# taz.de -- Defekte Herzklappen: Spitzenwerte in Deutschland
       
       > In keinem anderen Land werden so viele Aortenklappen ersetzt wie in
       > Deutschland. Gestritten wird, welches die richtige Methode ist, sie
       > auszutauschen.
       
 (IMG) Bild: Eingriff am Herzen in einem Hybridoperationssaal des Herzzentrums an der Uni Leipzig.
       
       BERLIN taz | Die Zahl der Operationen an der Aortenklappe hat in
       Deutschland einen neuen Rekordwert erreicht: 21.084 Patientinnen und
       Patienten unterzogen sich im Jahr 2012 einem solchen Eingriff. Das
       entspricht mehr als einer Verdopplung der Fälle innerhalb von zehn Jahren.
       
       Die Aortenklappe ist das Ventil zwischen der linken Herzkammer und der
       Hauptschlagader. Und: Bald jeder zweite Eingriff (9.341) erfolgte nicht
       mehr per konventioneller Operation am offenen Herzen durch einen
       Herzchirurgen, sondern kathetergestützt über das als schonender geltende,
       wegen seiner mitunter schlechteren Ergebnisqualität aber umstrittene
       sogenannte Tavi-Verfahren (Transkatheter-Aortenklappen-Implantation).
       
       Dieses dürfen auch Kardiologen durchführen. Im Jahr 2008 lag die Anzahl der
       Tavi deutschlandweit noch bei 528 – bei damals 12.397 herzchirurgischen
       OPs.
       
       Die neueste Statistik präsentierten die [1][Deutsche Herzstiftung] und die
       ärztlichen Fachgesellschaften von Herzchirurgen und Kardiologen am Mittwoch
       in Berlin in ihrem „Herzbericht 2013“. Die Autoren führen die starke
       Zunahme der Erkrankungen an der Herzklappe vor allem auf die demografische
       Entwicklung zurück: Je älter Menschen werden, desto höher die
       Wahrscheinlichkeit von Verengungen (“Stenose“).
       
       OECD-Statistiken zu Eingriffsfrequenzen zeigen indes, dass in anderen
       Industrienationen mit ebenfalls alternden Gesellschaften die
       Aortenklappenbehandlungen weit unter den deutschen liegen. Stutzig macht
       Experten zudem die explosionsartige Zunahme bei der Tavi, bei der die
       Ersatzklappe zusammengefaltet per Katheter etwa über die Leistenarterie
       eingeführt wird.
       
       „Neben medizinischen Aspekten hat dabei sicherlich auch die attraktive
       Vergütung der Tavi-Prozedur einen entscheidenden Einfluss“, sagte der
       Präsident der [2][Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und
       Gefäßchirurgie (DGTHG)], Jochen Cremer, der taz. So erstatten die
       gesetzlichen Krankenkassen nach eigenen Angaben für eine Tavi zwischen
       33.300 und 37.400 Euro; eine chirurgische Klappen-OP dagegen wird mit
       15.550 bis 18.000 Euro vergütet.
       
       Allerdings, so Cremer, beträfen diese Anreize nicht ausschließlich die
       Kardiologen: Wenn die Tavi etwa über die Herzspitze oder die aufsteigende
       Körperschlagader eingesetzt würden, dann führten dies meistens die
       Herzchirurgen durch.
       
       ## Die Haltbarkeitstzeit ist unbekannt
       
       Bei den innovativen Tavi, so Cremer, wisse man allerdings noch gar nicht,
       wie lange sie überhaupt hielten. Einzelne Ergebnisse lägen nur für die
       ersten drei bis fünf Jahre nach der Implantation vor. Bei der
       konventionellen Operation dagegen sei schon heute erwiesen, dass die
       Klappen anschließend im Regelfall mindestens 15 bis 20 Jahre hielten.
       
       Unterschiede gebe es auch bezüglich der Sterblichkeitsraten. So liege die
       Sterblichkeit nach Tavi-Einsatz bei Patienten mit geringen bis mittleren
       Operationsrisiken nach einem Jahr zwischen 15 und 20 Prozent. Bei der
       herkömmlichen offenen Operation dagegen lägen die Ergebnisse für die
       Ein-Jahres-Sterblichkeitsraten zwischen 4 und 10 Prozent, also wesentlich
       besser. Und selbst für Hochrisikopatienten, so Cremer, böten Tavi-Klappen
       nach ein bis zwei Jahren keine besseren Überlebenschancen.
       
       Auch aus diesem Grund definieren die [3][Europäischen Leitlinien der
       Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC)] die chirurgische
       Klappenoperation als „Goldstandard“. Tavi dagegen sollte gemäß den
       Leitlinien nur bei Hochrisikopatienten, etwa mit erheblichen
       Begleiterkrankungen, angewendet werden, die eine konventionelle Operation
       vermutlich nicht überstehen würden. In Deutschland hatten sich Kardiologen
       und Herzchirurgen 2009 darüber hinaus darauf geeinigt, dass Tavi-Patienten
       mindestens 75 Jahre alt sein müssen.
       
       ## Lebensbedrohliche Risiken
       
       Und: Weil stets das Risiko besteht, dass während des Tavi-Einsatzes
       Komplikationen auftreten können wie lebensbedrohliche Blutungen oder
       Kammerflimmern, schreiben die Europäischen Leitlinien zwingend vor, dass
       Kardiologen den Eingriff nur in solchen Kliniken durchführen dürfen, die
       auch über eine voll ausgestattete Herzchirurgie verfügen.
       
       In Deutschland erfüllen dieses Kriterium 79 Kliniken - was einer
       flächendeckenden Versorgung entspricht. Kardiologische Abteilungen dagegen
       gibt es an rund 800 Klinikstandorten. Was zugleich heißt: 90 Prozent aller
       Kardiologiekliniken dürfen die lukrativ vergütete Tavi bislang nicht
       einsetzen.
       
       Damit soll Schluss sein, fordert nun die [4][Deutsche Gesellschaft für
       Kardiologie] und droht, mit dem bisherigen Konsens zu brechen. Vorige Woche
       erklärte ihr designierter Präsident Karl-Heinz Kuck, die Vorgabe aus den
       Leitlinien, dass „nur Standorte mit institutionalisierter und
       bettenführender Herzchirurgie für Tavi geeignet“ seien, sei „kein
       geeignetes Qualitätsmerkmal“.
       
       Ein Hybridoperationssaal, in dem sowohl Kathetereingriffe als auch
       herzchirurgische Operationen durchgeführt werden können, sei zwar
       „wünschenswert“, aber nicht zwingend. Anstelle von „Formalkriterien“
       müssten „Fragen der Prozess- und Ergebnisqualität im Vordergrund stehen“.
       
       ## Leitlinien sind nur Empfehlungen
       
       Diese Sicht der Dinge hatten deutsche Kardiologen bereits im Herbst 2012
       durchzusetzen versucht - waren aber an ihren eigenen europäischen
       Kardiologenkollegen, den Verfassern der Leitlinie, gescheitert. Allein:
       Über die europäischen Vorgaben können sich die deutschen Kardiologen
       dennoch hinwegsetzen. Leitlinien haben nur empfehlenden Charakter; etwaige
       Verstöße bleiben unsanktioniert.
       
       „Wir sehen hier die Patientensicherheit gefährdet“, warnt der Präsident der
       Herzchirurgen, Jochen Cremer. Schon heute führten seinen Schätzungen
       zufolge bundesweit 30 bis 40 Kliniken Tavi-Verfahren „unter fragwürdigen
       Bedingungen“ durch. Diese Kliniken beschäftigten beispielsweise
       Herzchirurgen bloß auf Stand-by-Basis oder kooperierten mit einer weiter
       entfernten herzchirurgischen Klinik. Bei Tavi-Prozeduren sei jedoch „ganz
       entscheidend“, so Cremer, dass im Herz-Team gearbeitet werde und dass eine
       routinierte herzchirurgische Klinik mit Kompetenz in der Notfallversorgung
       am Standort vorhanden sei.
       
       Im Herzbericht, zu dessen Autoren übrigens auch führende Mitglieder der
       Deutschen Gesellschaft für Kardiologie zählen, heißt es hierzu: „Wie groß
       der Prozentsatz derjenigen ist, die nicht leitliniengemäß behandelt werden,
       lässt sich nicht ablesen.“
       
       30 Jan 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.herzstiftung.de/
 (DIR) [2] http://www.dgthg.de
 (DIR) [3] http://leitlinien.dgk.org/stichwort/europaische-gesellschaft-fur-kardiologie/
 (DIR) [4] http://dgk.org
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Haarhoff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Chirurgie
 (DIR) Transplantation
 (DIR) Organspende
       
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