# taz.de -- Buch über „gescheiterte Lebensführung“: Einfach unaufgeräumt leben
       
       > Normal und doch gescheitert: Alleinstehende Frauen müssen sich viel
       > Mitleid anhören. Es gilt, das stolpernde Leben zur Feier des Scheiterns
       > zu machen.
       
 (IMG) Bild: Statt Depression: der Hedonismus des Augenblicks.
       
       Das Mitleid der anderen ist pervers. Jene anderen, die alleinstehende
       Frauen bedauern, weil die „anders“ sind, alleine zu Abend essen müssen, den
       Kindern den Mann im Haus nicht ersetzen können und irgendwas nicht ganz
       richtig gemacht haben, dass es so weit gekommen ist. Dass alleinstehende
       Frauen auf solche Mitleidsbekundungen mit dem Gefühl reagieren, aus einer
       Landkarte des Mittelalters herausgefallen und dort gelandet zu sein, wo nur
       noch Seeungeheuer und Drachen hausen, ist normal.
       
       Auch die US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Kathie Roiphe reagiert
       so. „Ich bin eigentlich ein normaler Mensch, der als normaler Mensch
       irgendwie gescheitert ist.“ Roiphe, Tochter der Feministin Annie Roiphe,
       ist geschieden, Mitte 40, hat zwei Kinder, eines davon unehelich, sie macht
       Karriere, hat Affären und tut sich schwer damit, ein
       Drei-Martini-Mittagessen abzulehnen.
       
       Statt aber die Depression zu kultivieren, in die man fallen kann, wenn man
       permanent mit seiner vermeintlich außer Kontrolle geratenen Lebensführung
       konfrontiert wird, fordert sie andere gescheiterte Normale dazu auf, das
       Scheitern als Befreiung zu genießen, aus dem stolpernden Leben eine Feier
       des Scheiterns zu machen.
       
       In ihrem Buch „Messy lives. Für ein unaufgeräumtes Leben“, das Roiphes
       beste von New York Times bis Vogue publizierten Essays versammelt, plädiert
       sie dafür, das Verführerische, Reizvolle, Peinliche und Komische am
       Unvollkommenen zu erkennen, das nicht auf den ersten Blick Einleuchtende,
       das Komplizierte, Unausgewogene und das Hier und Jetzt frohgemut zu
       begrüßen und in den skurrilen Intensitäten und der ständig drohenden Krise
       eines ganz normalen Nachmittags eine gewisse Heiterkeit, ein gewisses Glück
       zu sehen.
       
       Der Hedonismus des Augenblicks sei von Verantwortungsbewusstsein,
       Selbstverbesserung und Produktivität verdrängt worden. Die Idee, Dinge nur
       deswegen zu tun, um sich für einen Moment glücklich aus allem auszuklinken,
       ist aus der Mode gekommen. Statt abhängig vom Gin zu werden, würde man sich
       vom Gym abhängig machen. Dass das vernünftige Leben dennoch heimlich als
       trostlos empfunden werde, lasse sich an der Faszination für das ungesunde
       Leben der „Mad Men“ mit ihren zerstörerischen Affären und exzessivem
       Alkohol- und Tabakkonsum erkennen.
       
       ## Großer Spaß und schwere Arbeit
       
       So einnehmend der Titel ihres Buches, so pointiert, humorvoll und
       leidenschaftlich ihr Schreiben, gesagt ist das alles schon oft. Und beim
       Lesen kommt das Gefühl an, das jedes noch so gefeierte unaufgeräumte Leben
       kennt: das Samstagmittaggefühl. Wenn der Posteingang des Maileingangs
       versiegt und das Smartphone nicht mehr fiept und man ständig checkt, ob der
       Akku leer ist. Verschluckt all jene, die sich am Wochenende im Kreis der
       Familie bewegen. Denn trotz aller Feierei des Scheiterns: die Welt der
       Normalen ist immer noch Norm. Und von vielen eine sehr gewollte.
       
       Und auch Katie Roiphe wird zugeben müssen, dass es neben dem großen Spaß
       auch schwerste Arbeit ist, dieses unaufgeräumte Leben zu führen. Eine der
       besten Stellen in ihrem Buch ist deswegen vielleicht die kleine
       Beobachtung, dass die Kinder in den 70er und 80er Jahren passiv rauchten,
       drei Stück Kuchen nehmen durften und ihren Eltern beim hemmungslosen
       Sichbetrinken zugucken mussten, während sie selbst bis spät in die Nacht
       Kaugummifäden zogen: „In diesen Randbereichen wurden wir wir selbst.“
       
       Als kleinen Zaungästen hat uns diese Vernachlässigung vielleicht doch nicht
       so richtig gut gefallen. Und vielleicht deswegen schlagen wir uns mit
       diesem Erbe bis heute durchs Leben: die Balance hinkriegen zwischen sich
       selbst und unsere Kinder vernünftig zu vernachlässigen und uns um uns
       selbst und unsere Kinder vernünftig zu kümmern.
       
       16 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Doris Akrap
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Frauen
       
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