# taz.de -- Regisseure Kautter und Dietrich über "Wegschließen": „Es sind eure Entscheidungen“
       
       > Das dokumentarische Stück "Wegschließen und zwar für immer" am Deutschen
       > Theater in Göttingen soll den Diskurs über die Sicherungsverwahrung
       > abbilden.
       
 (IMG) Bild: Leute treffen aufeinander, wie sie es im realen Leben nie könnten: Sibille Helfenberger und Thomas B. Hoffmann.
       
       taz: Frau Kautter, Herr Dietrich, „Wegschließen und zwar für immer“ ist
       dokumentarisches Theater. Alles, was gesagt wird, sind Zitate. Warum zeigt
       man dann nicht lieber einen Dokumentarfilm? 
       
       Nico Dietrich: Wir wollen den Diskurs abbilden, alle Sichtweisen auf das
       Thema vereinen. Wir wollen nicht die Originale auf die Bühne setzen und
       sagen: „Erzähl uns mal die Straftat!“ Wir wollen uns nicht voyeuristisch
       zuschmieren mit den Geschichten. Während der Recherche habe ich ein schönes
       Gespräch mit einem Psychologen geführt. Er sagte: „Wissen Sie Herr
       Diedrich, alle wollen nur eine voyeuristische Geschichte von mir. Auf den
       Partys kann ich es schon nicht mehr hören, dieses ’Na, habt ihr auch einen
       Hannibal Lecter?‘.“ Mich haben das Journalisten gefragt: „Warum können wir
       nicht noch mehr Straftäter-Geschichten hören?“ Nee, ich bin doch nicht blöd
       und potenziere hier nochmal öffentlich Straftaten, die eine
       Privatangelegenheit von Opfer und Täter sind. Genau darauf wollen wir
       verzichten. Wir wollen den Diskurs und wir wollen den sinnlich erfahrbar
       machen.
       
       Inken Kautter: Dazu machen wir etwas spezifisch Theatralisches aus den
       Interviews. Das kann man mit einem Dokumentarfilm nicht schaffen. Das
       Theater erzeugt eine Unmittelbarkeit zwischen den Zuschauern und den
       Schauspielern. Außerdem treffen die Leute auf der Bühne so aufeinander, wie
       sie es im realen Leben nie könnten. Wir haben bei den Textarbeiten und bei
       der Inszenierung gemerkt, dass etwas irrsinniges passiert, wenn die
       Richterin über den Gefangenen spricht, während sie im selben Raum auf ihn
       runter guckt. Wenn das Objekt ihrer Auseinandersetzung auf einmal präsent
       ist, dann ändert es den Text. Es ist viel beklemmender, wenn die Figuren
       aufeinander treffen.
       
       Was sollen die Zuschauer mitnehmen? 
       
       Dietrich: Wir versuchen das System zu erklären. So, dass alle das irgendwie
       kapieren. Das ist, so sage ich immer liebevoll, die Low Fi-Variante. Und
       das Topping ist, dass wir etwas über unsere Gesellschaft erzählen. Das ist
       es, was wir wollen. Wir sagen, es hat etwas damit zu tun, wie ihr euch
       verhaltet. Außerdem binden wir das lokal an. Es ist kein abstraktes
       Diskursding, sondern es sind eure Nachbarn und es sind eure Entscheidungen.
       Die gehen vom Bundesverfassungsgericht bis auf eueren Acker, da wo die
       Haftanstalt gebaut wird. Das hat was mit euch zu tun.
       
       Kautter: Das andere ist das Thema Angst. Wir haben da eine klare Haltung:
       Eine Gesellschaft muss sich daran gewöhnen, mit Angst anders umzugehen und
       Problemen angstfreier zu begegnen. Wenn alles, was man tut, durch Angst
       diktiert wird, verliert man die Freiheit. Man kann keine 100-prozentige
       Sicherheit schaffen, das gibt es einfach nicht. Auf der anderen Seite kann
       man aber Freiheitsrechte immens einschränken. Und das führt am Ende dazu,
       dass man lieber Zehntausende zu unrecht wegsperrt, als einen zu unrecht
       freilässt.
       
       In der Göttinger Premiere saßen Leute, die Sie für das Stück interviewt
       hatten – auch ein Sicherungsverwahrter auf Freigang war dabei. Waren die
       mit Ihrer Darstellung einverstanden? 
       
       Dietrich: Wir wissen ja vorher, dass die Originale kommen. Ich möchte sie
       nicht verraten. Das habe ich auch allen gesagt: „Ich möchte jetzt nicht Ihr
       Interview benutzen, um irgendetwas herzustellen. Ich gehe zaghaft mit den
       Dingen um und möchte da etwas erzählen, so dass Ihre Perspektive so steht,
       wie Sie das wirklich gesagt haben.“
       
       Ist es wirklich unmöglich, dass sie sich nicht trotzdem verraten fühlen? 
       
       Kautter: Nein, ist es nicht. Wir haben auch schon Leute gehabt, die mit
       ihrer Darstellung nicht zufrieden waren. Die haben gesagt: „Mensch Kinder,
       ihr habt mich da als cocktailsaufenden Großbürger dargestellt. Das geht gar
       nicht, das bin ich nicht.“ Wir müssen respektvoll mit den Texten umgehen,
       aber wir dürfen sie auch nicht heilig machen. Wir dürfen nicht die ganze
       Zeit denken: „Ogottogott, was würde unser Interviewpartner dazu sagen.“ Wir
       müssen eine gute Umsetzung für das finden, was wir als Essenz aus einem
       Interview ziehen. Wir bringen maximal sieben Minuten aus einem eineinhalb
       Stunden langen Interview auf die Bühne. Das kann dann gar nicht alles sein
       und selbst eineinhalb Stunden sind ja nicht alles. Aber die Leute zu
       verraten, würde dem Abend schaden. Es geht uns ja gerade darum, die
       unterschiedlichen Sichtweisen nebeneinander zu stellen und ernst zu nehmen.
       Und in dem Moment, wo wir eine Figur wirklich lächerlich machen, kann man
       sie eigentlich auch schon raus nehmen, weil sie zu unserer Form des
       Theaters nichts mehr beiträgt.
       
       Man hat bei Ihrem Stück zwar Spaß, aber es ist auch ein bisschen Arbeit,
       sich das anzugucken. Ist Doku-Theater etwas, das die Intendanten der
       Schauspielhäuser gerne nehmen? 
       
       Kautter: Ja, also es ist natürlich nicht Shakespeares sämtliche Werke,
       leicht gekürzt, in neunzig Minuten. Das Ding kannst du sofort auf den
       Spielplan setzen und hast es immer voll. Das kann man mit so einem Abend
       nicht machen. Aber man kann es zwei bis viermal im Monat zeigen und dann
       ist das auch über einen langen Zeitraum immer gut voll. Das ist ja auch
       hier so, es ist das kleine Haus, es ist das Studio. Aber nichtsdestotrotz,
       das Interesse ist erstmal gigantisch. Es ist ja kein Zufall, dass unsere
       Theaterform vom Deutschen Theater in Göttingen und vom Schlosstheater Celle
       quasi aufgekauft wurde. Aber es bleibt natürlich ein Segment und im großen
       Haus läuft Shakespeare.
       
       2 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jakob Epler
       
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