# taz.de -- Tod von Jovanka Broz: Zirkus der Untoten
       
       > Dass Jugoslawiens frühere First Lady nun für immer schweigt, erfreut
       > ausgerechnet jene, die am lautesten ihr Schicksal beklagen.
       
 (IMG) Bild: Jovanka Broz war Titos politische Vertraute, aber auch eine glamouröse First Lady.
       
       Als Jovanka Broz am Sonntagvormittag mit 88 Jahren in einer Belgrader
       Klinik an Herzversagen verstarb, heulten in der ehemaligen jugoslawischen
       Haupstadt keine Sirenen. Anders 1980, als der Tod ihres Ehemannes, des
       ehemaligen Praesidenten und Staatsgründers der Sozialistischen Foederativen
       Republik Jugoslawien verkündet wurde. Belgrad stand still.
       
       Weltweit trauerte man um Josip Broz Tito. Mit Titos Witwe geht eine der
       Letzten des alten Jugoslawien. Geboren 1924, kämpfte sie im Zweiten
       Weltkrieg als Partisanin gegen die Nazis, 1952 heiratete sie den 32 Jahre
       älteren Josip Broz, an dessen Seite sie lange gearbeitet hatte. Mehr noch
       als der Präsident verkörperte sie das Experiment des Dritten Weges: Jovanka
       Broz war Titos politische Vertraute, aber auch eine glamouröse First Lady,
       die den Luxus des Westens auf den Empfängen mit Staatspräsidenten und
       Hollywoodstars offen zur Schau trug.
       
       Nach langer Zeit des Schweigens äußerte sich nun die politische Führung zur
       ehemaligen Präsidentengattin. Serbiens Ministerpräsident Ivica Dačić (SPS)
       schrieb in einem Kondolenzbrief, mit Jovanka Broz „geht eine der letzten
       und zuverlässigen Zeugen unseres ehemaligen Staates, dies hat sie mit
       Verfolgung bezahlen müssen.“
       
       Das Serbische Staatsfernsehen RTS hievte kurzerhand Sendungen über Jovanka
       Broz ins Abendprogramm. Jovanka auf allen Kanälen – das hatte wohl kaum
       jemand fuer moeglich gehalten.
       
       ## Perfektes Timing
       
       Das Timing war perfekt: Anfang des Monats kam ihre Autobiografie „Mein
       Leben, meine Wahrheit“ heraus, in der sie erstmals über ihre Isolierung und
       Entrechtung sprach. Bereits in den vergangenen Monaten waren Auszüge aus
       den reißerisch als „Abrechung“ angekündigten Aufzeichnungen in der
       Belgrader Zeitung Blic abgedruckt worden In den 35 Jahren zuvor war es
       indes still gewesen um Titos Witwe. Zunächst, weil ihr der Kontakt mit der
       Oeffentlichkeit untersagt war, später, weil sie sich zurückgezogen hatte.
       
       Jovanka Broz Geschichte ist tragisch und führt durch die Untiefen der
       jugoslawischen Geschichte - vom Anfang bis zum Ende. Zwar hatte die KP sie
       Ende der 70er vom Vorwurf der Spionage freigesprochen, trotzdem wurde sie
       von ihrem kranken Ehemann isoliert und nach Titos Tod ohne Bürgerrechte in
       den Hausarrest verbannt und ihr Eigentum konfisziert. Ihr verordnetes
       Schweigen kam vielen zupass.
       
       Noch bis Jovanka Broz im August in eine Klinik eingeliefert wurde, lebte
       sie in einer baufälligen Villa im Belgrader Stadtteil Dedinje, von der
       Öffentlichkeit vergessen, von der Politik ignoriert. Erst 2009 händigten
       die neuen serbischen Machthaber Jovanka Broz medienwirksam wieder einen
       Pass aus – an der prekären Lage änderten sie indes nichts.
       
       ## 
       
       Die Bilder, die jetzt über die Bildschirme Fernsehen flimmern, zeigen sie
       lachend mit Ivica Dačić. Die Botschaft: Schaut, das Sozialistische
       Jugoslawien war ein Unrechtsstaat, der selbst der Frau des Präsidenten
       alles nahm. Es ist dieser Tonfall der Genugtuung, der sich in die Trauer
       und die berechtigte Empörung mischt - selber schuld, wer sich mit den
       Falschen einlässt. Das neue Serbien ruft Jovanka Broz, First Lady des
       gescheiterten Vielvölkerstaates, als dessen letztes Opfer aus.
       
       Oft heißt es, das brutale Auseinanderbrechen Jugoslawiens sei durch den Tod
       Josip Broz’ besiegelt worden. Vielmehr als dessen Tod aber zeigte die Art
       und Weise, mit der die zerstrittenen Parteikader die Witwe aus dem
       Gedächtnis der Nation zu tilgen versuchten, den Weg in die
       nationalistischen Kriege. Mit Jovanka Broz’ Verschwinden begannen viele
       neue Geschichten, die in den 80er Jahren von den nationalen Eliten
       geschrieben wurden: koratische, serbische, slowenische. Gemeinsam ist
       ihnen, dass sie Jugoslawien als politischen Fehler ansehen.
       
       Der jüngsten Jugonostalgie zum Trotz. Jovanka wurde verstoßen, während Tito
       fiel. Der Befreiungskämpfer, der die Völker einte, der Präsident eines
       respektierten Staates wurde posthum zum Diktator erklärt, der mit Gewalt
       ein „Völkergefängnis“ zusammenhielt, vielleicht gar im Auftrag des
       Auslands. Von Zagreb bis Skopje schliff man seine Denkmäler, benannte
       Straßen nach neuen Nationalhelden. „Nach Tito: Tito“ hieß die
       Durchalteparole der KP. Und Tito kam wirklich wieder: als Popikone, als
       Symbol einer guten Zeit ohne Schengengrenze und EU-Vorschriften.
       „Titostalgie“ heisst die gegenwärtige, verkitschte Widerkehr „Titos“,
       befreit von ideologischem Balast.
       
       ## Tausende Pilger
       
       An Josip Broz’ Geburtstag pilgern Tausende zum Kuća Cvijeća, in dem er
       unter weissen Marmorplatten liegt: ein Zirkus der Untoten. Nun hat Premier
       Dačić verlautbart, auch Jovanka Broz solle dort beerdigt werden. Allerdings
       – das sagte er nicht – nicht neben Titos Grab, sondern in einem
       Seitenflügel. Ihr Begraebnis wird nicht so spektakulaer werden, wie das
       ihres Ehemanns und trotzdem werden Dačić und Co ihr mit Freude das letzte
       Geleit geben.
       
       Mit Jovanka Broz’ Tod endet eine historische Epoche. Dass sie nun für immer
       schweigen wird, erfreut ausgerechnet jene, die sich am lautesten über das
       ihr widerfahrene Unrecht beklagen. Nach Jovanka jedenfalls wird es keine
       Jovanka mehr geben.
       
       21 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sonja Vogel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Tito
 (DIR) Jugoslawien
 (DIR) Serbien
 (DIR) Belgrad
 (DIR) Jugoslawien
 (DIR) Serbien
 (DIR) Tito
 (DIR) Kroatien
 (DIR) Jugoslawien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Buch über jugoslawischen Staatsgründer: Titos Schein und Glanz
       
       Kaum einer war so glamourös wie er: Partisan, Revolutionär und Diktator
       Tito. Eine neue Biografie zeichnet seinen Weg nach.
       
 (DIR) Völkermordverfahren gegen Serbien: UN-Gericht eröffnet den Prozess
       
       Zehntausende Kroaten waren im Jugoslawien-Krieg vertrieben und getötet
       worden. Kroatien macht dafür Serbien verantwortlich.
       
 (DIR) Nachruf auf Titos Witwe: Das letzte Symbol Jugoslawiens
       
       Jovanka Broz, Witwe des Marschalls Tito, ist am Sonntag im Alter von 89
       Jahren in Belgrad gestorben. Jetzt wird gestritten, wo sie beerdigt werden
       soll.
       
 (DIR) Kolumne Knoblauchzone #3: Im politischen Koma
       
       An der Gedenkfeier im Konzentrationslager nimmt Ministerpräsident Milanovic
       nicht teil. Der Konkurrenzkampf zwischen rechts und links schüre
       Intoleranz.
       
 (DIR) Jugoslawischer Avantgardefilm: Die Schwarze Welle
       
       Ein Schwerpunkt des diesjährigen goEast-Festival in Wiesbaden ist das Kino
       im sozialistischen Jugoslawien der 60er Jahre.