# taz.de -- Der erste Megastar der Filmgeschichte: Gelockter Klassenkampf
       
       > Zwei ihrer Locken liegen im Museum: Mary Pickford war die erste
       > feministische Schauspielerin und ein Superstar. Stefan Ripplinger hat sie
       > wiederentdeckt.
       
 (IMG) Bild: Verehrt nicht nur vom Publikum, sondern auch von den ganz Großen: Mary Pickford neben Charly Chaplin, Douglas Fairbanks und D.W. Griffith.
       
       Was wurde nicht schon alles über Haare transportiert: die Hippiebewegung
       (möglichst lang), die Rastabewegung (möglichst ungekämmt), der neue
       Feminismus (möglichst unrasiert). Auch im Film sind Haare immer wieder das
       Objekt, das Botschaften transportiert, beziehungsweise das Objekt, in dem
       sich die Faszination des Zuschauers verfängt.
       
       Einer der ersten Megastars der Kinogeschichte wurde so populär, weil sie es
       verstand, ihr Haar so zu inszenieren, dass sich die Zuschauer mit ihnen
       ganz und gar verflochten fühlten: Die im Jahr 1892 geborene Mary Pickford
       war „the girl with the curly hair“. Stefan Ripplinger hat nun in einem
       hauchdünnen, aber beeindruckend intensiven und intelligenten Buch den
       Locken der Pickford neuen Glanz verliehen.
       
       In der beim Verbrecher Verlag erscheinenden, in Zusammenarbeit mit der
       Deutschen Kinemathek herausgegebenen „Filit“-Reihe ist Ripplingers „Mary
       Pickfords Locken“ der 11. Titel. Die Reihe widmet sich der Filmgeschichte,
       allerdings nicht in der Totalen, sondern eher im extremen Close-up. So ist
       Ripplinger dort bereits mit dem ebenso knappen wie klugen „I can see now“
       vertreten, einem Essay über die Rolle der Blindheit im Kino.
       
       Nun widmet er sich mit der „Etüde über Bindung“, so der Untertitel, dem
       Symbol der Locke und wie es diese eine Schauspielerin schaffte, damit die
       Herzen des Publikums zu erobern. Pickford, schreibt Ripplinger, habe als
       eine der Ersten verstanden, „dass der Filmschaupieler mit einem Blick, mit
       einer zarten Handbewegung und sogar mit völliger Regungslosigkeit unendlich
       feiner differenzieren kann als mit überdeutlicher Mimik und Gestik“.
       
       ## Verlockende Ambivalenz
       
       Das ganze Geheimnis ihres Erfolgs erschöpfe sich aber nicht in ihrem
       vitalen Spiel, ihrer Schönheit und ihren technischen Tricks, die die Locken
       immer als Heiligenschein erschienen ließen. Es sei die in der Locke
       liegende Ambivalenz, die Pickford erkannt und benutzt habe.
       
       Sie mimt den blonden Engel und die feine Dame mit gedrehten und gelegten
       Locken, allerdings auch das Aschenputtel, das Bauernmädchen oder den Jungen
       aus der Gosse mit herunterhängenden, von Schlamm bedeckten oder
       ungebändigten Locken.
       
       Es seien die Ambivalenzen von Geschlecht und Klasse, mit denen Pickford
       gespielt habe und die sich auch in den Botschaften ihrer Filme zeigten:
       Dass es ein bloßer, wenn auch schön gelockter Traum sei, die Grenzen der
       Klassengesellschaft von unten zu überwinden. Dass es aber auch ein Albtraum
       sein könne, zu jener Klasse zu gehören, bei denen die Locken immer richtig
       liegen.
       
       Keine andere Frau im Kino sei jemals „freier und mächtiger“ gewesen als
       Mary Pickford, behauptet Ripplinger. Sie erfand selber Szenen, Dialoge und
       technische Effekte und wusste sich früher und besser als andere im
       Filmgeschäft zu vermarkten, was bedeutete, dem Publikum zu zeigen, was es
       sehen wollte.
       
       ## Hohe Bindekraft
       
       Profitiert hat sie dabei auch von der Unerfahrenheit mit dem Medium. Filme,
       oft nicht länger als fünfzehn Minuten, wurden damals in Windeseile gedreht,
       so dass gar keine Zeit blieb, widerspenstige und eigensinnige
       Schauspielerinnen wie Pickford zu bändigen.
       
       Mit ihrem unbändigen Charakter, den sie hinter den gebändigten Locken nicht
       verbarg, vermochte sie aber eben auch das Publikum an sich zu binden.
       
       Erst als die Zuschauer lieber nur strahlend blonde Happy Ends statt
       herunterhängende, von Schlamm bedeckte Locken sehen wollten, schnitt
       Pickford 1928 ihre Locken ab, gab sie den Museen in Los Angeles und San
       Diego und besiegelte damit das Ende ihrer Ära.
       
       30 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Doris Akrap
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Feministinnen
       
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