# taz.de -- Die Wahrheit: 2.000 Watt unterm Hintern
       
       > Scooterman: Unterwegs mit dem Elektrowagen trifft man in eisiger Nacht
       > auf unangenehme Zeitgenossen, die Schwerbehinderte gern übel anraunzen.
       
       „Born to be wi-hild!“ Mein alter Freund Jens-Uwe war wild entschlossen, den
       Tanz zu eröffnen. In einem American Diner in Berlin-Wilmersdorf. Den Abend
       hatten wir mit unseren Frauen eisern gegen eine quälend laute
       Liveübertragung des Fußballspiels Bayern München gegen irgendwen
       angeplaudert.
       
       Befeuert von circa drei Litern Bier, machte Jens-Uwe der Bedienung danach
       in deutlichen Worten klar, dass die Großbildschirme jetzt zu schweigen
       hätten. Dabei war er auf keinen Widerstand getroffen – erstens hatte der
       Sender nach der Liveübertragung sofort eine Wiederholung der Partie
       abgespielt, und zweitens saßen wir, irgendwo in der Nacht zwischen einem
       Mittwoch und einem Donnerstag, mittlerweile allein in dem Saal. Kein Grund
       für Jens-Uwe, nicht den Tanz zu eröffnen. „Born to be wild“ war für mich
       immer schon ein Grund gewesen, mich zu verabschieden. Ich winkte in die
       kleine Runde. Während die anderen den circa vierten Liter Bier angingen,
       erhob ich mich mit meinen beiden Stöcken Lewis und Clark in den Stand.
       
       Drei Meter weiter wartete Harry auf mich. Mein Elektroscooter. Solange er
       stand, wirkte er harmlos, und manchmal witzelten Leute wegen seiner
       Geländereifen über ihn. Ein kleiner Dreh am Schlüssel änderte die Lage. Die
       Scheinwerfer sprangen an, die Kraft von 2.000 Watt unter meinem Hintern
       würde mich 50 Kilometer weit über Straßen und notfalls sogar auf Hügel oder
       Deiche tragen. Leider waren um diese Zeit keine Kinder anwesend, die Harry
       auf der Straße gern bewundernd nachstarrten.
       
       Es kam zuweilen sogar vor, dass interessierte Blicke aus der
       Passantinnenwelt uns beide trafen. „Es gibt halt Mädels, die stehen auf
       vier Räder“, hatte mir mal eine Freundin schulterzuckend erklärt. „Da
       können die nichts gegen tun.“
       
       Diese Nacht klatschten mir ein dünnes Schneetreiben und mindestens zehn
       Grad minus ins Gesicht. Grund genug, so schnell wie möglich die Kantstraße
       zu erreichen. Dann noch einmal nach rechts abbiegen, und ich würde zu Hause
       sein. Den Reißverschluss bis unters Kinn gezogen, eilte ich durch die
       Gegend. Bis mir auffiel: Düsseldorfer Straße? Zähringer Straße? Pommersche
       Straße? Die hatte ich noch nie gekreuzt, wenn ich nach Hause wollte.
       
       Zur Sicherheit hielt ich bei den ersten Menschen, die ich im Schnee sah.
       Ein älteres Paar, in, nun ja: Funktionskleidung. „Können sie mir bitte
       sagen, wie ich zur Kantstraße komme?“ Der missgestimmte Mann zeigte auf die
       Reifenspuren, die Harry in den Bürgersteig gegraben hatte. „An denen
       entlang. Falsche Richtung genommen.“
       
       Als ich dankte, hörte ich ihn noch zischen: „Krüppel und auch noch
       bekloppt. Der gehört doch ins Heim um diese Zeit.“ An Harrys Lenker drückte
       ich mich hoch. Aus gut zwei Metern Höhe schaute ich dem Mann in die Augen.
       „Ist noch was?“
       
       Die Frau zog ihn hektisch beiseite, bevor er pampig antworten konnte. Eine
       halbe Stunde später schaute ich mit einem Orangensaft in der Hand auf den
       Kirchplatz vor meinem Fenster. Manchmal ist es angenehm leicht,
       schwerbehindert zu sein.
       
       17 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Knud Kohr
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Scooter
       
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