# taz.de -- Ölhavarie im Münsterland: Nicht ganz dicht
       
       > Das Verfahren galt als sicher: Rohöl tief unten in alten Salzstöcken zu
       > lagern. Nun sind seit April in Gronau Äcker und Wiesen verseucht.
       
 (IMG) Bild: Auf dem Hof der Sundermanns untersuchen Experten den Boden.
       
       GRONAU taz | An einem Nachmittag im Juli geht Claudia Sundermann noch
       einmal über ihren Hof und blickt über das Land, das einmal still war,
       einsam und grün. Eine Idylle. Jetzt breitet sich zerwühlter Boden vor ihr
       aus; ein haushoher Bagger reißt Löcher in ihr Land, und weiter hinten
       schwirren Männer in Schutzanzügen zwischen Bergen aus Erde herum.
       
       „Es ist ein Albtraum“, sagt sie. Aber aus einem Albtraum könnte sie
       aufwachen. Das hier, das ist die Wirklichkeit der Familie Sundermann. Ihr
       Zuhause, wie sie es kannten, werden sie nicht wiederbekommen. Das Öl hat es
       ihnen genommen, das Öl, das tief unter den Wiesen und Feldern liegt und das
       im April plötzlich aus der Erde quoll. Ihr Land liegt über dem Kavernenfeld
       Gronau-Epe, wo die Salzgewinnungsgesellschaft Westfalen (SGW) unterirdische
       Speicher betreibt. „Der Boden ist verseucht“, sagt sie, „der hat keinen
       Wert mehr.“
       
       Wenige hundert Meter weiter eilt eine Frau mit kurzen, dunklen Haaren aus
       einem flachen Firmengebäude. Sie steigt in ein Auto, fährt die Hauptstraße
       herunter und biegt in einen Feldweg ein. Als sich ihr Auto nähert, räumt
       eine Arbeiterin eine rot-weiße Absperrung zur Seite. „Das ist kein
       Sperrgebiet, sondern eine Großbaustelle“, sagt Nicole Dinter, Sprecherin
       der SGW, „da müssen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden.“ Sie will
       vermitteln, dass es sich um einen Betriebsunfall handelt, der Schaden
       sachgerecht behoben wird und zu Panik und Katastrophenstimmung kein Anlass
       besteht.
       
       ## Drei Fundorte
       
       Dinter hat sich mit Material gewappnet, Schaubildern, einer Karte; darauf
       sind das Schadensgebiet eingezeichnet und die drei Ölfundorte. Einer auf
       dem Land der SGW, das ein Pächter als Weide für seine Kühe nutzte. Einer in
       einem Wäldchen, Vogelschutzgebiet. Und einer auf einem Feld der
       Sundermanns. Dinter zeigt auf den Lageplan und dann auf den Acker nebenan.
       „Wie Sie sehen, ist hier eine Dichtwand eingezogen worden“, eine 1.570
       Meter lange Mauer unter der Erde, die verhindert, dass sich verseuchtes
       Wasser ausbreitet. Direkt gegenüber beginnt ein Naturschutzgebiet, wo
       Waldohreulen und Kammmolche leben.
       
       Über einen staubigen Pfad nähert sich ein Mann mit blondem Schnurbart, eine
       Lederkladde in der Hand. Hans-Peter Jackelen, Sachverständiger für
       Hydrogeologie und Altlasten, leitet die Arbeiten. Normalerweise saniert er
       Böden im Ruhrgebiet, wo Kokereien oder Metallwerke gearbeitet haben. Wenn
       man ihn fragt, wie er die Schäden einschätzt, sagt er: „Also, das müssen
       sie so sehen: Bezogen auf einen Industriestandort wie den Duisburger Hafen,
       wären die Werte normal.“
       
       Aber das hier ist nicht das Ruhrgebiet, sondern das westliche Münsterland,
       eine entlegene Moor- und Feuchtheidelandschaft. In etwa 1.200 Meter Tiefe
       lagert Salz. Die SGW spült es mit Wasser heraus und leitet es an
       Chemiebetriebe am Niederrhein weiter, 2 Millionen Tonnen im Jahr. So
       entstehen riesige Löcher, Kavernen. 109 gibt es hier davon, und manche sind
       so groß, dass man den Kölner Dom darin aufstellen könnte. Drei werden
       genutzt, um Rohöl zu speichern. Insgesamt 1,4 Millionen Kubikmeter lagern
       in Gronau-Epe. Sie sind Teil der nationalen Sicherheitsreserve, die 1966
       angelegt wurde, damit Deutschland im Krisenfall noch 90 Tage lang mit
       Treibstoff versorgt werden kann. Wie viel davon ausgelaufen ist, weiß
       keiner genau. 17 Kubikmeter haben die Arbeiter bisher aufgesaugt, das ist
       genug, um einen großen Tanklaster zu füllen.
       
       ## „Man gewöhnt sich daran. So ist der Mensch“
       
       Graue Wolken jagen über das Land, ein schneller Wechsel von Licht und
       Schatten. Claudia Sundermann ist in ihren Garten hinter dem Backsteinhaus
       gekommen, eine hoch gewachsene Frau mit kräftigen Schultern. Ihr Sohn
       spielt im Sandkasten, der Schwiegervater sitzt reglos auf einer Bank. Die
       Sundermanns hatten zwei Ponys gehalten, auf ihrem Land Heu geerntet. Ein
       Feld hatten sie verpachtet; da stakst nun ein Bohrturm aus der Erde wie ein
       Ausrufezeichen.
       
       Wie sie zurechtkommt? Claudia Sundermann atmet ein und aus. Sie ist dieser
       nüchterne Typ Mensch, der sich nicht aufregt, sondern Sätze sagt wie: „Man
       findet sich damit ab. Man gewöhnt sich daran. So ist der Mensch.“
       
       Sie hat immer gewusst, dass unter ihrem Land die Kavernen liegen. Es hat
       sie nie beunruhigt. „Solange nichts passiert, macht man sich keine
       Gedanken.“ Aber nun ist etwas passiert. Das Öl hat nicht nur die Böden
       zunichtegemacht, sondern alle Pläne, die die Sundermanns hatten. Sie wollte
       auf ihrer Weide eine Streuobstwiese anlegen, vor allem aber liebte sie die
       Ruhe, die sie hier früher umgab. Jetzt dröhnt Baulärm über das Land; der
       Wind weht Ölgestank über die Felder.
       
       ## Hotelleben statt Hofbewirtschaftung
       
       Die Familie lebt seit fast drei Monaten in einem Hotel. Wo die Kühe ihres
       Nachbarn weideten, steht eine Maschine, die den Boden mit einem Laser
       sondiert. Zehn der Tiere sind tot; sie hatten öliges Wasser getrunken und
       mussten notgeschlachtet werden. Abends ab halb fünf, sagt die Landwirtin,
       wird es wieder so leise wie früher, dann machen die Arbeiter Feierabend.
       „Aber da sind wir schon wieder auf dem Weg ins Hotel.“ Gerade haben die
       Behörden entschieden, dass die Familie auch wieder auf ihrem Hof
       übernachten kann. Aber das ändert nichts daran, dass in den Böden ringsum
       noch immer Öl hängt. „Wohlfühlen“, sagt sie, „tut sich hier keiner mehr.“
       
       Der Tag, an dem Gronau aus seinem Alltag gerissen wurde, war der zwölfte
       April. Der Pächter rief bei der SGW an. Er sagte, dass seine Kühe sich so
       seltsam benähmen. Er wollte nachschauen, da quatschte unter seinen Stiefeln
       die schwarze Brühe. „Dann trat der Alarm- und Gefahrenabwehrplan sofort in
       Kraft“, sagt Nicole Dinter. Sie und Hans-Peter Jackelen sind zum Zaun
       gelaufen, hinter dem Reste des Waldes zu sehen sind. Eine weite Fläche ist
       gerodet, die Erde abgetragen. Übrig geblieben ist eine nackte
       Marslandschaft, auf der Baufahrzeuge rumoren.
       
       Jackelen ist vom Regierungsbezirk Arnsberg als Gutachter eingesetzt worden.
       „Mittlerweile“, sagt er, „hab ich wieder freie Sams- und Sonntage.“ Die
       Gefahrenabwehr ist fast beendet; die Sanierung der Flächen hat begonnen. An
       350 Stellen haben die Arbeiten Rohre ins Erdreich gebohrt und den Boden
       sondiert. Das Grundwasser wird täglich an 27 Stellen gemessen. Lkws und
       Saugfahrzeuge walzen über die schmalen Feldwege. Es gibt einen
       Sicherheitsingenieur, der einen Wegeplan festgelegt hat, sagt Dinter: „Das
       ist alles ein ziemlich durchdachtes Konzept.“
       
       ## Keine vorgefertigte Lösung
       
       Aber es wird Monate dauern, bis die Arbeiten abgeschlossen sind. Ein
       derartiger Unfall, sagt Jackelen, ist in Deutschland noch nie vorgekommen.
       Als er die Schadensstelle inspizierte, dachte er daher zunächst: Hier hat
       einer ein Güllefass mit Altöl ausgekippt. „Weil sich keiner vorstellen
       konnte, dass so etwas überhaupt passiert.“ Das ist der Grund, warum es so
       langsam vorwärtsgeht: Es gibt keine Standardlösungen. Das Leck haben
       Jackelen und sein Team erst Ende Mai gefunden: Mit Drucktests und einer
       Videokamera stellten sie fest, dass an der Kaverne S5 eine Rohrleitung in
       217 Meter Tiefe undicht war. Aber wie das Loch entstehen konnte, das weiß
       niemand.
       
       Die Antworten sind nicht nur in Gronau-Epe von Bedeutung. Denn die
       Ölkavernen sind Teil eines bundesweiten Netzes aus rund 100 Speichern.
       Bislang galt die Lagerung im Salz als sehr sicher, sagt Jackelen: „Das
       können Sie in jedem Lehrbuch lesen.“ Aber jetzt, da der Unfall passiert
       ist, sind die alten Gewissheiten ins Wanken geraten. „Es ist so, dass
       dieses Ereignis eine Signalwirkung hat. Es wird nicht business as usual
       weiterlaufen.“ Welche Folgen die Havarie haben wird, sei noch nicht klar,
       sagt der Geologe, ob es neue Sicherheitsstandards geben wird, ob alle
       Anlagen geprüft werden müssen.
       
       Dirk Jansen, Geschäftsführer des BUND Nordrhein-Westfalen, war kürzlich
       noch einmal im „Katastrophengebiet“, wie er es nennt. „Eines ist klar“,
       sagt er, „es gab keine doppelten Sicherungssysteme. Wenn ein Systemfehler
       auftritt, dann ergibt sich ein riesengroßes Gefährdungspotenzial.“ In NRW
       seien alle Kavernen so aufgebaut wie die in Gronau. Für Jansen bedeutet
       das, dass sie alle erneuert oder aufgegeben werden müssen. Denn die Folgen
       einer Havarie könnten noch viel gravierender sein. „Die Speicher liegen
       unter ökologisch hochsensiblen Gebieten. Nur durch Glück ist das Öl nicht
       ins Naturschutzgebiet geflossen.“
       
       ## Salzstöcke - wirklich sicher?
       
       Bei der Bezirksregierung Arnsberg ist das Bergamt für die Erdspeicher
       zuständig. Andreas Nörthen, Bergbauingenieur und Sprecher der Abteilung,
       hat keine Zeit für ein Treffen vor Ort. „Bei der Vielzahl von
       journalistischen Anfragen!“, ruft er ins Telefon. In dieser Region war
       niemand auf das Interesse überregionaler Medien vorbereitet. Wie die
       undichte Leitung repariert werden soll, ist noch nicht entschieden, sagt
       er. Viele Fragen sind noch offen, der ganze Vorfall ist ein großes Rätsel.
       Deshalb ärgert sich Nörthen über die Umweltschützer, die nun konkrete
       Forderungen stellen. Dahinter, meint er, stecken politische Absichten. Denn
       Salzstöcke werden anderswo auch verwendet, um Sondermüll zu lagern. Mehr
       noch: Sie sind als Endlager für Atomabfall im Gespräch. „Wir machen uns
       auch Sorgen“, sagt Nörthen. „Aber wir warnen vor voreiligen Schlüssen.“
       Erst müssten die Ursachen ermittelt werden. Handelt es sich um einen
       einmaligen Fehler oder um eine Schwachstelle, die auch an anderen Kavernen
       auftreten kann? „Wir warten auf die Ergebnisse.“
       
       Als der Wind in Gronau-Epe dreht, duftet es nach frischem Gras. Sobald die
       Maschinen abgestellt sind, ist Vogelgezwitscher zu hören. Claudia
       Sundermann steht noch vor ihrem Haus. Für sie gibt es nichts mehr
       abzuwarten; sie hat ihre Entscheidung getroffen. „Ich möchte hier nicht
       wohnen bleiben“, sagt sie, deutet auf ihr sieben Jahre altes Kind. Sie
       sagt, dass der Junge die Bauarbeiten im Sandkasten oft nachspielt. „Mama,
       ich hab Flächen saniert“, ruft er dann. Sie schweigt kurz. Schon braust
       wieder ein Fahrzeug heran, die Reifen reißen Staub vom Acker. Die
       Landschaft verschwindet in einer graubraunen Wolke.
       
       8 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriela Keller
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Gronau
 (DIR) Umweltkatastrophe
 (DIR) Öl
 (DIR) Gronau
       
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