Bundesamts für Verfassungsschutz beherbergen.
       
       Gut geschützt vor Blicken von außen durch „differenziert ausgebildete
       Höfe“, die also nicht einsehbar sind, verfügt dieses Schulungsgebäude „über
       Büroräume, Unterrichtsräume, Labore, studentische Arbeitsräume,
       Aufenthaltsräume und eine Fachbibliothek“. Das direkt daran angeschlossene
       Internat sorgt dafür, dass Studierende sowie LehrgangsteilnehmerInnen das
       Gelände überhaupt nicht verlassen müssen.
       
       Täten sie es, würden sie feststellen, dass rund um das Gelände des BND seit
       einigen Jahren eine rasante Aufwertung stattfindet- mit den bekannten
       Geschichten von Verdrängung der alteingesessenen Mieter. Viele aus dem
       linksalternativen Milieu haben die Gegend schon vor Jahren verlassen und
       sind nach Kreuzberg oder Neukölln gezogen. Zwar sind die Wöhlerthöfe eine
       große Wohnungsgenossenschaft, auch das "Gesundheitszentrum für Obdachlose"
       hat seinen Sitz in der Pflugstraße. Noch würden "viele hier von Hartz IV
       leben", sagt die Bedienung eines kleinen Cafés im Kiez. Doch ihre
       Stammkundschaft werde nach und nach schrumpfen, befürchtet sie. Der Blog
       "Kiezspione" bezieht sich bereits bewusst auf den baldigen Nachbarn und
       "beobachtet, beleuchtet und bewertet" auch solche neuen Entwicklungen in
       seinem Quartier.
       
       Denn unter anderem wegen der nahe gelegenen Ministerien für Wirtschaft und
       Verkehr ist hier zwischen Nordhafen und Panke die Luxus-Aufwertung in
       vollem Gang. Etliche Investoren wie die Chamartín Meermann Immobilien AG
       bauen entlang der Scharnhorststraße fast direkt an der Rückseite des rund
       500 Meter langen BND-Komplexes teure Eigentumswohnungen. Im "John Park" der
       Natulis Group kosten die 89 Eigentumswohnungen bereits zwischen 4.000 und
       über 6.000 Euro pro Quadratmeter.
       
       Auch in der südlichen Chausseestraße wachsen Fünf-Sterne-Hotels wie das
       "Titanic" in die Höhe, nördlich werben neu geplante Luxus-Wohnanlagen wie
       "The Garden Homes" um Käufer. Auf deren Homepage wird allerdings mit der
       "Kunstszene direkt um die Ecke" wie den Ausstellungen im Hamburger Bahnhof
       geworben - nur der BND als künftiger Nachbar wird mit keinem Wort erwähnt.
       
       Und schließlich sind auf der Rückseite des BND-Geländes an der Panke in den
       letzten Monaten zwei Straßenzüge mit schmalen dreistöckigen Town-Hauses in
       rotem Klinker bezogen worden. Aber auch hier meint eine junge Helferin, die
       gerade einer Familie die letzten Reste ihres Umzugs ins neue Heim einräumt,
       lakonisch: In Richtung BND? Da müssen man "ja nicht hinschauen".
       
       Je näher dran am BND, desto weniger begehrt scheinen die Grundstücke.
       Direkt gegenüber dem Haupteingang an der Chausseestraße möchte offenbar gar
       niemand wohnen: Hier stehen viele Häuser leer, so etwa in der
       Chausseestraße 49 ein komplettes Wohngebäude mit Seitenflügeln und zwei
       Hinterhäusern. Seit Jahren bietet die Treuhand auch die Feuerlandhöfe fast
       gegenüber des Haupteingangs vergeblich zum Kauf an - ein riesiges
       Fabrikgebäude, auf dem die ersten Lokomotiven Deutschlands von Borsig
       gebaut wurden. Die Fenster sind zerbrochen, alles wirkt verlassen.
       
       Fragt man Carsten Spallek (CDU), den Stadtrat für Stadtentwicklung in
       Mitte, nach der Entwicklung des Kiezes, sieht seine Verwaltung Grundstück
       für Grundstück detailliert nach - und stellt dabei selbst überrascht fest,
       dass direkt gegenüber dem BND seit Jahren niemand mehr etwas plant.
       Offensichtlich ist der Auslandsgeheimdienst nicht eben der beliebteste
       Nachbar.
       
       Christian Ströbele, grüner Bundestagsabgeordneter und Mitglied des
       Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Überwachung der bundesdeutschen
       Geheimdienste verdreht beim Stichwort "BND-Neubau" nur die Augen. "Ich war
       immer dagegen", betont er, "ironischerweise zusammen mit dem Vertreter der
       CSU aus Bayern." Angeblich wolle man näher an der Regierung sein - aber das
       sei ein vorgeschobenes Argument für den Neubau, meint Ströbele.
       
       "Anfangs wurde uns der Neubau für rund 300 Millionen Euro verkauft, jetzt
       sind wir schon fast bei einer Milliarde Euro angelangt." Es ist das
       teuerste Gebäude, das die Bundesrepublik Deutschland als alleiniger Bauherr
       je errichtet hat. Zudem beträgt, gemessen in Prozentzahlen, die Steigerung
       beim Flughafen BER 150 Prozent, beim BND-Neubau 300 Prozent. "Was da gebaut
       wird, ist eine eigene Stadt für sich", sagt Ströbele. "Damit entwickelt man
       keine Sympathien für den BND."
       
       Mit seinen zwei künstlichen Palmen im Hinterhof zeigt der BND allerdings
       einen gewissen Humor. Die Frage, ob die Palmen denn nun wirklich getarnte
       Funkmasten sind, beantwortet der ausführende Künstler Ulrich Brüschke der
       taz": Bewusst werde hier "mit den Original-Elementen gespielt, die von der
       amerikanischen Armee oder in Südostasien in Tourismusgebieten zur Tarnung
       von Antennenanlagen benutzt werden". Real seien es aber keine Funkantennen.
       
       Soll man das glauben? Oder betreibt der Geheimdienst hier ein doppeltes
       Spiel mit der Wahrheit? So oder so gelingt es mit den Palmen, dass die
       Mitarbeiter des BND beim Blick aus ihren Fenstern nicht den Wedding,
       sondern zumindest atmosphärisch die Landschaft ihrer aktuellen Feinde vor
       Augen haben.
       
       27 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christoph Villinger
       
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