# taz.de -- Bericht eines Models: „Prada is very mean“
       
       > Gestern Berlin, heute Mailand – und die Verheißung ist groß. Dann:
       > qarten, auf High Heels staksen, warten. Ein Model erzählt aus der
       > Modebranche.
       
 (IMG) Bild: Das Ziel: der Laufsteg. Hier auf der Fashion Week in Berlin.
       
       Lange haben wir uns nach diesem Konzert gesehnt, Lena und ich, einmal
       Arcade Fire, und das noch open air – „Here Comes The Night“,
       „Neighborhood“, uns schwirren die Klänge im Kopf. Morgen wollten wir einen
       Tag in Berlin verbringen, ins Museum, durch die Stadt. Jetzt klingelt mein
       Handy in der U-Bahn. Tim ist dran, einer der beiden Booker meiner deutschen
       Agentur.
       
       „Anna, kannst du morgen nach Mailand? Du hast eine sehr wichtige Option für
       Prada.“ Er klingt dringlich. Ich bin überrumpelt, denke an Lena, an morgen,
       und sage, ich rufe zurück. Dann sehe ich eine französische Nummer auf dem
       Display – Vincent, von der Mailänder Agentur. „Ann, I don’t know if Tim
       called you already. You have an extremely important Go-and-See tomorrow!
       Prada wants to see you.“
       
       Als ich sage, dass mir mehr an dem Tag mit Lena liegt als daran, spontan
       und auf gut Glück nach Mailand zu fliegen, redet er auf mich ein. Ob ich
       nicht verstünde, was für eine Chance diese Option für mich sei? Was denn
       wichtiger sein könne als Prada? Was für mich wichtig ist, sage ich – dann
       will mich Thomas sprechen. Er ist der zweite Booker der deutschen Agentur.
       
       Es sei ja meine Entscheidung, sagt er, und auch meine Karriere, aber dieser
       Termin sei eine Riesenchance für mich: Während der Fashion Week in Mailand
       eine „Option“ zu sein; eventuell in die engere Auswahl zu buchender Models
       zu kommen. Eine Garantie für den Job, in diesem Fall eine der zentralen
       Shows, hat man nicht. Die Chancen: fünfzig zu fünfzig.
       
       Vincent sagt, Prada habe nur sieben Mädchen zu diesem Termin geladen.
       Sieben. Ob es möglich sei, frage ich, einen Tag später nach Mailand zu
       fliegen?
       
       ## Die Hoffnung der Booker
       
       Um vier Uhr verlasse ich die Wohnung in Berlin, um halb neun lande ich in
       Mailand. Eine Fahrt mit dem Shuttlebus, zweimal Umsteigen mit der Metro, um
       halb elf stehe ich in der Agentur. Überschwänglich werde ich dort begrüßt;
       die Hoffnung der Booker, eines ihrer Models für Prada laufen zu sehen, ist
       unübersehbar.
       
       „Finally! Go and get the key for the apartmemt, take a shower. The driver
       is already waiting for you somewhere outside.“ Vincent, hager und
       sonnengebadet, sieht mir von seinem Bildschirm entgegen. Innerhalb von
       zwanzig Minuten bin ich geduscht, umgezogen und im Auto des Fahrers, der
       mich zu dem Termin bringen soll.
       
       Sollte jetzt jemand denken, dass das ja schon Luxus sei, einen Fahrer
       gestellt zu bekommen, der irrt – das Geld für diese Fahrt wird, genau wie
       die Kosten für die Flüge, von meinem Account bei der Agentur abgezogen. Und
       dieser zieht sich momentan immer weiter ins Minus, weil ich nur Ausgaben
       und keine Jobs habe. Dieser Kurzaufenthalt ist eine reine
       Risikoveranstaltung – und ich habe mich auf sie eingelassen.
       
       ## Lächeln ist nicht selbstverständlich
       
       Gestern Berlin, heute Mailand. Gestern noch war Regen, heute geht es an
       Jasminbüschen vorbei, die Luft ist warm und steht zwischen den engen
       Straßen. Via Bergamo – wir halten vor einem großen Altbau, ich gehe durch
       ein offenes Tor. Der Portier und ein Schild, auf dem „Prada Casting“ steht,
       zeigen mir den Weg. Im Eingangsbereiche sitzen acht, neun Models, viele
       gerade 16 oder 17. Sie unterhalten sich auf Englisch, schauen mich
       neugierig bis herausfordernd an. Der Junge, neben dem ich Platz nehme,
       lächelt – das ist nicht selbstverständlich.
       
       Ich warte, bis mir eine Dame mit einer Brille, die sie streng aussehen
       lässt, einen Zettel in die Hand drückt: „Write your name, your height and
       your agency on it“, sagt sie mit italienischem Akzent. Dann werde ich in
       den nächsten Raum gebeten. Eine blonde Casting-Direktorin und ein
       kleinerer, untersetzter Mann erwarten mich, fragen wieder nach Größe und
       Agentur, ein Fotograf schießt Polaroids – frontal, Profil, ganzer Körper.
       „Can you walk for me, please?“, sagt die Casting-Direktorin, und während
       ich laufe: „A bit faster, please, and close your mouth.“ Dann: „Okay,
       perfect. We have your pictures, your agency – you can go.“
       
       So befremdlich diese Anweisungen klingen mögen: Von allen, die ich bisher
       gesprochen habe, kommt mir die blonde Frau, die verantwortlich für die Wahl
       der Models ist, am sympathischsten vor. Liegt das nur an meinem Gefühl,
       dass sie mich gut findet? Ich meine, in ihr nicht nur die oberflächliche
       Casting-Direktorin, sondern eine Person mit Charakter erkannt zu haben.
       
       Mit meinem Beutel auf der Schulter gehe ich zurück auf die Straße und setze
       mich auf eine Bank in einem nahe gelegenen Park. Zum ersten Mal habe ich
       hier Zeit. Auf der nächsten leeren Seite meines Reisebuchs entsteht eine
       Zeichnung des kleinen Baumes gegenüber. Seine dünnen Äste tragen kaum
       Blätter. Ich genieße die Ruhe, aber sie hält nicht lange. Mein Handy
       klingelt, ich verstehe Vincent nicht gut, aber was ich verstehe, reicht:
       „Go back to Prada!“ Ein paar letzte Striche mache ich an der Zeichnung,
       einige Ästchen noch. Dann gehe ich zurück.
       
       ## „Do you really want to keep her?“
       
       Die meisten der Models sind immer noch da. Das Mädchen aus Holland, der
       Junge mit den Locken. Ein, zwei neue Gesichter sind dabei. Die Frau mit dem
       strengen Blick, die sich um den Ablauf des Castings kümmert, gibt mir ein
       Paar Prada-High-Heels, die ich anziehen soll. Ich hatte gehofft, das Laufen
       auf hohen Schuhen würde mir erspart bleiben. Wie naiv. Ich schlüpfe in die
       Schuhe, die dem Fuß keinen Halt geben, und stakse in den anderen Raum, in
       dem die blonde Casting-Direktorin wieder fragt: „Can you walk for us,
       please?“ Und wieder sagt: „Try to walk faster and stronger!“ Der Italiener
       flüstert: „Do you really want to keep her?“
       
       Die nächste Dreiviertelstunde verbringe ich damit, neben den anderen Models
       zu warten, ich rauche und rede mit Sander. Vor wenigen Monaten wurde er in
       Amsterdam beim Biertrinken entdeckt. Er arbeitet in einem Kinderhort und
       einer Bar. „Wenn das mit dem Modeln weiter gut läuft, gebe ich diese Jobs
       auf.“
       
       Es ist 14 Uhr durch, ich habe Hunger. Eine überschaubare Platte mit Salat,
       Brot und Pasta wird bereitgestellt – „all the girls“, heißt es aber dann,
       „please go in for the Make-up“. Niemand hat mir bisher gesagt, ob ich für
       die Show am Sonntag bestätigt bin oder nicht. Unsicherheit gehört zum
       Geschäft. Während der Fashion Week können sich Models nie darauf verlassen,
       einen Job zu haben – oft wird Stunden oder Minuten vor Beginn ein anderes
       Model bevorzugt. „You never know whether you have the job until you’re
       actually walking on the catwalk“, sagte eine Bookerin meiner Pariser
       Agentur einmal.
       
       Make-up-Tests wie dieser seien dafür da, Schminkvarianten an den Models
       auszuprobieren, erklärt mir eine auffällig tätowierte Make-up-Artistin. Die
       Jungen werden nur leicht geschminkt, ihre Haare an der Kopfhaut
       festgesteckt und Perückennetze darüber gespannt. Die Augen der Mädchen
       werden hell gefärbt, die Lippen mit warmem Rot bemalt.
       
       ## Blicke auf die äußere Schale
       
       Zwei Mädchen und ich – ihr Haar wurde elegant toupiert, meines ist kurz –
       werden vor ein dreiköpfiges Team um die Designerin Miuccia Prada gestellt.
       Sie schauen auf unsere äußere Schale und scheinen nicht besonders viel
       Freude daran zu haben. Die Frisuren der anderen beiden werden geändert, die
       Augen eines Mädchens heller gepinselt. Mich scheinen die drei kaum
       wahrzunehmen. Wir werden kurz im Licht fotografiert, dann kann ich meinen
       Teller von vorhin leeren.
       
       „You can go now.“ Die Organisatorin wieder; auch andere Mädchen sind schon
       verschwunden. Ich nehme mir noch ein paar Früchte aus der Schale, die auf
       einen Tisch gestellt wurde, und mache mich auf den Weg zur Agentur.
       
       Mit zwei Mädchen gehe ich zur nächsten Metrostation. Eine Holländerin und
       eine Deutsche, beide Newfaces, also erst seit Kurzem im Geschäft, und beide
       aufgeregt, weil sie unbedingt für Prada laufen möchten. Ist es ein Fehler,
       dass ich nicht in Enthusiasmus verfalle wie sie? Oder ist es ganz gesund,
       dass ich mir nicht zu viel von jener Prada-Option verspreche?
       
       ## Beim Musizieren entdeckt
       
       Bis zu dem Tag im vergangenen Sommer, als mich mein heutiger Agent in der
       Düsseldorfer Altstadt ansprach, hatte ich keine Ambitionen, in der
       Modebranche zu arbeiten, und Heidi Klums Castingshow lange nicht mehr
       verfolgt. Mit zwei Freunden machte ich an diesem Samstag Straßenmusik.
       Gitarre, Gesang, ich spielte Violine – vor uns der Geigenkoffer, in den
       Münzen fielen.
       
       London, Paris, Mailand – was meine Agentur versprach, klang spannend. Ich
       sagte zu, bekam Aufträge, sammelte erste Erfahrungen. Ich mochte es, mich
       in einer großen Stadt allein zurechtfinden zu müssen und, wie die anderen
       Großstädter, mit der Metro zur Arbeit zu fahren.
       
       „What happened?“ In der Agentur erwartet mich Vincent schon. Seine Frage
       macht mir klar, dass Prada mich abgelehnt hat. Für eine Agentur ist es ein
       Volltreffer, wenn ein Newface, wie auch ich es bin, für Prada läuft. Damit
       ist nicht nur das Model von jetzt auf gleich bekannt, auch die Agentur
       profitiert – mehr noch als das Model selbst. Denn viel Geld verspricht der
       Catwalkjob nicht, vielmehr wird mit Resonanz internationaler Presse
       bezahlt.
       
       Doch sollte eine Edelmarke wie Prada ihren Models nicht ein angemessenes
       Gehalt zahlen, das die vielen Stunden ausreichend entlohnt? Sollten die
       Models, die nicht für die Show bestätigt wurden, aber, wie ich auch,
       mehrere Stunden warten, nicht wenigstens einen Stundenlohn bekommen?
       
       „Prada is very mean – they pay almost nothing, even for the shows“, sagt
       Vincent. „Anyway, this show would have changed your live“, fährt er fort.
       „I’m so sorry that it didn’t work out and that you came here for nothing.“
       
       ## Modeln ist nicht das Lebensziel
       
       Nach London empfand ich den Job als Model noch als spannend und
       vielversprechend. Nach der Fashion Week in Paris begann ich kritischer
       darüber zu denken, und während meines Mailandaufenthalts befand ich mich in
       einem Zwiespalt – ich schwankte zwischen dem Sog des Modelgeschäfts und
       meinen persönlichen Lebenszielen.
       
       „You know, if you would stay here for a bit you would work“, sagt Vincent.
       Ich nicke, aber denke: „Vielleicht würde ich arbeiten, vielleicht aber auch
       nicht, wer kann mir das schon versichern?“ Ich erkläre ihm ein weiteres
       Mal, dass ich nach Hause will, weil ich in der kommenden Woche für ein
       Praktikum nach Berlin ziehe. Vincent nimmt das mit einem Seufzen hin und
       fragt: „So, you want to fly home, right? Are you able to pay the flight
       back or should the accounting give you the money in advance?“
       
       Ich bin etwas perplex über diese unverschämte Frage. Drei Booker haben mir
       Druck gemacht, nach Mailand zu kommen, weil Prada mich sehen möchte. Die
       große Chance! Ich bin um vier Uhr morgens aufgestanden, um den Flieger zu
       bekommen, und mache, was die Leute bei Prada verlangen. Dass die Agentur
       mir das Geld für den Flug nicht selbstverständlich gibt, ist einfach
       falsch. Doch mittlerweile sollte mich in diesem Geschäft nichts mehr
       schockieren.
       
       ## „The beginning is always a risk“
       
       „I just want to make sure that your account won’t be charged too much. When
       you always fly back to Germany your account is charged badly, of course.
       And if you stay only that short, you won’t work, that’s for sure.“ Ich kann
       die Flüge nach Mailand und wieder zurück trotz allem nicht selber bezahlen,
       sage ich ihm, und letzten Endes streckt die Agentur mir das Geld für den
       Rückflug ein weiteres Mal vor. „The beginning is always a risk“, sagt
       Vincent.
       
       Nadja Bender zum Beispiel, eines der Topmodels der Stunde, habe anfangs das
       Risiko auf sich genommen, für ein Editorial für die Elle nach New York zu
       fliegen. Danach habe sie sich vor Aufträgen nicht retten können, momentan
       gebe es kaum eine Kampagne der großen Modehäuser, für die nicht sie gebucht
       werde.
       
       Nadja Bender ist gerade die Verlockung. Jetzt soll sie mich locken. Ann,
       take a risk. Das Modelgeschäft baut auf das Prinzip Hoffnung.
       
       ## Hoffnungen, Erwartungen, leere Versprechungen
       
       Dass ich nun schon einige Monate in diesem System mitgespielt habe, wundert
       mich. Ich bin eines von unzähligen Mädchen, denen immer wieder weisgesagt
       wird, dass sie riesiges Potenzial haben, eine Modelkarriere nur eine Frage
       der Zeit und des Willens sei. Vincent sagt: „Du bist ein Mädchen, das das
       Zeug für die großen Shows hat.“ Hoffnungen, Erwartungen, leere
       Versprechungen – nur ganz selten wird eine wirklich das Topmodel von
       Morgen.
       
       So viele junge Mädchen sind abhängig von ihren Agenturen und wähnen sich im
       Paradies – oder dem, was sie sich darunter vorstellen. Letzten Endes
       verlieren sie jedoch nur ihr eigenes Ziel aus den Augen und verpassen
       vielleicht den Einstieg in das persönliche, reale Leben.
       
       Die zwei Tage Mailand waren noch mal eine Bestätigung für mich, dass dieses
       Geschäft nichts als ein immer wieder aufflammendes Wunschdenken ist. Eine
       Garantie für einen Job hat man nie, es gibt keine finanzielle Absicherung,
       keine Lebens- und Gesundheitsvorsorge.
       
       Ich bin froh, als ich nach einem kurzen Flug und der Zugfahrt wieder in
       meinem Heimatstädtchen am Niederrhein ankomme und eine reale Zukunft vor
       mir liegt, weiter östlich, in Berlin. Noch eine Woche, dann beginnt ein
       neues Leben.
       
       ## ■ 20, schreibt hier unter Pseudonym. In Mailand hätte sie gerne ihre
       Geige dabei gehabt.
       
       12 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Dörner
       
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