# taz.de -- Film aus Brasilien: Stacheln in der Schulter
       
       > Sérgio Andrade hat ein gutes Auge für Alltag und Gegenwart. Sein Film „A
       > Floresta de Jonathas“ zeigt die Magie des Urwalds in Amazonien.
       
 (IMG) Bild: Jonathas (Begê Muniz) sucht nach einer wilden Maracuja und kommt dabei vom Weg ab.
       
       Als wär der Baum ein Stacheltier, ragen dunkle, spitze Nadeln aus dem
       Stamm. Sie sehen fest aus, sie sind sieben, acht Zentimeter lang, sie
       stehen dicht an dicht, und sie machen nicht den Eindruck, als wollte man
       ihnen zu nahe kommen. Doch wenn man darauf achtet, wie die Kamera von Yure
       Cesar den Stamm mit den Stacheln aufnimmt, einmal aus der Nähe, dann im
       Hintergrund, leicht verschwommen hinter einer der Figuren, dann ahnt man
       schon, dass genau das passieren wird.
       
       Jonathas, die Hauptfigur in dem brasilianischen Film „A Floresta de
       Jonathas“, geht ohne nachzudenken ein paar Schritte rückwärts. Und ehe er
       sich’s versieht, stecken schwarze Stacheln in seiner Schulter.
       
       Der Wald in „A Floresta de Jonathas“ ist voller Schönheit und voller
       Bedrohung, voller außergewöhnlicher Formen, Geräusche und Gefahren, er ist
       ein Ort, dessen vielgestaltige Erscheinung Platz für eine
       magisch-märchenhafte Aufladung lässt, ohne dass deswegen Alltag und
       Gegenwart in Vergessenheit gerieten.
       
       Es gibt in diesem Film Pickups, Skateboards, Smartphones und Touristen mit
       Digitalkameras, aber es gibt auch die Märchenmotive, das magisch besetzte
       Objekt etwa, das der junge Held seiner Angebeteten darbringen muss, oder
       den harten, allzu strengen Vater, der seine Söhne aus dem Haus treibt, von
       nicht weiter erläuterten Zeremonien am Flussufer ganz zu schweigen.
       
       ## Laiendarsteller und Techniker aus der Region
       
       Die Mischung dieser unterschiedlichen Ebenen glückt, und das liegt
       vermutlich daran, dass der Regisseur, Sérgio Andrade, gut kennt, was er
       filmt. Er kam in Manaus zur Welt, einer Großstadt im Amazonasgebiet, er
       stand der Amazonas Film Commission vor, und er verpflichtete für „A
       Floresta de Jonathas“, seinem Langfilmdebüt, überwiegend Laiendarsteller
       sowie Techniker aus der Region.
       
       Damit bekräftigt sein Film eine Tendenz im brasilianischen Gegenwartskino.
       Abseits von den Filmförderzentren Rio de Janeiro und São Paulo, in Recife
       zum Beispiel, in Belo Horizonte oder eben im Amazonasgebiet, entstehen
       Low-Budget-Filme, die internationales Interesse verdienen und es auch
       erregen – wie etwa Kleber Mendonça Filhos „O Som ao Redor“ („Neighboring
       Sounds“), ein Film, der den Bewohnern einer Straße in einer wohlhabenden
       Gegend von Recife dabei zusieht, wie sie ihr Sicherheitsbedürfnis über
       alles andere stellen und dabei nach und nach den Verstand verlieren.
       
       Zurück nach Amazonien: Die Szene mit den Stacheln findet sich in den ersten
       Minuten von „A Floresta de Jonathas“. Der etwa 16 Jahre alte Jonathas (Begê
       Muniz) hilft darin seinem Vater bei der Ernte von wilden Früchten, die sie
       später an einem Stand am Straßenrand verkaufen. Die bescheidenen
       Verhältnisse, in denen die Familie lebt, skizziert der Film auf
       unaufdringliche Weise.
       
       ## Ein abenteuerlustiger Bruder
       
       Jonathas hat einen älteren Bruder, Juliano (Francisco Mendez), der
       abenteuerlustiger ist als er und sich deshalb immer wieder mit dem Vater
       überwirft. Gegen den Willen des Alten gehen die beiden Brüder campen,
       begleitet werden sie von einer jungen US-amerikanischen Touristin und einem
       indigenen Mann, der nur am Rande eine Rolle spielt. Am zweiten Morgen
       bricht Jonathas auf, um für die junge Frau eine wilde Maracuja zu pflücken.
       
       Dabei verirrt er sich, und das, was in der Szene mit den Stacheln
       vorweggenommen wird, die Gefahr, die der Wald birgt, verdichtet sich nun.
       Die Baumstämme, die grünen Blätter an den Ästen und das braune Laub auf dem
       Boden, die sumpfigen Stellen, die Lianen und die Büsche mit seltenen
       Früchten oder Blüten bilden ein Dickicht, das tausend Gestalten, aber
       keinen Weg ins Freie kennt.
       
       6 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cristina Nord
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Rio de Janeiro
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Streik in Brasilien: Ein Rio mit vier Fegern
       
       In der zweitgrößten Stadt Brasiliens streiken seit Samstag die
       Stadtreiniger. Nicht mal der Dreck des Karnevals ist weg. Und das im
       WM-Jahr.
       
 (DIR) Rios erstes Favela-Kino: Es geht nicht nur um Sicherheit
       
       Die Armenviertel in Rio werden auch mit Bildung und Kultur befriedet. Stolz
       wird den Gästen des Filmfestivals das erste Favela-Kino vorgeführt.
       
 (DIR) Berlinale Panorama: "Xingu": Im Herzen Brasiliens
       
       In "Xingu" erzählt Regisseur Cao Hamburger die Geschichte von Brasiliens
       berühmtestem Indianergebiet und von den Versuchen weißer Pioniere, die
       Ureinwohner zu schützen.
       
 (DIR) Film über Brasiliens Indianer: Heute Reservat, morgen Showbiz
       
       Marco Bechis Spielfilm "Birdwatchers" erzählt von den Kaiowá-Indianern und
       ihrem Überlebenskampf. Für das Filmfestival in Manaus verließen die
       "Schauspieler" ihr Reservat.