# taz.de -- Der Künstler als Kollaborateur: Die Kraft subtiler Manipulation
       
       > Das Bremer Gerhard-Marcks-Haus zeigt den Bildhauer Charles Despiau, der
       > zwar ein wegweisender Bildhauer, aber auch ein Kollaborateur der
       > Nazi-Deutschen war.
       
 (IMG) Bild: Auf der Suche nach einer prägnanten Form: links Charles Despiaus Bronzeplastik "Assia, 1937"; rechts: "Madame Line Aman-Jean" und, dahinter, "Maria Lani, 1929".
       
       Man kann es sich einfach machen, so wie auch die Bild, und sagen: Charles
       Despiau, das war doch ein „Nazi-Künstler“. Und die im Bremer
       Gerhard-Marcks-Haus, dem „Bildhauermuseum des Nordens“ – die rehabilitieren
       ihn jetzt auch noch! Aber das ist es nicht. Obwohl, das sagt auch Direktor
       Arie Hartog: „Ziemlich doof“ war er schon, also, rein politisch gesehen.
       Aber eben auch ein ziemlich guter Bildhauer, ganz künstlerisch betrachtet.
       
       Irgendwo dazwischen nun bewegt sich diese Ausstellung, die in Kooperation
       mit dem Museum Beelden aan Zee in Den Haag entstand. „Sculpteur mal-aimé –
       ungeliebter Bildhauer“ ist der Untertitel dieser Retrospektive, die nichts
       weniger als eine „Wiederentdeckung“ Despiaus einleiten soll. Ein großer,
       ein gewagter Anspruch. Schließlich war der Mann, mindestens seit den
       Siebzigerjahren, völlig vergessen. Wenigstens als Bildhauer.
       
       ## Vor dem Propagandakarren
       
       Das wiederum liegt vor allem daran, das der Franzose Charles Despiau
       (1874–1946) sich in den Zeiten der deutschen Besatzung Frankreichs „willig
       vor den deutschen Propagandakarren spannen“ ließ, wie Hartog sagt. Despiau
       profitierte von den Zwangsausgrenzungen im Kunstleben, von der Verfolgung
       jüdischer Künstler, vom Verschwinden des Avantgardistischen aus der
       Öffentlichkeit. Dazu passte seine etwas klassische Bildsprache auch den
       Besatzern ganz gut ins Konzept. Einer propagandistischen, 1942 erschienen
       Monografie über Arno Breker (1900–91) lieh er seinen Namen. Und der war
       eben nicht nur sein Schüler, sondern auch der Starbildhauer der Nazis.
       Lange Jahre nach seinem Tod blieb Despiau vor allem als einer im
       Gedächtnis, der ein „Kollaborateur der Deutschen“ war. Dass er auch
       faschistoid dachte, ist nicht überliefert: Die Zeitzeugen berichten von
       einem „tiefen Desinteresse“ an Politik, an allem, was nicht mit der
       Bildhauerei zu tun hatte. Aber er habe sich, sagt Hartog, eben zu sehr mit
       den deutschen Besatzern eingelassen. Das ist die eine Seite von Charles
       Despiau.
       
       Aber was war denn vorher? Vorher war er ein „bedeutender Bildhauer der
       Moderne“, behauptet die Ausstellung. Eine Aussage, die heute – anders als
       früher – zu beweisen ist. 45 Skulpturen und 20 Zeichnungen versammelt sie
       zu diesem Zwecke, und das ist schon ein Gutteil des Gesamtwerks, das mit
       150 Arbeiten eher überschaubar ist. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren
       war Despiau, zusammen mit Aristide Maillol (1861–1944), einer der
       tonangebenden Bildhauer Frankreichs. Also in der Zeit nach dem Tode Auguste
       Rodins – dessen Schüler Despiau war. 1927 wird er in Amerika entdeckt,
       stellt mit Erfolg in New York aus, bekommt fortan Ausstellungen von Prag
       bis Chicago und allerlei Aufträge für Porträtbüsten reicher
       AmerikanerInnen. Erst jetzt kann er von seiner Kunst wirklich leben.
       
       Umso seltener, umso präziser, umso brillanter ist dafür dieses Werk! Da
       kann es schon mal hundert Sitzungen und mehr dauern, ehe so eine kleine
       Porträtbüste einer heute völlig vergessenen Person fertig ist. Die
       Ausstellung versammelt zahlreiche von ihnen, dicht an dicht, im zentralen
       Saal des Gerhard-Marcks-Hauses, während oben, im Eingang, eine etwas
       mittelmäßigere, gewöhnlichere, dafür umso monumentalere Statue prangt, die
       an Rodins berühmten Denker erinnert, ein heroisches Menschenbild pflegt und
       mal dem Grab eines Stahlmagnaten zugedacht war. Welch Gegensatz.
       
       ## Präzise modelliert
       
       Doch zurück zu den Porträts. Wobei – das führt ein wenig in die irre. Denn
       hier geht es gar nicht um ein möglichst authentisches Abbild. Die Werke,
       sie wirken nur so! Dabei manipuliert Despiau sehr bewusst – aber subtil.
       Skizzenhaftes, fast malerisches wechselt mit sehr präzise
       Durchmodelliertem. Immer wieder ist er auf der Suche nach einer prägnanten
       plastischen Form, verleiht er seinen Figuren, bei aller Statik, eine enorme
       Dynamik, in den Raum hinein. Gucken Sie sich allein mal die Ohren an! Und
       die Augen, wie sie variieren.
       
       „Despiau hat viele bildhauerische Mittel entwickelt, die heute
       selbstverständlich sind“, sagt Hartog. Monatelang arbeitet er sich manchmal
       an einem Tonklumpen ab, nur um dann noch mal von vorn anzufangen. Seine
       Arbeiten zeugen von immenser Anstrengung und entfalten zugleich eine
       gewisse Leichtigkeit, sie verleugnen nicht die verschiedenen Phasen ihres
       Entstehens und bilden doch eine Einheit. Von den (über-)lebensgroßen
       Figuren gibt es bei Despiau dagegen nur wenige, und sie sind alle hier zu
       sehen. Das ist umso bemerkenswerter, als seine Stärke die kleinen Porträts
       und nicht große Plastiken sind. Ähnliches gilt übrigens für seine
       Aktzeichnungen, die auch hier zu sehen sind; für Despiau waren sie eher von
       wirtschaftlichem Interesse. Insofern ist die Ausstellung keineswegs eine
       Huldigung. Sondern eine ehrliche Werkschau.
       
       ## Bis 1. Juni. Zur Ausstellung ist ein zweisprachiger Katalog erschienen:
       224 Seiten, 25 Euro
       
       20 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Zier
       
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