# taz.de -- Zahnmobil für alle: „Zu uns kommt jeder als Mensch“
       
       > In Hannover behandeln Zahnärzte in einem zur Praxis umfunktionierten
       > Krankenwagen Obdachlose, Menschen ohne Krankenversicherungsschutz oder
       > auch ohne Aufenthaltspapiere - kostenlos und niedrigschwellig
       
 (IMG) Bild: Eine komplette Praxis, nur ein paar Quadratmeter groß: Zahnmobil.
       
       HANNOVER taz |Angela McLeod öffnet die Krankenwagentür. „Der Nächste
       bitte!“, ruft sie aus dem Transporter heraus. Weiß gekleidet steht die
       Zahnarzthelferin auf der Schwelle, ein Mundschutz hängt um ihren Hals.
       Hinter ihr strahlt grelles Licht, im Wageninneren ist ein Zahnarztstuhl zu
       sehen, mit Bohrern und Schläuchen daneben. Das „Zahnmobil“ war früher ein
       Krankenwagen. Jetzt findet sich darin auf wenigen Quadratmetern eine
       komplette Zahnarztpraxis, mit allem Equipment bis hin zum Röntgengerät.
       
       Seit knapp zwei Jahren rollt die mobile Zahnarztpraxis durch Hannover.
       Wohnungslose, Menschen mit oder ohne Krankenversicherung, Menschen mit oder
       ohne Aufenthaltspapiere: Sie alle können sich hier kostenlos behandeln
       lassen. Montags, mittwochs und freitags ist das Zahnmobil unterwegs und
       macht Station an Obdachlosenhilfeeinrichtungen.
       
       ## Essen, Waschen und – Zahnarzt
       
       In Hannovers Nordstadt parkt der weiße Wagen am Mittwoch gleich gegenüber
       des Tagesaufenthalts „Nordbahnhof“, einem Angebot der hannoverschen
       Wohnungslosenselbsthilfe. Drinnen gibt es Essen und Getränke zum
       Selbstkostenpreis, Duschen, Waschmaschinen, einen großen Aufenthaltsraum
       mit Tischen und Stühlen, geraucht wird im separaten Raum. Als draußen das
       Zahnmobil Halt macht, bildet sich binnen Minuten eine Schlange Wartender.
       
       ## Keine festen Termine
       
       „Wir müssen zu den Menschen kommen“, sagt Werner Mannherz, der das Projekt
       gemeinsam mit seiner Frau Ingeburg initiiert hat. Der 75-Jährige und die
       80-Jährige sind längst im Ruhestand, er ist pensionierter
       Maschinenbau-Ingenieur, Arbeitsrechtler und Unternehmensberater, sie hatte
       jahrelang eine Zahnarztpraxis in Hannover. Anderthalb Jahre waren die
       Mannherz’ mit den Vorbereitungen beschäftigt, mehr als 90.000 Euro Spenden
       haben sie gesammelt, die Diakonie als Projektträger gewonnen und Förderer
       wie die Niedersächsische Zahnärztekammer und die AOK. Seit 2012 ist das
       Zahnmobil tatsächlich unterwegs.
       
       Ganz bewusst haben sich Ingeburg und Werner Mannherz gegen einen festen
       Standort entschieden. Verbindliche Termine, weite Wege, „das würde bei uns
       nicht funktionieren“, sagt Mannherz, „die Menschen sind oft gar nicht mehr
       strukturiert“. Viele der Patienten haben Alkoholprobleme, Hepatitis oder
       HIV. In eine normale Arztpraxis trauen sie sich häufig nicht – oft auch,
       weil sie sich für den schlechten Zustand ihrer Zähne schämen.
       
       Am Tagestreff Nordbahnhof wippt eine junge Frau von einem Fuß auf den
       anderen, ihr Gesicht ist blass und angeschwollen. Sie wartet in der
       Schlange, ist als Nächste dran, während aus dem Mobil das Schrillen des
       Bohrers und das Schlurfen des Saugers dringen. Ihren Namen möchte die Frau
       nicht nennen, Deutsch spricht sie kaum, ihre Großmutter und ein Bekannter
       begleiten sie, um zu übersetzen: Seit Wochen hat die Frau Zahnschmerzen,
       eine Krankenversicherung hat sie nicht.
       
       Sie ist ihrer Familie von Polen nach Deutschland nachgereist, erklärt ihr
       Begleiter. Die Übernahme in die Familienversicherung ist beantragt, aber
       noch nicht bewilligt. Die Schmerzen haben darauf nicht gewartet. Die Frau
       ist an diesem Tag kein Einzelfall: Keiner, der am Nordbahnhof auf
       Behandlung wartet, ist krankenversichert.
       
       Rund 720 Patienten aus 14 Nationen wurden bisher im Zahnmobil behandelt. Zu
       Beginn des Projekts hatten noch 62 Prozent von ihnen eine
       Krankenversicherung, mittlerweile sind es laut Mannherz nicht mal mehr die
       Hälfte. Vor allem Südosteuropäer kämen immer häufiger zum Zahnmobil.
       Rumänen, Bulgaren, oft mit ähnlichen Geschichten: Von Jobversprechen haben
       sie sich nach Deutschland locken lassen. Dort warteten dann Stundenlöhne um
       3,50 Euro, in Schlachthöfen oder auf dem Bau.
       
       ## Angst vor den Behörden
       
       Deutschlandweit gibt es laut Statischem Bundesamt 137.000 Menschen ohne
       Krankenversicherung: Selbstständige, die sich die Versicherungsbeiträge
       nicht mehr leisten können, Arbeitslose, die aus dem System der
       Arbeitslosen- und Sozialhilfe gefallen sind.
       
       Bei 200.000 bis 600.000 Nicht-Krankenversicherten liegen dagegen die
       Schätzungen der Bundesärztekammer – in die offiziellen Statistiken kommt
       nur, wer auch offiziell gemeldet ist. Wohnungslose und Menschen ohne
       Aufenthaltstitel, die als sogenannte Illegale in Deutschland leben, tauchen
       darin nicht auf. Gerade diese Menschen aber vermieden es oft so lange wie
       möglich, zum Arzt zu gehen, warnt die Ärztevereinigung. Wegen der Kosten,
       aber auch aus Angst, sie könnten den Behörden gemeldet werden.
       
       ## Ein „XY“ in die Akte
       
       Die junge Polin steigt hastig die zwei Stufen hinauf, als Zahnarzthelferin
       McLeod sie aufruft. Zahnarzt Jochen Stöter streckt der Frau die Hand zur
       Begrüßung entgegen. „Ihr ist eine Plombe rausgefallen“, ruft der Bekannte
       der Patientin in den Wagen. Fragen nach dem Aufenthaltsstatus spielen beim
       Zahnmobil keine Rolle. „Zu uns kommt jeder als Mensch“, erklärt Initiator
       Werner Mannherz. Wenn jemand lieber anonym bleiben möchte, kommt ein „XY“
       in die Patientenakte.
       
       Auch seine Bedürftigkeit muss nicht nachweisen, wer im Zahnmobil mit
       Füllungen oder gar kostenlosem Zahnersatz versorgt werden will. „Wir machen
       das auf Treu und Glauben“, sagt Mannherz, „aber geschätzte 10 bis 15
       Prozent sind dabei, die schmarotzen.“ Ein Teil der Kosten wird über die
       Behandlungen von Kassenpatienten gedeckt, 2.500 bis 3.000 von monatlich gut
       6.000 Euro kommen so über die Krankenkassen wieder rein. Der Rest über
       Spenden – und ehrenamtliche Arbeit.
       
       ## „Ehrenamtler leben länger“
       
       21 Freiwillige teilen sich die Schichten. Fahrer, Zahnarzthelfer und
       Zahnärzte. Stöter reist fürs Zahnmobil eigens aus Neustadt am Rübenberge
       an, wo er eine Praxis hat. Andere Ehrenamtler kommen aus Hameln und
       Wunstorf, die meisten aber aus Hannover. Auch Ingeburg Mannherz behandelt
       im Zahnmobil, trotz Ruhestand. Ihr Mann organisiert, managt, bei fast jeder
       Fahrt sind die Mannherz’ dabei. „Menschen, die ehrenamtlich arbeiten, leben
       sieben Jahre länger und gesünder“, erklärt Mannherz seine Rechnung. „Das
       ist statistisch belegt.“
       
       Am Nordbahnhof öffnet sich die Tür des Zahnmobils erst nach einer guten
       halben Stunde wieder. Zahnarzt Stöter schüttelt der jungen Frau die Hand.
       Zwei Zähne mussten raus. Dort wo erst eine Füllung rausgefallen war, hatte
       sich in der Zwischenzeit Eiter bis in den Kiefer gebildet. „No Cigarettes“,
       mahnt Stöter zum Abschied. Ihr Gesicht ist noch ein wenig blasser geworden,
       die linke Wange noch dicker angeschwollen. Aber sie lächelt.
       
       24 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Teresa Havlicek
       
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