# taz.de -- Kommentar Urteil zur Vollverschleierung: Ein schwieriger Richterspruch
       
       > In Europa zählt die Möglichkeit, einem Menschen ins Gesicht schauen zu
       > können, mehr als religiöse Überzeugungen. Das kann man so sehen.
       
 (IMG) Bild: Das Tragen eines Niqabs darf in Frankreich verboten bleiben, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
       
       Natürlich hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Werturteil
       gefällt, [1][als er das französische Verbot der Vollverschleierung für
       rechtens erklärte]. Die Frage ist: Welche Werte werden hochgehalten? Wer
       behauptet, die Verbannung von Burka und Nikab aus dem öffentlichen Raum
       diene vor allem der Befreiung unterdrückter Frauen, macht es sich zu
       leicht.
       
       Religiöse Überzeugungen erscheinen Außenstehenden oft irrational und schwer
       nachvollziehbar. Aber in Gläubigen sind sie tief verankert. Die Furcht, in
       der Hölle zu enden, dürfte ein erheblich schwererer Druck sein als jeder
       noch so tyrannische Ehemann. Es ist unerträglich naiv zu glauben, dass jede
       Frau vor allem familiäre Repressionen fürchtet, die sich in Frankreich seit
       dem Verschleierungsverbot nicht mehr auf die Straße traut.
       
       Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat allerdings – so weit
       bisher bekannt – weniger auf die Rechte der Frau abgehoben als vielmehr auf
       das Recht des Staates, das Zusammenleben zu regeln. Anders ausgedrückt:
       Jetzt ist also letztinstanzlich entschieden, dass wir in Europa die
       Möglichkeit höher achten, unserem Gegenüber ins Gesicht zu schauen, als
       individuelle religiöse Überzeugungen.
       
       Man kann das so entscheiden. Aber dann sollte man auch ehrlich sagen, dass
       man genau diese und keine anderen Prioritäten gesetzt hat. Und auf wolkige
       Gemeinplätze verzichten.
       
       Ein Grundsatzurteil gewährt nicht nur Rechte, sondern verweigert sie auch.
       Immer. Allseits beglückende Entscheidungen gibt es nicht – andernfalls wäre
       es ja gar nicht erst zu einem Rechtsstreit gekommen.
       
       Von der unterlegenen Seite kann verlangt werden, dass sie sich einem Urteil
       unterwirft. Aber es ist erniedrigend, wenn ihr auch noch die Einsicht
       abverlangt wird, alles geschehe nur zu ihrem eigenen Besten. Genau das aber
       tut das französische Gesetz, zum Beispiel mit Kursen in Staatsbürgerkunde
       für voll verschleierte Frauen. Könnte Paris nicht darauf verzichten – im
       Interesse des Rechtsfriedens?
       
       1 Jul 2014
       
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