# taz.de -- Die Wahrheit: Die toten Ohren der Kunst
       
       > In Karlsruhe wurde eine Nachzüchtung des van-Gogh-Ohrs ausgestellt.
       > Weitere Klon-Kunst wuchert bereits in der Petrischale.
       
 (IMG) Bild: Die Ausstellung ist vorbei. Was macht jetzt das Ohr? Es zerfällt
       
       Nun ist es also richtig tot. Bis vor Kurzem stand ein Ohr in einem
       transparenten Brutkasten im Foyer des Zentrums für Kunst und
       Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe und hatte ständig Besuch. Es war eine
       Nachzüchtung des linken Ohres von Vincent van Gogh – jenes Ohres, das im
       Dezember 1888 in Arles unter immer noch nicht geklärten Umständen den Kopf
       des Malers verließ, abgetrennt mit einem Messer.
       
       Die Ausstellung ist vorbei. Was macht jetzt das Ohr? Es zerfällt. Damit es
       das in Ruhe tun kann, reiste das Ohr ab. In seinem hübsch gläsernen
       Reisekäfig mit nährstoffreicher Speziallösung flog es zurück in die Heimat.
       Dort warten noch mehr Van-Gogh-Öhrchen auf ihren nächsten Auftritt im
       Frühjahr 2015: Galerie Feldman, New York.
       
       Die Ohren wurden zur Welt gebracht von einer Künstlerin, einem
       3-D-Bioprinter, einer US-Laborcrew, einer lebensfreundlichen Nährlösung und
       vor allem: mit Hilfe eines Stückchens Ohrknorpel und reichlich Spucke des
       Ururenkels von Vincents Bruder Theo van Gogh. Die Nachdruckrechte für tote
       Ohren sind offenbar abgelaufen.
       
       „Es lebt, es ist gesund!“, strahlte die stolze Künstlermutter. Inspiration
       sei ihr die Frage gewesen: Verliert etwas seine Identität, wenn ein Teil
       davon verloren geht? Diese Frage hat die Philosophiegeschichte als
       „Theseus’ Paradoxon“ katalogisiert. Plutarch erzählte ca. 85 n. Chr. von
       der Ersetzung der Planken im Schiff des Theseus. War es nun noch Theseus’
       Schiff? Die Künstlerin will 2014 n. Chr. die gesamte antiquierte
       Gemäldeproduktion ersetzen: „Ich verwende Wissenschaft als eine Art Pinsel,
       in der gleichen Weise, wie Vincent Malerei schuf.“ So viel Blödsinn in
       einem Satz unterzubringen ist tatsächlich eine Kunst.
       
       Möchten Sie sich vielleicht auch ein paar Ohren ausdrucken? Suchen Sie
       zuerst einmal ein lebendes Knorpelstückchen. Dann pfeifen Sie ein paar
       Fachmännchen der computerbildgebenden Technologie herbei und bringen den
       ganzen Zellklumpatsch in die gewünschte Form. So wurde bereits 1995 ein
       Menschenohr gezüchtet und auf einen Mausrücken transplantiert. Beim Ohr für
       die Maus stammte die Knorpelmasse allerdings von Rindviechern. Ein
       Professor Vacanti präsentierte die durch ihren Käfig wankende Ohrmaus unter
       dem Namen Auriculosauris der damals noch entsetzten Öffentlichkeit. Man
       fürchtete, es wären menschliche Zellen in diesem Menschenohrgebilde auf der
       Maus. War aber nur rohes Burgermaterial …
       
       „Heben Sie diesen Gegenstand gut auf!“, soll Vincent van Gogh zu einer ihm
       vertrauten Prostituierten in einem Bordell in Arles gesagt haben – mit
       diesen Worten übergab er ihr sein frisch amputiertes linkes Ohr. Die
       Antwort der Prostituierten ist nicht überliefert, aber das Gerücht bleibt:
       Es war Malerfreund Paul Gauguin, der van Gogh ent-ohrte. Im Rotweinrausch.
       
       Für die Sommerpause empfehlen wir dem Kindermuseum des ZKM zwei echte
       Mickey-Mouse-Ohren – aus Genschnipseln des Neffen vierten Grades der ersten
       Tochter von Walt Disney. Mögen sie alle sehr bald zerfallen. Mitsamt der
       Künstlerin.
       
       21 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Else Quellenberg
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Jean-Marie Le Pen
 (DIR) Manipulation
 (DIR) Prenzlauer Berg
       
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