# taz.de -- Meister der Gesangskunst: Das Lob Allahs
       
       > Wie wird man eigentlich Muezzin? Man muss Arabisch können, eine schöne
       > Stimme haben – und den Ezan fühlen, mit Herz, Leib und Verstand.
       
 (IMG) Bild: „Allââââââââhü ekber. Eşhedü en lâ ilâhe illallah, Eşhedü en lâ ilâhe illallah.“ Gott ist groß. Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Allah.
       
       Punkt 17.24 Uhr nimmt Süleyman Küçük die Stufe zu der Holzerhöhung, die mit
       vier Miniaturminaretten geschmückt ist, und ruft zum Gebet. Er ist Muezzin
       in der Moschee der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion
       (Ditib) in Berlin-Kreuzberg, einer ehemaligen Garage im Hinterhof einer
       Wohnsiedlung. Küçük drückt mit dem rechten Zeigefinger auf seine
       Ohrmuschel, um seine Stimme besser zu hören. Luft strömt durch seine Nase,
       der Bauch weitet sich. „Allââââââââhü ekber“, wiederholt er viermal,
       „Eşhedü en lâ ilâhe illallah, Eşhedü en lâ ilâhe illallah.“ Gott ist groß.
       Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Allah.
       
       Küçük ist Vorbeter und studierter Theologe, ausgebildet in Koranrezitation
       und Gesangskunst. Er ruft fünfmal am Tag. Morgens, wenn die Sonne aufgeht.
       Mittags, wenn der eigene Schatten so groß ist wie er selbst. Nachmittags,
       wenn der Schatten doppelt so groß ist. Abends, wenn die Sonne untergeht.
       Und nachts, eineinhalb Stunden nach Sonnenuntergang. Der Muezzin lädt die
       Muslime zum Gebet ein, „zur Himmelfahrt“.
       
       „Eşhedü enne Muhammeden Resûlullah, Eşhedü enne Muhammeden Resûlullah.“
       
       Ich bezeuge, dass der Prophet Mohammed sein Diener ist.
       
       Küçük dreht sich nach rechts.
       
       „Hayye ale’s-salâh, Hayye ale’s-salâh.“
       
       Auf zum Gebet.
       
       Küçük dreht sich nach links. Der Klang geht in alle Richtungen, jeder soll
       es hören.
       
       „Hayye ale’l-felâh, Hayye ale’l-felâh.“
       
       Auf zum Heil.
       
       „Allâhü ekber, Allâhü ekber. Lâ ilâhe illallâh.“ Gott ist groß. Ich
       bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Allah.
       
       Durch vier Lautsprecher hallt der Gesang, dringt durch die offenen Türen in
       den Hinterhof. Die gläubigen Männer aus der Umgebung hören ihn zu Hause
       nicht, aber sie kennen die Gebetszeiten. Nach dem Ruf legen sie ihre Arme
       übereinander, gehen auf die Knie, beten.
       
       ## Milch und Honig machen die Stimme weich
       
       Der erste Muezzin soll ein Sklave aus Äthiopien gewesen sein, Bilal
       al-Habesi. Weil er sich zum Islam bekannte, wurde er gefoltert, schließlich
       aber vom Propheten Mohammed erhört und freigekauft. Mohammed wanderte im
       Jahr 622 nach Medina, die erste Moschee wurde errichtet, Bilal al-Habesi
       wurde Muezzin. Weil er ein überzeugter, aufrechter Muslim war – und eine
       schöne Stimme hatte.
       
       Milch und Honig, sagt Küçük, machen die Stimme weich. Dazu viel Tee, mit
       Zitrone, Ingwer oder Minze. Außerdem muss der Muezzin Arabisch können, die
       Sprache des Koran. Und wissen, wie die Wörter betont werden.
       
       „Dieses Jahr im Ramadan hat ein Muezzin in der Türkei ein oder zwei Minuten
       zu früh gerufen“, sagt Küçük. Hungrig griffen die Leute zum Essen – und
       mussten einen Tag nachfasten. Zumindest braucht der Ausrufer nicht mehr auf
       die Sonne zu schauen. „Dafür habe ich meinen Kalender, den eine Komission
       mit dem Planetarium herausgibt. Danach stelle ich den Wecker.“
       
       Wenn Süleyman Küçük ruft, wippt er leicht mit den Zehen. „Man muss den Ezan
       fühlen, mit Herz, Leib und Verstand. Aber wie wollen Sie das prüfen?“
       
       ## „Die Leute sollen sanft geweckt werden“
       
       Beim Tonschema ist das einfacher. Morgens wird in Moll gesungen, im
       Saba-Rhythmus: Ein langatmiger Takt mit ganzen Noten. „Das kann bis zu
       sieben Minuten dauern. Die Leute sollen sanft geweckt werden.“ Außerdem
       sagt der Muezzin: „Es-salâtü hayrün mine’n-nevm.“ Das Gebet ist
       segensreicher als der Schlaf. Und die Begriffe bekommen einen Ton. „Einen
       schnellen, einen langsamen. Einen traurigen, einen lebhaften. Das ist der
       Alltagsrhythmus, den der Körper erfährt.“ Der Mittagsezan ist schneller, in
       Dur gesungen, hell und weich. „Eine Pause im Alltagsstress.“ Küçük braucht
       dafür drei Minuten. Abends nur zweieinhalb.
       
       „Die Übergänge von hohen zu tiefen Tönen sind besonders schwer“, sagt
       Küçük. Er hat lange geübt. „Das Jahr hat 365 Tage, rechnen Sie das mal
       fünf, da sind Sie schon bei über tausend.“
       
       Einmal im Jahr sucht die Şehitlik-Moschee Meister der Gesangskunst. Küçük
       ist in der Jury. Woran erkennt er den besten Ausrufer? „An der Stimmlage
       zum Schluss des Gebetsrufes.“ Denn wenn da die Luft ausgeht, ist der Gesang
       abrupt zu Ende.
       
       1 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Neumann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Moschee
 (DIR) Allah
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA