# taz.de -- Fußballexperten bei ARD und ZDF: Wie Helmut Kohl und Heiner Geißler
       
       > Die WM-Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen: Gnadenlose
       > Begeisterung und fehlende Kompetenz. Und Scholl ist nicht besser als
       > Kahn.
       
 (IMG) Bild: Hihihi und hohoho: Mehmet Scholl und Oliver Kahn.
       
       Wenn die ARD kritisch wird, handelt es sich um eine Panne. „Ist das
       offiziell?“, fragte der WM-Moderator Matthias Opdenhövel: „Du weißt ja nie
       bei den schwindeligen Fifa-Flöten.“ Großer Jubel in Onlineforen: Der Mann
       traut sich was. Tat er nicht. Der Spruch dürfte weitgehend Common Sense in
       Deutschland sein. Opdenhövel aber sprach nur deshalb aus, was alle denken,
       weil er irrtümlicherweise dachte, er sei nicht auf Sendung.
       
       Machen wir es kurz: ARD und ZDF haben den „Fifa-Flöten“ (geschätzte) 180
       Millionen Euro für die Rechte an den WM-Spielen bezahlt, 2018 und 2022 sind
       auch schon eingekauft. Wer ernsthaft behauptet, das sei eine Grundlage für
       unabhängigen Journalismus, hat vermutlich nicht alle Panini-Bildchen im
       Album. Daimler bringt seine Autos ja auch nicht an den Mann, indem man den
       absurden Benzinverbrauch kritisiert. Wobei: Die Fifa könnte man leise auch
       im On hinterfragen, die WM selbst aber schon nicht mehr. Es geht darum, die
       Show zu verkaufen und damit sich. Nicht möglichst gut, sondern an möglichst
       viele.
       
       Was hat man den Fußballunterhalter Waldemar Hartmann dafür geprügelt, dass
       er stets auf das Primat der Unterhaltungsfunktion des Fernsehfußballs
       bestanden hat. Vielleicht war er ja einfach nur ehrlich. Und nun ist er
       weg: Und das Niveau ist nicht besser geworden. „Die Paradoxie der
       Sportberichterstattung in den Öffentlich-Rechtlichen“ nennt die tägliche
       Medienkolumne Altpapier das Geschäftsgebaren: „Man sichert sich mit viel
       Gebührengeld Rechte an Sportgroßereignissen mit der zumindest offiziellen
       Erklärung einer Art Grundversorgung – zieht diese dann aber durch wie
       irgendein Butterfahrtveranstalter.“
       
       Das heißt: Gnadenlose Begeisterung für das eigene Produkt, das ist vor
       allem die deutsche Mannschaft. Entsprechende Beschallung, selbst von einem
       sonst eher zurückhaltenden Spielkommentator wie Gerd Gottlob.
       „Hofberichterstattung“ (Tagesspiegel) aus dem DFB-Quartier. Inhaltsfreie
       Aufsager der journalistischen Heizdecke Katrin Müller-Hohenstein.
       Werbefilmchen, in denen Bundestrainer Löw an einem Strand entlangjoggt, mit
       entsprechender Musik unterlegt, dass eigentlich nur noch der Nivea-Verweis
       fehlt. Dafür wird Löws Laufstil vom zugeschalteten Fußballexperten
       analysiert.
       
       ## Bizarres Stimmungsrundenformat
       
       Damit auch wirklich nichts herauskommen kann, hat das ZDF dann noch den
       Ex-Bayernspieler Hasan Salihamidzic beauftragt, seine Exkollegen in einem
       bizarren Stimmungsrundenformat zum Lachen zu bringen (er lacht am meisten).
       Und in der ARD könnte Beckmann aus dem brasilianischen Ex-Bayernspieler
       Giovane Elber selbst dann nichts Inhaltliches herausbringen, wenn er das
       wollte. Und wenn gejauchzt wird, es sei „endlich ein guter Schiedsrichter“
       am Werk, dann heißt das, dass der Deutsche gepfiffen hat.
       
       Das ist das eine. Aber selbst wenn man akzeptierte, dass es die
       Notwendigkeit einer Grundversorgung an Jubelberichterstattung gibt, so ist
       auch das allenfalls die größte Nische, aber sicher kein „Programm für
       alle“, wie die Sender gern ihre Gebührenverwendung begründen. Es gibt
       daneben auch einen wachsenden Grundversorgungsbedarf an fachlicher
       Information, der nicht mit Hinweisen zu Ronaldos Freundin oder zu Löws
       Joggingtempo befriedigt wird.
       
       Man kann es auch andersherum sehen: Gerade weil bei einer WM viele zusehen,
       die keine Experten sind, wäre auch eine Grundversorgung mit fachlicher
       Information hilfreich. Bei der riesigen Menge an Sendezeit wäre das auch
       problemlos komplementär zu leisten.
       
       Aber da mangelt es schlicht an Fußballkompetenz. Selbstverständlich gehörte
       das Hadern über den Kommentator stets zum Fußball. In letzter Zeit hat sich
       indes einiges getan: Viele Bundesligakommentatoren von Sky sind inzwischen
       auf hohem fachlichen Niveau. Das liegt daran, dass sie den Job regelmäßig
       machen. Auch wenn man weiß, dass bei ARD und ZDF selbstverständlich nicht
       die Besten kommentieren, sondern die Bestvernetzten: Bei den Kommentatoren
       Steffen Simon (ARD) und Wolf-Dieter Poschmann (ZDF) merkt man am
       deutlichsten, dass sie die Arbeit nicht hauptberuflich ausüben. Die
       Versuche, fehlende Analyse durch gespielte Erregungszustände zu
       kompensieren, machen die Sache nur noch schlimmer.
       
       ## Kahn und Scholl – die wahren Experten?
       
       An dieser Stelle pflegen die Sender, auf ihre zugekaufte Fachkompetenz
       hinzuweisen, also die wahren Experten. Das sind Oliver Kahn (ZDF) und
       Mehmet Scholl (ARD), die beiden Exnationalspieler, die zu aktiven Zeiten
       beim FC Bayern – und auch schon davor – nebeneinander in der Kabine saßen.
       
       Scholl löste bei der Euro 2012 eine der großen Empörungen der Gegenwart aus
       – gleich nach Brüderle und dem grünen Veggie-Day –, als er die mangelnde
       Laufleistung des damaligen Bayern-Profis Mario Gomez mit dem Bonmot
       kritisierte, er habe Angst gehabt, dass Gomez „sich wund liegt“. Die Sache
       zeigte zum einen, wie eng die Grenzen für kontroverses Sprechen in dieser
       Gesellschaft geworden sind. Dass Leute sich über jeden Scheiß aufregen
       wollen. Dass die Intensität der Aufregung umso größer ist, je geringer die
       Relevanz der Sache.
       
       Der Witz an der Sache ist, dass Scholl damals Angestellter des FC Bayern
       war. Bezeichnenderweise sah der FC Bayern die singuläre Kritik eines
       Bayern-Angestellten an einem Bayern-Angestellten als Problem. Die ARD sah
       das Abhängigkeitsverhältnis niemals als Problem. Heute ist Scholl zwar
       nicht mehr formal bei den Bayern angestellt, aber das ist Kahn ja auch
       nicht. Dennoch sind beide dem FC Bayern sehr nah.
       
       Mit dem heute noch diskutierten Gomez-Spruch wurde das wahre Problem
       konterkariert, dass nämlich beide öffentlich-rechtlichen Experten dem
       führenden deutschen Fußballunternehmen verpflichtet sind und letztlich als
       verdiente Nationalspieler auch dem DFB. Dass beide auch noch von einer
       Dachterrasse in Rio aus Spiele analysieren, nicht aus den Stadien der
       Spiele selbst, ist so bizarr, dass es kaum einem mehr auffällt.
       
       ## Keine kritische Intervention
       
       Man kann jetzt sagen: Es ist in der Logik des Mediums stimmig, das eigene
       Erlebnis und den eigenen Blick durch Fernsehen zu ersetzen. Außerdem ist es
       auch im Journalismus längst üblich. Stimmt: Es ist ein zentrales Problem
       des Fußballjournalismus, sich selbst zu entmündigen, indem man – aus
       Kostengründen oder Bequemlichkeit – seine Einschätzung der Wirklichkeit von
       einer Bildauswahl abhängig macht, die der Veranstalter und dessen
       Vertragspartner komponieren. Das ändert nichts daran, das man bei
       fachlichem Interesse von den zwei zentralen Analytikern der Nation erwarten
       können muss, dass sie das Spiel sehen und nicht bloß Fernsehbilder. Wer die
       Welt verstehen will, muss selbst schauen – von der Tribüne aus.
       
       Sicher kann man zwischen Scholl und Kahn erhebliche Unterschiede ausmachen.
       Der eine ist lustig, selbstironisch und kann fachlich analysieren, der
       andere ist unlustig, selbstgefällig und kann sich selbst zitieren. Scholl
       hat die Gabe, Oberfläche und Tiefe zu versöhnen, er weiß, dass die Welt
       kompliziert geworden ist und nichts so sein muss, wie es zunächst scheint.
       Damit stimuliert er seine Anhänger. Leute, die Scholl mögen, hören auch
       Sportfreunde Stiller oder Wilco und lesen Zeit oder taz.
       
       Kahn hat die Gabe, Tiefe und die Modernisierung des Spiels zu ignorieren
       und dadurch seinen Anhängern die Sorge zu nehmen, dass selbst der Fußball
       zu komplex für sie geworden sein könnte. Wer die größeren Eier hat und mehr
       Gras frisst, gewinnt. So war das immer. Kahn ist nicht zufällig
       geschäftlich mit Bild verbunden. Das passt. Dennoch ist Kahn womöglich
       weniger konformistisch als Scholl.
       
       ## Kontroverse Themen ausgeblendet
       
       Doch wenn man mit größerem Abstand schaut, dann schrumpft die Differenz
       zwischen beiden darauf zusammen, dass Kahn eher hohoho ist und Scholl eher
       hihihi. Man wird von Kahn bei einem Ausscheiden mehr Plattitüden des alten
       Fußballdenken bekommen, aber auch von Scholl keine wirklich kritische
       Interventionen: nicht zum aktuellen Streit über die mangelnde politische
       Einmischung des DFB, nicht über den Korruptionsverdacht gegen den
       langjährigen Bayern-Präsidenten Franz Beckenbauer, schon gar nicht über den
       Steuerbetrug des langjährigen Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß. Ja, nicht mal
       Grundsätzliches zur Leistung von Bayern-Spielern, wenn es mal nichts zu
       loben geben sollte.
       
       Aber das wollen die Öffentlich-Rechtlichen auch nicht, sonst hätten sie ja
       die beiden nicht engagiert. Im Grunde verhält es sich mit Oliver Kahn und
       Mehmet Scholl so, als würde die Expertenanalyse von Regierung und CDU bei
       „heute“ von Helmut Kohl erledigt – und in der „Tagesschau“ von Heiner
       Geißler. Auch er, bei aller Differenz, schützt am Ende immer seine Partei.
       
       23 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
       ## TAGS
       
 (DIR) WM 2014
 (DIR) ARD
 (DIR) ZDF
 (DIR) Experten
 (DIR) Mehmet Scholl
 (DIR) Sportjournalismus
 (DIR) WM 2014
 (DIR) Deutschland
 (DIR) WM 2014
 (DIR) Rambazamba
 (DIR) WM 2014
 (DIR) Fußball
 (DIR) WM 2014
 (DIR) Presseschau
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Versöhnung von ARD und Mehmet Scholl: Nur Feiglinge schweigen
       
       Scholl wollte bei einer Confed-Cup-Sendung nicht über Doping sprechen – und
       floh. Dass er zurückkommen darf, ist ein Armutszeugnis für die ARD.
       
 (DIR) WM-Berichte im „Morgenmagazin“: Expertin für gute „Stümmung“
       
       Die ehemalige Fechtolympiasiegerin Britta Heidemann war während der WM für
       die ARD im deutschen Teamquartier unterwegs. Ein gewagtes Experiment.
       
 (DIR) Frauen im Sportjournalismus: „WM ist die heilige Kuh der Männer“
       
       Die weibliche Fußballberichterstattung muss eine Marke werden, sagt Carmen
       Thomas. Die erste Sportmoderatorin in Deutschland über Männer, Mäntel,
       Schuldfragen.
       
 (DIR) Kommentar DFB-Aufstellung: 80 Millionen Bundestrainer
       
       Die Expertise in Deutschland kennt keine Grenzen. Löws Elf lässt sich vom
       Medientaumel und von der WM-Hysterie aber nicht anstecken. Gut so.
       
 (DIR) WM-Experte Kahn singt: Der Techno-Titan
       
       Im Internet ist ein Musikvideo mit Oliver Kahn aufgetaucht. Ein bizarres
       Ding, das einige Fragen aufwirft und vor allem eins ist: Blödelei.
       
 (DIR) Kolumne Rambazamba: Wo ist die Schland-Hysterie?
       
       Das Land schwächelt zur WM: In Deutschland weicht gewöhnlicher
       multikultureller Patriotismus sachlicher Fußballatmosphäre.
       
 (DIR) Kolumne Fußball-Wissenschaft: Ist der Star zurück?
       
       Das Kollektiv ist das Wichtigste, so der Trend im modernen Spitzenfußball.
       Doch bei dieser WM hat sich der Einzelspieler zurückgemeldet.
       
 (DIR) DFB-Elf bleibt bescheiden: Keine Übermannschaft
       
       Nach dem Auftaktsieg feiert die Presse die deutschen Spieler. Die üben sich
       nun in Zurückhaltung. Ein klassischer Fall von Understatement?
       
 (DIR) Gegen Deutschland Fußballgucken: Hummels und Hitler
       
       Schland-Trikots sind verboten, Flaggen auch. Ein Berliner Club bietet
       trachten- und hymnenfreies Public Viewing an. Antinational ist das trotzdem
       nicht.
       
 (DIR) Presseschau Deutschland - Portugal: Ein „Bad der Demütigung“
       
       Es ist die bislang höchste WM-Niederlage der Seleção das Quinas. Portugals
       Medien reagieren unterschiedlich auf das 0:4-Debakel gegen Deutschland.