# taz.de -- JUSTIZ: An den Ohren herbeigezogen
       
       > In Berlin will ein Richter eine Kopftuch tragende Zeugin nur vernehmen,
       > wenn er ihre Ohren sieht. Nur so könne er beurteilen, ob sie die Wahrheit
       > sage. Anwalt legt Beschwerde ein.
       
 (IMG) Bild: Hauptsache Ohren frei! Dieser Verfassungsrichter macht es richtig.
       
       Es klingt wie ein verfrühter Aprilscherz: Weil ein Richter offenbar die
       Wahrheit an den Ohren erkennen zu können glaubte, wollte er eine Zeugin bei
       einem Verfahren um Verkehrsordnungswidrigkeiten zwingen, ihr Kopftuch
       abzulegen. Die Zeugin, die dies verweigerte, wurde in der Verhandlung nicht
       gehört. Der Richter war bereits im September vergangenen Jahres in die
       Schlagzeilen geraten, als er einer Anwältin das Tragen eines Kopftuchs im
       Gericht verbieten wollte.
       
       Der aktuelle Fall ereignete sich am vergangenen Dienstag im Amtsgericht
       Tiergarten. Laut der als Zuschauerin bei der Verhandlung anwesenden
       Rechtsanwältin Handan Ceylan drohte der zuständige Richter der Zeugin mit
       der Verhängung eines Ordnungsgeldes, wenn sie bei der Vernehmung ihr
       Kopftuch nicht ablegen würde. Seine Begründung, so Ceylan: Er habe die
       Ohren der Zeugin sehen wollen, „da er sonst nicht erkennen könne, ob sie
       die Wahrheit sage“.
       
       Einen Befangenheitsantrag, den der Anwalt des in dem Verfahren Beklagten
       daraufhin stellte, lehnte der Richter selbst ab. Die Zeugin, die zur
       Entlastung des Beklagten aussagen sollte, wurde in der Verhandlung nicht
       vernommen.
       
       Dies sei jedoch nicht der Tatsache geschuldet, dass sie ihr Kopftuch nicht
       ablegen wollte, teilte die zuständige Pressestelle für Strafrecht auf
       Anfrage der taz mit. Ihre Aussage sei nicht mehr nötig gewesen, weil der
       Richter das Verfahren eingestellt habe, so Gerichtssprecher Tobias Kaehne.
       Es sei aber richtig, so Kaehne, „dass der Richter erklärt hat, dass die
       Zeugin, wenn es denn zu ihrer Vernehmung kommen sollte, ihr Kopftuch
       abnehmen oder zumindest nach hinten schieben müsse.“ Anders gesagt: Mit
       bedeckten Ohren wäre sie von dem Richter nicht vernommen worden.
       
       ## Angemessene Kleidung
       
       „Willkür“ nennt das die Rechtsanwältin Handan Ceylan. Laut der Pressestelle
       der Berliner Strafgerichte können Gerichte allerdings Anordnungen zur
       „Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung“ auf Grundlage des
       Gerichtsverfassungsgesetzes erlassen. Der Richter treffe dabei „diejenigen
       Anordnungen, die aus seiner Sicht für den ordnungsgemäßen Ablauf einer
       Verhandlung erforderlich sind“ und handle „im Rahmen seiner richterlichen
       Unabhängigkeit, unterliegt also keinen Anweisungen der Leitung des
       Gerichtes“, so Pressesprecher Kaehne zur taz.
       
       Geregelt würde damit etwa angemessene Bekleidung, so Kaehne, wobei „auch
       Wertvorstellungen jedes einzelnen Richters eine Rolle spielen“.
       Begründungspflichtig seien solche Entscheidungen nicht. Der Richter selbst
       wollte sich der taz gegenüber nicht äußern.
       
       Für die Juristin und Projektleiterin des Antidiskriminierungsnetzwerkes
       Berlin, Eva Maria Andrades, stellt die Forderung des Richters eine
       eindeutige Diskriminierung dar. Dass der ordnungsgemäße Verlauf einer
       Verhandlung durch das Kopftuch einer Zeugin in Gefahr gerate, könne sie
       „nicht nachvollziehen“.
       
       Zwar verbietet das Neutralitätsgesetz, das Berlin 2005 einführte,
       Staatsbediensteten das Tragen religiöser Bekleidung. Für ZeugInnen gelte
       das Gesetz aber nicht, so Andrades. Sie sieht in der Anordnung des Richters
       einen „klaren Verstoß gegen Artikel 3 und 4 des Grundgesetzes“, die die
       Gleichbehandlung aller Menschen und die Religionsfreiheit gebieten.
       
       Die Senatsjustizverwaltung will den Vorgang nicht kommentieren, verweist
       aber auf die Diskussion vom September, als der Richter einer Rechtsanwältin
       das Tragen des Kopftuch untersagen wollte. Damals gab es eine Umfrage bei
       den Berliner Gerichten. Die habe ergeben, „dass es in Berlin keine
       grundsätzlichen Konflikte mit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten gibt,
       die im Gerichtssaal religiöse Symbole tragen. Dies dürfte auch auf das
       Tragen von Kopftüchern durch Zeuginnen zutreffen.“
       
       Laut der Antwort der Senatsverwaltung auf eine Kleine Anfrage des
       Grünen-Abgeordneten Dirk Behrendt vom Oktober 2013 hat es bisher in Berlin
       erst ein Gerichtsverfahren in einer ähnlich gelagerten Angelegenheit
       gegeben. Demnach sah das Kammergericht 2012 in dem Kopftuch einer Schöffin
       „keinen Umstand, der die Unfähigkeit der Schöffin begründete, das
       Schöffenamt zu bekleiden“.
       
       Muharrem Aras, der Anwalt des in dem Ordnungswidrigkeitsverfahren
       Beklagten, will nun eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Richter
       einlegen.
       
       30 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alke Wierth
       
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