# taz.de -- Die Wahrheit: Zur Sicherheit ein Tweet – #Bullshit
       
       > Für die in Nigeria entführten Mädchen werden Schilder der Sympathie in
       > die Kameras gehalten. Das hilft weniger den Mädchen als den
       > Sympathisanten.
       
 (IMG) Bild: Präsident Goodluck Jonathan kündigte am Himmelfahrtstag einen Großangriff auf die Islamisten an.
       
       In Nigeria sind am 18. April 2014 genau 276 Schulmädchen entführt worden,
       weil es Schulmädchen waren. Denn in diesem, wie man hört, komplizierten
       Land wütet eine islamistische Gruppe, deren Name sich salopp mit „Schule
       ist doof“ übersetzen lässt. Logisch eigentlich, dass Schulmädchen diesen
       tiefgläubigen Jungs ein Dorn im Auge sind. Nun sollen die Mädchen mal als
       Bräute verkauft, mal gegen Gefangene eingetauscht werden. Der Häuptling der
       Gruppe hatte sich in dieser Hinsicht bis jetzt noch nicht abschließend
       geäußert.
       
       Unterdessen ließ die Gattin des nigerianischen Präsidenten einige
       Angehörige der Mädchen verhaften, weil sie die Entführung für eine
       Erfindung halten wollte – was die Zivilgesellschaft des Lands bewog, ihren
       Protest auch bei Twitter unter dem Hashtag #BringBackOurGirls zu
       verbreiten. Inzwischen hat sich auch die Gattin des amerikanischen
       Präsidenten ablichten lassen, wie sie mit bedröppeltem Gesicht ein Schild
       in die Kamera hält: #BringBackOurGirls. Nun ließe sich fragen, warum ihr
       Mann nicht einfach eine seiner schicken Drohnen schickt, mit denen er heute
       schon mehr Kinder getötet hat, als Boko Haram das jemals könnte.
       
       Möglicherweise ist das telepathische Wunschdenken per Tweet nur die
       pazifistische Entsprechung ferngesteuerter Todesmaschinen. Michelle Obama
       ist jedenfalls nicht alleine mit ihrem aufopferungsvollen Engagement.
       Nachdrücklich in die Kamera geguckt und Schildchen hergezeigt haben
       weltweit schon Julia Roberts, Justin Bieber oder Joko und Klaas, um nur
       einige zu nennen. Ich werde mich da einstweilen enthalten. Erstens sind das
       nicht „meine“ Mädchen. Zweitens verstehe ich den Satz nicht. Wer genau soll
       die „Girls“ zurückbringen? Eines dieser Spezialkommandos, die schon den
       Söldnerführer Joseph Kony nicht gesucht und nicht gefunden haben? Die
       X-Men? Paul von Lettow-Vorbeck? Ich habe keine Ahnung – aber dafür den
       Verdacht, dass auch sonst kaum jemand eine Ahnung hat.
       
       Erst recht nicht die „Netzgemeinde“, deren Mitglieder sich an ihrem
       wohlfeilen guten Gewissen berauschen und gegenseitig in der Illusion
       bestärken, damit irgendeinen „Druck“ aufbauen zu können. Als ließe sich der
       Bösewicht per Shitstorm aus dem Dschungel kärchern: „Sorry, war mir gar
       nicht klar, dass das eure Mädchen sind!“ Jeder einzelne
       #BringBackOurGirls-Tweet ist eben nur ein weiteres Härchen auf der globalen
       Gänsehaut unserer Selbstgerechtigkeit, nichts anderes als der weltweite
       Brummton kollektiver Selbstrührung. Wogegen nichts einzuwenden wäre, würde
       damit nicht so erfolgreich die Erkenntnis verschleiert, dass diese Welt das
       Resultat unserer Taten ist.
       
       Kein Wunder, dass die leichtfertige Verwechslung von modischer „Awareness“
       mit realem Handeln digitalreligiöse Züge trägt. Früher wurde für die
       Betroffenen nur gebetet, heute wird zur Sicherheit noch ein Tweet
       hinterhergeschickt. Im Mittelalter bewunderte man diese Haltung als „sancta
       simplicitas“, als heilige Einfalt. Heute haben wir dafür andere Begriffe.
       #Bullshit zum Beispiel.
       
       22 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
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