# taz.de -- Die Wahrheit: Das Gemächt des Finnen
       
       > Auf der politischen Bühne in Suomi herrschen nicht nur raue Sitten.
       > Beobachtbar ist ein Sittenverfall, verursacht durch Hochprozentiges in
       > Kombination mit Mobiltelefonie.
       
 (IMG) Bild: Ein Genitalselfie nennt sich auf Finnisch „kikkelikuva“.
       
       Für Minister, Parlamentarier und andere Politiker gibt es viele reizvolle
       Optionen, sich vor großem Publikum zum Affen zu machen. In Finnland hat
       sich seit der Amtszeit des ewigen Staatspräsidenten Urho Kekkonen, der das
       Amt von 1956 bis 1981 ausübte, eine ganz eigene Variante des peinlichen
       Schauspiels entwickelt. Sie besteht hauptsächlich darin, sich auf
       Auslandsbesuchen vor möglichst vielen Augen der Weltöffentlichkeit
       möglichst viehisch zu betrinken.
       
       Paavo Arhinmäki, Sport- und Kulturminister der derzeitigen
       Koalitionsregierung und Parteivorsitzender der Linksunion, hat diesen
       Brauch während der Olympiade in Sotschi zelebriert – und sich dabei
       weitgehend an den tradierten finnischen Ritus gehalten. Erstens, Auftritt:
       Was kostet die Welt – auftrumpfen, beleidigen und belästigen. Zweiter
       Schritt: Weltschmerz. Selbstbemitleidendes Greinen und klebriges
       Anschleimen. Drittens: Vorläufiger Abtritt, Delirium absentis,
       weggetretener und wegzutragender nasser Sack. Viertens, Epilog: pathetisch
       zerknirschtes, aber augenzwinkerndes Plädoyer auf verminderte
       Schuldfähigkeit wegen Alkoholkonsums.
       
       Beim gewöhnlichen Finnen, dem fennus vulgaris, und ein paar finnischen
       Parlamentsabgeordneten hat sich allerdings eine modernisierte und dem
       finnischen Hightech-Image angemessenere Version dieser Sportart verbreitet.
       Man macht sich zusätzlich mithilfe der vermeintlich finnischen Produkte von
       Nokia zum öffentlichen Deppen. Ein Glas Schnaps in der einen und ein
       smartes Mobiltelefon in der anderen Hand – dank dieser explosiven
       Kombination ist schon so mancher finnische Parlamentarier zu einer eher
       unangenehmen Unterart des zoon politikon, des politischen Viehs, mutiert.
       Und natürlich dringen die peinlichen oder gar belästigenden
       SMS-Mitteilungen und Fotos betrunkener Politiker verlässlich an die
       Öffentlichkeit.
       
       Auch die seit 2011 im Parlament stark vertretenen rechtspopulistischen
       Grundfinnen (Perussuomalaiset)* beteiligen sich an dieser modernisierten
       Traditionspflege. Die Vertreter der zwischen ganz weit rechts und
       sozialdemokratisch oszillierenden Populisten neigen aber schon nüchtern zu
       ultranationalistischen, sexistischen, rassistischen, xeno-, homo- oder
       sonst wie -phoben Ausfällen. Der grundfinnische Volksvertreter Teuvo
       Hakkarainen, zu dessen noch harmlosen Ausfällen es gehört, darüber zu
       schwadronieren, dass man Angehörige von Minderheiten nach Ahvenanmaa, auf
       die Åland-Inseln zwischen Finnland und Schweden schicken könnte, hat sich
       jüngst besonders hervorgetan. So berichtete die Zeitschrift Seiska, dass
       Hakkarainen einer ihm bekannten Helsinkierin über sein Abgeordnetentelefon
       Bilder seines Geschlechtsteils zugesandt habe. Er soll, so der der
       finnische Boulevard, seiner Bekannten im Suff, wie er selbst zugab, nicht
       nur besagte Aufnahmen seines grundfinnischen Gemächts geschickt, sondern
       diese auch noch mit vulgären und belästigenden Begleittexten versehen
       haben.
       
       Nachdem der öffentlich gewordene Genitalselfie (Finnisch: kikkelikuva,
       Schwedisch: snoppselfie) des Grundfinnen nicht mehr dementiert werden
       konnte, berichtete Helsingin Sanomat, die größte finnische Tageszeitung,
       dann betulich wie immer vom Bußgang des frisch ernüchterten Politikers:
       „Wegen seiner neuesten Eskapade bat der Volksvertreter der Grundfinnen,
       Teuvo Hakkarainen, das finnische Volk für sein unüberlegtes Verhalten um
       Verzeihung. Er berichtete gleichzeitig, dass er zum Ziel wirtschaftlicher
       Erpressung geworden ist. ’Ein solches Verhalten ist eines Volksvertreters
       unwürdig. Es war selbstverständlich nicht meine Absicht, dem von mir
       repräsentierten Parlament Schaden zuzufügen‘, erklärt Hakkarainen.“
       
       Summa summarum: Ein grundfinnischer Abgeordneter benutzt – wie besoffen
       auch immer – sein parlamentarisches Diensttelefon zur sexuellen Belästigung
       einer Frau und entschuldigt sich dafür bei wem? Bei der Frau? Bei seinen
       Wählern? Nein! Beim finnischen Volk! Ob das – in Anlehnung an Heinrich
       Heine – „Volk, der große Lümmel“, ihm verzeiht, möchte man eigentlich gar
       nicht mehr wissen. Der eh schon ausreichend nationalisierte Lümmel und sein
       abgeordneter Lump werden sich schon einigen.
       
       * Die aus dem Englischen übernommene Übersetzung von Perussuomalaiset mit
       Wahre Finnen ist falsch und politisch zweifelhaft. Seit 2012 möchten die
       Grundfinnen, wie sie in der Übersetzung korrekt heißen müssten, im
       Deutschen als Die Finnen bezeichnet werden. Denn die Grundfinnen neigen wie
       fast alle Rechtspopulisten zu nicht nur semantisch albernem Humbug.
       
       26 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) K. Konrad
       
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