# taz.de -- Konzert von Van Morrison: Kleiner Mann mit großer Stimme
       
       > Bei ihm groovte jeder Song: Van Morrison gab in Stuttgart sein einziges
       > Deutschlandkonzert. Vorab: Gospelgöttin Mavis Staples.
       
 (IMG) Bild: Schwarzer Anzug, schwarzer Hut, dunkle Sonnenbrille: Van Morrison, hier in Barcelona.
       
       Vor vielen Jahren wurde Van Morrison von einer englischen Tageszeitung
       einmal böse diffamiert. Ein Reporter hatte es gewagt, ihm das Attribut
       „Rockstar“ anzuhängen. Das konnte Morrison nicht auf sich sitzen lassen. In
       einem offenen Brief distanzierte er sich vehement von solchen
       Verleumdungen: „For the benefit of the unenlightened it is not my nature to
       be a rock star. What I am is a singer who does Blues, Soul, Jazz etc. etc.
       etc.“ Und wer das nicht verstanden hatte, wurde auf seiner Platte „What’s
       Wrong with this Picture“ noch einmal belehrt: „I’m singing Jazz, Blues and
       Funk / Baby, that’s not Rock ’n’ Roll.“
       
       An einem hell leuchtenden Sommerabend auf dem Stuttgarter Schlossplatz
       konnten sich jetzt die Besucher der dort gerade stattfindenden Jazzopen
       davon überzeugen, dass Van Morrisons wunderbar schwerelose Musik ihre
       Gewährsmänner eher im Backkatalog von Blue Note oder im Mississippi Delta
       findet als im klassischen Rockformat. Schon im ersten, herrlich
       schaukelnden Instrumentalstück „Celtic Swing“ durfte sich jeder der sechs
       Mitmusiker mit einem Solo vorstellen, und immer wieder griff Morrison
       selbst zum Saxofon, trieb lässig quäkend die Bläsersätze an oder schrieb
       schön mäandernd seine Melodien fort.
       
       Was diese mafiös wirkende Erscheinung – schwarzer Anzug, schwarzer Hut,
       dunkle Sonnenbrille – an diesem Abend mit ihrer Stimme machte, kann
       eigentlich nur noch mit Peter Handke beschrieben werden. „Er hat ein großes
       Gefühl“, hat Handke über Van Morrison gesagt, „und dann werden ,Was‘ und
       ’Wie‘ doch eins.“ Das „Was“: eine ungeheure Sehnsucht, etwas Unsagbares,
       Transzendentes. Das „Wie“: die Gabe, einzelnen Worten durch ein
       fantastisches Gespür für Rhythmus, Modulation, Artikulation die Qualität
       einer Epiphanie zu geben. Van Morrison ist 68 Jahre alt, und seine
       schwärmerische, hauchende und shoutende Stimme scheint in den letzten
       Jahren noch mal so richtig an Kraft gewonnen zu haben.
       
       Bei so viel Genie gibt es natürlich auch immer was zu mäkeln. Fast jeder
       Artikel über Van-Morrison-Konzerte beinhaltet ja einen kleinen Verweis: Wie
       missmutig, launisch, knarzend unhöflich der kleine alte Mann mal wieder auf
       der Bühne herumstand! Wie er seinen Mitmusikern böse Blicke zuwarf und fürs
       Publikum gar kein Auge und schon überhaupt kein Wort übrig hatte. Um die
       Zuschauer auf dem Stuttgarter Schlossplatz scherte er sich tatsächlich
       nicht sonderlich, obwohl er wohl einmal so etwas Ähnliches wie „Thank you“
       murmelte. Aber: who cares. Wer sagt, dass jemand, nur weil er hinreißende
       Musik macht und von Gott mit einer herzwärmenden Stimme gesegnet ist, ein
       netter Kerl sein soll?
       
       Allerdings schien man bei seinem einzigen Deutschlandkonzert einen
       passablen Tag erwischt zu haben: Van Morrison hatte offensichtlich Freude,
       das Set war perfekt arrangiert, alle Songs groovten, als wär der
       Schlossplatz ein kleiner Jazz- oder Blueskeller. Die Mundharmonika
       jauchzte, der Bass flanierte, die Hammondorgel röhrte. Kurz: Die
       gestandenen Musiker spielten auf den Punkt – was anderes hätten sie sich
       bei diesem Chef auch nicht erlauben dürfen.
       
       Zugabe gab’s natürlich keine. Morrison bot dafür anderthalb Stunden lang
       Songs aus allen Werkphasen, von „Back on the Top“ über „Days Like This“,
       „The Philosopher’s Stone“, „Brown Eyed Girl“, „Baby Please Don’t Go“ und
       „Gloria“ aus Them-Zeiten bis zu „Moondance“ und „Whenever God Shines His
       Light“, seinerzeit ein veritabler Hit mit Cliff Richard, diesmal dargeboten
       als Duett mit Tochter Shana, die als Backgroundsängerin etwas abfiel. Nicht
       ganz der Papa.
       
       Dass Morrison den Herrn recht oft beschwört, verbindet ihn mit der großen
       Mavis Staples, die vorab mit ihren 75 Jahren noch mehr Energie verströmte
       als die pralle Stuttgarter Abendsonne: Schlagzeug, Gitarre, Bass, dazu drei
       sehr feine Begleitsänger – und Songs aus einer Zeit, als die Staple Singers
       noch mit Martin Luther King Richtung bessere Zukunft marschierten: „I’m a
       living witness“, sagte die Gospel-Goddess und intonierte Pops Staples’
       „Freedom Highway“. Rau, soulful, enthusiastisch. Schöner und erhebender
       hätte man einen Donnerstagabend nicht verbringen können.
       
       20 Jul 2014
       
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