# taz.de -- Syrienkrieg im Libanon: Rebellen im Exil
       
       > Nach der Niederlage der Freien Syrischen Armee in der Grenzregion Kalamun
       > sind viele Kämpfer in den Libanon geflohen. Dort sind sie nicht
       > willkommen.
       
 (IMG) Bild: Blick auf die Grenzstadt Arsal, in der über 100.000 Syrer Zuflucht suchen
       
       ARSAL taz | Die Straße schlängelt sich den Berg hinauf, sie ist kaum
       befahren. Im Rückspiegel verschwindet der rot-weiß gestreifte Checkpoint
       der libanesischen Armee hinter einer Kurve. Von hier aus sind es nur noch
       wenige Kilometer bis zum nordöstlichsten Zipfel des Libanons, der an Syrien
       grenzt. Dass sich irgendwo in diesem Niemandsland aus strahlend weißem
       Gebirge eine ganze Stadt verbirgt, ist nur schwer vorstellbar. Doch nach
       einer letzten Anhöhe geben die Berge den Blick auf Arsal frei.
       
       Die Stadt ist Zufluchtsort für mehr als 100.000 syrische Flüchtlinge und
       Exil versprengter Gruppen syrischer Rebellen. So weit das Auge reicht,
       reihen sich Zelte an Häuserblöcke. Motorräder und Geländewagen schieben
       sich durch die engen Gassen und wirbeln weißen Staub auf, der sich über
       alles und jeden legt.
       
       Seit Ausbruch des Syrienkonflikts vor mehr als drei Jahren flohen über eine
       Million Syrer in den Libanon. Viele von ihnen passierten die Grenze nahe
       Arsal, einige sind geblieben. Arsal ist die einzige sunnitische Kleinstadt
       in einem weiten Umfeld größtenteils schiitischer Dörfer und Städte in der
       nördlichen Bekaa-Ebene. Dass die schiitische libanesische Hisbollah-Miliz
       in diesem Gebiet viel Einfluss besitzt, wird auf der Fahrt Richtung Berge
       sehr deutlich. Riesige Plakate mit Hassan Nasrallah, ihrem Anführer, sind
       am Straßenrand aufgestellt.
       
       Die Stadt Arsal ist der Hisbollah und dem mit ihr verbündeten Assad-Regime
       ein Dorn im Auge. Seit einem Jahr kämpft die libanesische Miliz jenseits
       der Grenze direkt aufseiten der syrischen Regierungstruppen und trainiert
       außerdem die regimetreuen paramilitärischen Nationalen Verteidigungskräfte.
       Das bergige Terrain in der Grenzregion ermöglicht es Waffenschmugglern und
       Kämpfern der Freien Syrischen Armee, nahezu unbemerkt die Grenze zwischen
       der Bekaa-Ebene im Libanon und den Kalamun-Bergen in Syrien zu passieren,
       die sich länger als zwei Jahre zu großen Teilen unter Kontrolle der
       syrische Rebellen befand. Das syrische Regime feuerte sogar mehrfach
       Raketen auf das Umland von Arsal ab. Im Januar trafen Geschosse erstmals
       das Herz der Stadt und töteten sieben Menschen, darunter sechs Kinder. Im
       März siegten die Truppen des syrischen Regimes in der „Schlacht um
       Kalamun“. Viele Rebellen sind daraufhin nach Arsal geflohen und harren in
       Höhlen tief im Berg aus.
       
       ## In Hörweite
       
       Einer von ihnen ist Abu Farid*, der seine Familie für wenige Tage in Arsal
       besucht. In der karg eingerichteten Zweizimmerwohnung eines Bekannten nimmt
       er auf einer abgewetzten Matratze Platz und lässt sich einen Kaffee
       reichen. Ihn als Gast begrüßen zu dürfen, ist für manche eine große Ehre.
       Denn Abu Farid führte die Truppen der Freien Syrischen Armee an der
       vordersten Gefechtslinie Dschabruds, der Hauptstadt von Kalamun.
       
       Heute sieht der 46-Jährige in seinem schwarzen Parka und lässigen Jeans
       ganz und gar nicht wie ein Feldherr aus. Er scherzt viel, und wenn er
       lacht, erscheint eine markante Lücke zwischen seinen Vorderzähnen. Doch die
       Erinnerung an die verlorene Schlacht verfinstert seinen Blick. „Kalamun war
       einer der liberalsten Orte im Nahen Osten. Muslime und Christen haben dort
       zusammengelebt. Warum bloß lässt die Welt zu, dass ein solcher Ort in die
       Hände des Regimes fällt?“, fragt er.
       
       Tatsächlich hat die Region von Kalamun für die Rebellen und das Regime
       bedeutende strategische Vorteile – wie zum Beispiel die Autobahnanbindung
       nach Damaskus und Homs. Insgesamt vier Monate verteidigten die Freie
       Syrische Armee und die Al-Nusra-Front das Gebiet. In den letzten 33 Tagen
       der Schlacht hätten sich die Kämpfe an einer acht Kilometer langen Front
       vor Dschabrud zugespitzt, erklärt Abu Farid. Dort sollen seine Brigaden und
       die des Regimes gerade einmal 70 Meter getrennt haben. „
       
       Wir haben viele Märtyrer beerdigt, aber auch das Regime hat viele Kämpfer
       verloren“, sagt Farid. „Ich sage Regime – aber eigentlich waren da nur
       Hisbollah-Milizen. Wenn wir auf Hörweite vorrückten, konnten wir hören,
       dass die Kämpfer fast ausschließlich im libanesischen Dialekt miteinander
       sprachen.“
       
       ## Jagd auf Syrer?
       
       Der Groll des Syrers gegen die Hisbollah sitzt tief. Nach der Einnahme
       Dschabruds richtete die Schiitenmiliz informelle Checkpoints innerhalb und
       außerhalb von Arsal ein, um den Flüchtlingsstrom zu kontrollieren. Gerüchte
       machten die Runde, dass dort Syrer ohne Grund verprügelt oder beschossen
       wurden.
       
       In einem Nebenzimmer liegt der 20-jährige Ahmad auf einem provisorischem
       Krankenbett. Er hat eine Schussverletzung am Bein von den Kämpfen in
       Dschabrud, und eigentlich sollte er von Arsal aus in ein libanesisches
       Krankenhaus gebracht werden. Bewaffnete stoppten den Krankenwagen in einem
       Nachbardorf und schlugen mit dem Schaft eines Maschinengewehrs auf den
       bereits bewusstlosen jungen Mann ein. Seine Mutter schüttelt auf die Frage
       hin, wer für die Attacke verantwortlich sei, entschieden mit dem Kopf. Sie
       wisse nicht, wer die Angreifer gewesen sind, aber auch sie habe Geschichten
       von Gewalt gegen Flüchtlinge an Hisbollah-Checkpoints gehört.
       
       Für die Hisbollah sind die Rebellen Terroristen und ein hoher Risikofaktor
       im Libanon. Seit letztem Jahr erschütterten etliche Bombenanschläge vor
       allem schiitische Gebiete. In einem Interview mit der libanesischen
       Tageszeitung As-Safir sprach der Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah über die
       Bedrohung durch den Terrorismus. Die Einnahme Kalamuns und die verstärkten
       Sicherheitsvorkehrungen hätten dazu geführt, dass die Zahl der Anschläge
       stark zurückgegangen sei.
       
       Über 2.000 Soldaten der libanesischen Armee patrouillieren mittlerweile in
       der nördlichen Bekaa-Ebene und richten Checkpoints ein. Laut Informationen
       des libanesischen Militärs wurden bei Razzien in den Flüchtlingslagern von
       Arsal mutmaßliche Al-Qaida-Anhänger festgenommen. Trotzdem scheint die
       Gefahr von Anschlägen im Libanon noch lange nicht gebannt. Erst Ende März
       tötete eine Autobombe drei Soldaten nahe Arsal.
       
       ## „Wir haben selber Angst“
       
       Abu Farid hält die Aktionen des Militärs für pure Provokation. Er kenne
       niemanden in Arsal, der etwas vom Sprengstoffbau verstehe. „Wir haben
       selber Angst nach jeder Explosion im Libanon. Die Reaktion der Armee und
       der Hisbollah könnte sich gegen meine Kinder, meine Frau oder meine Freunde
       richten.“
       
       Durch die Maßnahmen des Militärs ist Arsal so gut wie isoliert vom Rest des
       Libanons. Syrer, die auf der Flucht in den Libanon nicht über einen der
       offiziellen Grenzübergänge gekommen sind, haben keine Genehmigung, die
       Stadt zu verlassen. Um sich aber als Flüchtling zu registrieren, müssen sie
       die offizielle Stelle der UNHCR im 70 Kilometer entfernten Zahle aufsuchen.
       Erst dann können sie sich frei im Libanon bewegen und Hilfsleistungen
       beantragen.
       
       Abu Farids Augen wandern zum Fernseher. Es läuft eine Liveübertragung der
       syrischen Fußballmeisterschaften. Das Spiel der rivalisierenden
       Mannschaften ist in vollem Gange, doch auf den Tribünen herrscht gähnenden
       Leere. Wo sind die Zuschauer? Abu Farid zuckt mit den Schultern und
       antwortet: „Die sind vermutlich tot.“
       
       ## Gefängnis oder Ruhepunkt?
       
       Die Sonne brennt auf die weiße Erde, als Abu Farid vor einem
       Flüchtlingslager von seinem Crossmotorrad absteigt. Er betritt ein Zelt.
       Die Luft ist schwer vom Zigarettenrauch. Drei Männer haben es sich auf
       Polstern bequem gemacht, und Abu Farid gesellt sich zu ihnen. Sie haben
       alle zusammen in Dschabrud gekämpft. Abu Mohammad* richtet sich im
       Schneidersitz auf. Er ist 45 Jahre alt, aber seine ergrauten Haare und
       müden Augen lassen ihn viel älter wirken. Er sitzt gekrümmt, redet nicht
       viel, und sobald er eine Zigarette ausdrückt, zündet er sich die nächste
       an.
       
       Abu Mohammad erzählt, dass er bis August 2012 Oberst in der syrischen
       Luftwaffe gewesen ist und sich dann erst den Rebellen angeschlossen habe.
       „Als mein Flieger zur Tötungsmaschine wurde, wollte ich nicht länger Pilot
       der syrischen Armee sein“, erklärt er. In Syrien sei ein Kopfgeld auf ihn
       ausgesetzt worden. Seine Familie habe er seit zwei Jahren nicht gesehen.
       „Wenn das Regime das Versteck meiner Familie in Syrien findet, werden sie
       alle umbringen“, befürchtet er.
       
       Abu Mohammad ist ständig auf der Flucht – zuerst floh er vor dem Regime,
       dann vor der Hisbollah, und auch in Arsal will er nicht bleiben.
       
       „Vielleicht werde ich in die Türkei oder zurück nach Syrien gehen. Aber
       hier bleibe ich sicher nicht. Arsal ist wie ein Gefängnis.“
       
       Abu Farid unterbricht ihn: „Arsal ist immerhin wie ein weitläufiges
       Gefängnis. Ich bin als Flüchtling in den Libanon gekommen, nicht als
       Rebell. Ich will meine Ruhe haben.“ Er vergisst dabei, dass er von denen
       Milde erwartet, die er über Monate hinweg in Kalamun bekämpft hat. Die
       Hisbollah kontrolliert nun mit ihren Verbündeten die syrisch-libanesische
       Grenzregion. Arsal ist eingekesselt. Für Abu Mohammad, Abu Farid und viele
       andere gibt es keine Zukunft im Libanon. Sie werden wohl eines Tages nach
       Syrien zurückkehren und den Kampf gegen das Regime fortsetzen.
       
       *Die Namen der Kämpfer wurden geändert
       
       21 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Juliane Metzker
       
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