# taz.de -- Soziologe über die Équipe Tricolore: „Vielen ist die Mannschaft fremd“
       
       > Das Bild von der gelungenen Integration stimmte nicht. Frankreichs
       > Multikulti-Team von 1998 war überschätzt, meint der französische
       > Sportsoziologe Patrick Mignon.
       
 (IMG) Bild: Auch in Frankreich werden Weißbrote immer noch bevorzugt.
       
       taz: Herr Mignon, 1998 feierte Frankreich die multikulturelle Équipe
       Tricolore als Sinnbild für gelungene Integration. Sieben Jahre später
       brannten die Vorstädte, Rassismus und Repression explodierten. Was war da
       geschehen? 
       
       Patrick Mignon: Bereits drei Monate nach dem französischen WM-Sieg am 12.
       Juli gab es heftige Unruhen in Toulouse! Alle Phänomene, die Frankreich
       heute charakterisieren, waren 1998 bereits vorhanden: hohe Arbeitslosigkeit
       in den Banlieues unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund, niedrige
       Schulabschlüsse, schlechte Beziehungen zur Polizei, rassistische
       Vorurteile.
       
       Die französische Regierung und der französische Fußballverband waren von
       dem Sieg und den Emotionen, die der Sieg hervorrief, völlig überrascht. Es
       gab keine Vorstellung davon, was auf dem Spiel steht bei der Organisation
       einer Weltmeisterschaft und dem Bau eines Stadions im Herzen eines der am
       meisten benachteiligten Gebiete Frankreichs. Das Bild vom
       Black-Blanc-Beur-Team war eine faule und beruhigende Antwort. Man wollte
       glauben, alle realen Probleme hätten sich durch die Magie des Fußballs
       aufgelöst.
       
       Wen repräsentiert die Mannschaft, die wir 2014 sehen? Wie kommt sie an? 
       
       Die 40 Prozent der Franzosen, die sich für Fußball interessieren,
       unterstützen das Team. Aber Sie können davon ausgehen, dass viele junge
       Spieler gerade der traditionellen Arbeiterklasse und der unteren
       Mittelklasse sehr fremd sind. Das liegt an der ökonomischen Entwicklung im
       Fußball, aber auch an der Rekrutierung von Jugendlichen mit migrantischem
       Hintergrund – und am Lebensstil der Fußballstars.
       
       Kein Idol in Sicht? 
       
       Im Moment ist Hugo Lloris der populärste Spieler. Für die anderen müssen
       wir das Ende des Wettbewerbs abwarten. Die Fußballkultur in Frankreich ist
       nur so mittelwichtig, deshalb hängt der Status eines Spielers sehr vom
       großen Erfolg im Nationalteam oder in der Champions League ab.
       
       Zinédine Zidane und Thierry Henry waren Symbolfiguren. Was ist mit Karim
       Benzema oder Paul Pogba? Reichen sie nicht an die Vorgänger ran? 
       
       Zidane und Henry haben in Frankreich gespielt, wie zuvor Platini. Benzema
       hat mit 19 Lyon verlassen, und Pogba hat in Frankreich zwei Jahre in der
       zweiten Liga gespielt, bevor er nach England ging. Pogba könnte eine
       Symbolfigur werden – er scheint im Unterschied zu Benzema sehr engagiert.
       
       16 Spieler im Kader von Algerien wurden in Frankreich geboren. Spielen sie
       nur aus sportlichen Gründen für Algerien? 
       
       Wir wissen, dass der algerische Fußballverband gern in Frankreich unter
       jungen Algeriern, die die doppelte Staatsbürgerschaft haben, Spieler
       rekrutiert, um ihre Nationalmannschaft zu verbessern. Manch ein Spieler ist
       auch lieber die Nummer 1 in Algerien als die Nummer 10 in Frankreich. Aber
       wir wissen auch, dass französische Algerier in Algerien nicht immer gern
       gesehen sind. Dieses Problem ist typisch für das, was Migration und
       Identität in einer globalen Welt sind.
       
       Exnationaltrainer Laurent Blanc wollte 2011 die französische Mannschaft
       weißer machen. 
       
       Das französische Team ist weißer als im Jahr 2010. Es ist nicht
       repräsentativ für die französische Gesellschaft: Es gibt keine asiatischen
       oder portugiesischen Spieler und nur einen mit algerischer Herkunft.
       
       Benzema singt nicht die „Marseillaise“. Das diskutiert man in Frankreich. 
       
       Einige politische Parteien und Politiker wollen die Staatsbürgerschaft
       ethnisieren. Das ist ein Aspekt der politischen Instrumentalisierung des
       Fußball nach 1998 und 2010. Alles, was im Fußball geschieht, wird als
       Zeichen des Scheiterns der Integration oder des mangelnden Willens der
       Menschen mit Migrationshintergrund gesehen.
       
       Glaubt man in Frankreich noch an die Möglichkeit des Sports, die sozialen
       Probleme reparieren zu können – Schulversagen, Delinquenz etc.? 
       
       Sport ist Teil des sozialen Gefüges, neben der Schule und anderen sozialen
       Einrichtungen. Er kann helfen, soziale Krisen zu beheben, wenn es ein
       positives Gefühl von Zugehörigkeit gibt, nicht wenn er als einziger Weg auf
       soziale Anerkennung erscheint. Die Sportverbände müssen darüber nachdenken,
       welche Art von Fußballausbildung sie geben wollen: was Ausbilder, Trainer
       und Clubvertreter wissen sollten, um eine erzieherische Rolle zu spielen.
       Sport sollte nicht nur ein Objekt des Stolzes, sondern vor allem Teil der
       lokalen Bürgerschaft sein.
       
       Wie sieht man in Frankreich das Spiel gegen Deutschland? 
       
       Die Fußballfans werden an die „Nacht von Sevilla“ 1982 denken – als eine
       mögliche Rache. Schumacher ist das Bild und er brachte andere, historische
       und dramatische Bilder. Einige wenige werden das Spiel als Symbol des
       Wettbewerb zwischen Frankreich und Deutschland in Europa sehen.
       
       Ihr Tipp? 
       
       Frankreich.
       
       4 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tania Martini
       
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