# taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Kulturkampf mit Bart
       
       > Dschihadisten, Hipster, Conchita. Sie alle tragen Bart. Der der
       > österreichischen ESC-Siegerin aber hat einen erbittert geführten
       > Kulturkampf ausgelöst.
       
 (IMG) Bild: Ihr Heimatort nennt sich heute nicht Bad, sondern Bart Mitterndorf.
       
       Der Aufstieg der Conchita Wurst wurde gewissermaßen erwartet: Das Feld für
       so eine Figur war vorbereitet. Denn Homosexualität hat gerade in letzter
       Zeit eine unglaubliche politische Aufladung erfahren. Haben Sie sich auch
       schon die längste Zeit gefragt, wieso gerade Homosexualität zu jener
       Demarkationslinie geworden ist, an der entlang wir unser Gesellschaftsbild
       verhandeln? Weder Frauen noch Schwarze noch irgendeine andere Minderheit
       ist heute in dieser Position.
       
       Mit Conchita Wurst, das heißt mit der Ausweitung auf Transgender, hat sich
       die Auseinandersetzung deutlich verschärft. Und das ist jetzt kein
       Herrenwitz. Das ist Kulturkampf – er sieht nur anders aus als bei Samuel
       Huntington. Da treten nicht Zivilisationen gegeneinander an. Da prallen
       vielmehr unterschiedlichen Arten, seine Identität zu bewohnen, aufeinander.
       Was sehr abstrakt klingt, ist in Wahrheit ein richtiges Pulverfass.
       
       Es scheint keine Verständigung möglich zwischen jenen, die ihre Identität
       als kompakte, volle kulturelle Identitäten leben, und denen, die den Bruch,
       die innere Widersprüchlichkeit, die jeder Identität zugrunde liegt, nicht
       überdecken, sondern offen leben. Und genau diese Konfrontation macht das
       Thema „Homosexualität“ so virulent.
       
       Denn der „weiße Mann“ ist die letzte und bislang intakte Bastion in dieser
       Auseinandersetzung. Die Angriffe kommen heute nicht mehr von außen – etwa
       von Frauen. Im Ringen um öffentliche Anerkennung von Homosexualität und
       Transgender beginnen Männer selbst, die Brüche dieser Bastion freizulegen.
       Conchita Wurst ist nicht weniger gelungen, als dafür ein Bild gefunden zu
       haben. Nicht in subkulturellen Kreisen – nein, ein massentaugliches Bild,
       eine masseneuphorisierende Figur für diese „Geste der
       Selbstdurchstreichung“ (Luca di Blasi).
       
       Dieses Bild ist weder das einer Verkleidung noch das eines Transsexuellen,
       denn das wäre ja eine neue Eindeutigkeit. Es ist vielmehr ein Bild gegen
       jede Eindeutigkeit – und das Symbol dafür ist ausgerechnet der Bart.
       Zurzeit laufen ja viele Bärte herum: Dschihadisten tragen sie ebenso wie
       Hipster. Aber das sind Bärte, die – ernst oder ironisch – immer Symbole des
       Phallus sind. Wobei Phallus nicht das biologische Organ meint, sondern die
       imaginäre Fülle einer intakten Männlichkeit. Conchita Wurst aber hat gerade
       den phallischen Bart umcodiert: Sie hat den Bart zu jenem Element gemacht,
       das eine volle geschlechtliche Identität verhindert. Der Bart wird von
       einem phallischen Zeichen zum Zeichen einer nichtvollen Identität.
       
       ## Erschütterte Männer
       
       Die Heftigkeit der Gegnerschaft, die dieses Bild auf den Plan ruft, zeigt,
       wie genau es trifft. Da gibt es zum einen jene – vorwiegend Männer –, bei
       denen ihr Anblick Ekel erzeugt. Das ist eine persönliche Abwehr, die zeigt,
       wie tief die Erschütterung ist. Das hat zumindest was. Das lässt sich von
       der intellektuellen Abwehr nicht behaupten. Etwa wenn der Deutschlandfunk
       mit jeder Bestimmung danebengreift – vom „irritierenden Halbwesen“ über die
       „Selbstverdoppelung“ (also was nun?) bis zum „Hermaphroditen“ – und dabei
       die Lektion verpasst: Die einsame Stunde der reinen Natur schlägt nie (frei
       nach Althusser).
       
       Oder die Arroganz, mit der ein Kommentator im Freitag Conchita Wurst als
       „trash as trash can“ abkanzelt. Mag sein, dass einen die Anmut dieser
       Erscheinung nicht berührt. Aber so viel intellektuelle Redlichkeit muss
       sein, sich der Frage zu stellen, wieso Millionen Menschen von dieser Figur
       berührt und bezaubert sind. Alles nur trash?
       
       Auch die dritte Abwehrfraktion, die politische, ist in ihrer Vehemenz
       unglaublich. Was für eine Herausforderung muss diese Kunstfigur sein, die
       aus einem Gesangswettbewerb aufstieg – von den russischen Reaktionen bis zu
       den ungarischen, wo Conchita es bis aufs Wahlplakat brachte!
       
       Und in Österreich? Ihr Heimatort nennt sich heute nicht Bad, sondern Bart
       Mitterndorf, ihm Trachtenanzug spricht ihr Vater über den „schwulen Sohn“
       im TV, Jörg Haiders „Lebensmensch“ outet sich als Conchita-Fan und der
       Kardinal gratuliert. Queer as queer can.
       
       19 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Isolde Charim
       
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