# taz.de -- Die Wahrheit: Mann an Mann
       
       > Mauretanien, Libyen, Marokko: Ein neuer Extremsport auf hoher See
       > etabliert sich. Wird Boatpeopleing bald eine olympische Disziplin?
       
 (IMG) Bild: Sogenannte Frontex-Wettkampfrichter beim Boatpeopling.
       
       Als die erste Bootsspitze aus dem Nebel auftaucht, wird es unruhig am
       Strand von Mauretanien. Tiefe Männerstimmen dringen über die unruhige See
       bis zur Küste. Sie klingen vertraut. Es sind die nordisch gefärbten Stimmen
       der „Boatpeople Bremerhaven“, einer neu formierten Extremsportgruppe aus
       dem deutschen Norden.
       
       Vor einer Woche sind sie an der Elbe aufgebrochen, zusammen mit zwanzig
       anderen Booten. Heute sind sie das erste Team, das die unter Kennern als
       anspruchsvoll und beliebt geltende Qualifikationspassage Bremen–Mauretanien
       gemeistert hat. Sie singen ein Lied: „O, wie ist das schön!“
       
       Bald darauf ist das gesamte Boot zu sehen. Es ist ein rostiger alter
       Fischerkahn mit dem vielsagenden Namen „Siegesdurst“. Wenige Minuten später
       läuft das Boot auf mauretanischen Grund.
       
       „Kentern! Jetzt!“, brüllt einer der Männer und Sekunden später kippen 27
       bärtige Männer in einer offensichtlich einstudierten Choreografie über die
       Reling. Gelingt das Kentern mit Stil, gibt es dafür von einer Expertenjury
       Extrapunkte. Die restlichen fünfzehn Meter bis zum Ufer lassen sich die
       Männer von den Wellen treiben. Erschöpft, aber glücklich krabbeln sie
       schließlich an Land. Sie wissen, dass ihr Sieg die Olympiaqualifikation für
       die Spiele 2016 in Rio de Janeiro bedeutet.
       
       ## „Brutal geil war das“
       
       Fotokameras blitzen, Videokameras filmen, Journalisten eilen mit
       neugierigen Fragen auf die Gestrandeten zu. Ihre Bärte sind lang geworden
       während der Überfahrt, ihre Blicke müde. Die wind- und wetterfeste Kleidung
       sieht mitgenommen aus.
       
       Wie man sich nach so einer mehrtägigen Flucht übers offene Meer denn fühlt,
       fragt ein Kollege vom Spiegel den Bootsführer Knut Alsmann. „Brutal geil
       war das mit den Jungs“, ist seine knappe und klare Antwort. Dann wird
       Alsmann sachlicher, so wie es sich für einen Kapitän gehört. Gerade einmal
       drei Mann seien unterwegs über Bord gegangen. Und immerhin zwei von ihnen
       seien vom Frontex-Begleitboot gerettet und aufgenommen worden, erklärt er
       zufrieden. „Das ist innerhalb der Ausfallnorm“, fährt der Bootsführer, in
       Fachkreisen auch „Schleuser“ genannt, fort.
       
       Er blickt sich um und sieht etwas überrascht aus, als er bewaffnete Männer
       am Rand das Strands entdeckt. Das Gelände wird von Blauhelm-Soldaten
       bewacht, um einheimische Schaulustige, Bettler und potenzielle Diebe
       fernzuhalten. Käpt’n Alsmann fährt sich nachdenklich durch seinen
       salzverkrusteten Bart. Nur einmal sei es für einen kurzen Moment kritisch
       geworden, verrät er. „Als unserem Bootsmann beinahe die rationierten
       Durchfalltabletten ausgegangen wären.“
       
       ## Mit dem Schiff nach Brasilien
       
       Das ist Sport, ganz großer Sport, was die Bremerhavener hier liefern. Und
       entwickelt wurde das Boatpeopleing vor inzwischen fast vierzig Jahren nach
       dem Vietnamkrieg von politischen Flüchtlingen in Südostasien. Nach Europa
       kam der Trendsport vor einigen Jahren durch afrikanische Flüchtlinge, die
       das Boatpeopleing allerdings gar nicht als Sport ausübten.
       
       „Unser Sport erfordert extrem viel Ausdauer. Gleichzeitig stärkt er das
       Gemeinschaftsgefühl und die Zusammenarbeit“, erklärt Alsmann. Auch deshalb
       buchen immer mehr Firmen und Banken Boatpeopleing-Kurse für ihre
       Mitarbeiter. Sogar Fußballbundestrainer Jogi Löw soll schon angefragt
       haben. Offensichtlich denkt man beim DFB darüber nach, die Mannschaft 2014
       mit dem Schiff nach Brasilien zu schicken.
       
       Großsponsor ist zumeist ein österreichischer Brausehersteller. Dank dem
       bulligen Engagement werden die Qualifikationsrennen zur Primetime sogar
       inzwischen im Fernsehen übertragen und haben mittlerweile sogar dem
       sonntäglichen Quotenhit „Tatort“ deutlich den Rang abgelaufen.
       
       Die Beliebtheit des Sports ist auch dem Internationalen Olympischen Komitee
       nicht lange verborgen geblieben. Als eine seiner ersten Amtshandlungen ließ
       IOC-Präsident Thomas Bach deshalb Ende Oktober verlauten, dass man das
       Boatpeopleing 2016 in Rio de Janeiro als offizielle Sportart in das
       olympische Programm aufnehmen wolle.
       
       ## Selbst CSU zeigt sich kulant
       
       Um etwaigen Wettbewerbsverzerrungen vorzubeugen, können sich jedoch nur
       Teams qualifizieren, die in nationalen Verbänden organisiert sind und am
       vom IOC genehmigten Wettkämpfen teilnehmen. Davon profitieren vor allem
       europäische Besatzungen, die seit einigen Jahren wie Wattwürmer aus dem
       Nordseeboden schießen. Afrikanische Teams wird es in Rio nicht geben. Zu
       unorganisiert sind die Verbände, zu unkonstant sind die Leistungen der
       Teams.
       
       Doch der Kampf um die besten afrikanischen Talente hat längst begonnen.
       Scouts aus aller Herren Länder tummeln sich rund um die Uhr an den Küsten
       Lampedusas, Maltas und Gibraltars und in Schnellbooten davor, um die
       talentiertesten und stärksten Kandidaten frühzeitig herauszufischen und
       vertraglich zu binden.
       
       „Wenn es um olympisches Gold geht, können wir bei der Staatsbürgerschaft
       ruhig mal ein Auge zudrücken“, hieß es jetzt sogar in der CSU. Immerhin sei
       das eine Win-win-win-Situation und für den deutschen Sport ein echter
       Hoffnungsschimmer am olympischen Horizont. Knut Alsmann dürfte es gern
       hören, denn auf seiner „Siegesdurst“ ist seit dieser Woche wieder ein Platz
       frei.
       
       29 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sven Stickling
       
       ## TAGS
       
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