# taz.de -- Erlebnisbericht Flüchtlingsdrama: Am 3. Tag wurden die Leute verrückt
       
       > Überlebende des Flüchtlingsdramas vor Malta schildern ihre dramatische
       > Odyssee im Mittelmeer. Sie sind nun auf Kreta.
       
 (IMG) Bild: Nur wenige Menschen konnten nach Tagen vor Malta gerettet werden.
       
       CHANIA afp | Nach drei Tagen im Meer, seinen eigenen Urin trinkend, um zu
       überleben, während Dutzende um ihn herum nach und nach in ihr nasses Grab
       sanken, begann auch Mohammed Raad durchzudrehen. „Am dritten Tag wurden die
       Leute verrückt“, erzählt der 23-Jährige, der zu den wohl nur zehn
       Überlebenden eines der schlimmsten Flüchtlingsdramen im Mittelmeer gehört.
       Die Syrerin Doaa Al Samel ist sicher, dass sie nur bis zur Rettung
       ausharren konnte, weil sie die ihr anvertrauten Kinder unbedingt über
       Wasser halten wollte.
       
       Mohammed hatte eine Rettungsweste. „Aber nach zwei Nächten im kalten Wasser
       begann ich zu phantasieren. Ich träumte, dass ich ein Hotelzimmer betrat -
       und zog die Weste aus. Sofort begann ich zu versinken ... und kam zum Glück
       wieder zu mir“, berichtet er. Ein Containerschiff hat ihn und zwei weitere
       Palästinenser, einen Ägypter, Doaa und ein kleines syrisches Mädchen am
       Freitag aus dem Meer gefischt und sie zur Hafenstadt Chania auf der
       griechischen Insel Kreta mitgenommen. Dort schildern sie der
       Nachrichtenagentur AFP das Erlebte.
       
       Mohammed, der im Gazastreifen als Barbier sein Leben fristete, gehört zu
       den rund 500 Menschen, die am 6. September im ägyptischen Alexandria die
       Flucht in Richtung Italien angetreten hatten, bis ihr Boot am Mittwoch
       vergangener Woche vor Malta von einem anderen Schiff gerammt wurde. Er war
       auf dem Mitteldeck, als es passierte und kann nicht sagen, was zuvor
       geschah. Aber er hörte die Angstschreie von allen Seiten. „Es ging ganz
       schnell, eine Minute später schon sank das Boot“.
       
       ## Seit meiner Geburt habe ich keinen glücklichen Tag erlebt
       
       Mohammed kroch durch eine Luke und fand die Weste. Im Wasser trieben nach
       seiner Schätzung zunächst 80 bis 90 Menschen, die versuchten, inmitten der
       treibenden Trümmer zusammen zu bleiben. „Die Frauen und Kinder hatten
       Durst. Die Männer pinkelten in Flaschen und alle tranken davon“, erzählt
       er. „Nach und nach starben viele vor Entkräftung im kalten Wasser“. Ein
       Horror sei es besonders gewesen, Eltern zu sehen, „die im Sterben ihre
       Kinder loslassen mussten – sie versanken sofort.“
       
       Die 19-jährige Doaa, eine Syrerin, die zuletzt in Ägypten lebte, wollte
       unbedingt die beiden Kinder retten, die ihr von verzweifelten Eltern
       anvertraut worden waren. „Das hat mir wohl selbst das Leben gerettet.“ Tief
       erschüttert berichtet sie, dass ein einjähriges Mädchen aus dem
       Gazastreifen in ihren Armen starb, kurz bevor sie entdeckt wurden. Aber
       eine Zweijährige hielt sie über Wasser. Fünf Tage schwebte das syrische
       Mädchen im Krankenhaus von Heraklion zwischen Leben und Tod, ehe sein
       Zustand sich stabilisierte.
       
       Auch Doaa kann erste Berichte anderer Überlebender nicht bestätigen, dass
       die Schleuser selbst das Schiff versenkten, weil sich die Flüchtlinge
       weigerten, auf ein noch kleineres Boot umzusteigen. Ihres Erachtens war es
       ein Fischerboot, „das uns aufforderte, die Fahrt zu stoppen. Die haben uns
       beschimpft und mit Sachen beworfen. „Als sich der Kapitän weigerte zu
       stoppen, haben sie uns gerammt und sind weggefahren, als wir zu sinken
       begannen“, berichtet sie. Vom Aussehen her seien es „Ägypter oder Libyer“
       gewesen.
       
       Doaa wirkt gefasst, obwohl sie erzählt, dass ihr Verlobter neben ihr
       ertrank. „Wir wollten in Italien heiraten. Jetzt macht es keinen Sinn mehr,
       dass ich dorthin komme. Ich wollte nur noch überleben, um die Kinder zu
       retten“, seufzt sie.
       
       Wie Mohammed suchten viele der Vermissten, den Kriegsgefahren im
       Gazastreifen zu entrinnen: „Seit meiner Geburt habe ich keinen glücklichen
       Tag erlebt. Immer nur Tyrannei, Krieg, Arbeitslosigkeit. Nur eins wusste
       ich nicht: wann wir getötet werden.“
       
       18 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Will Vassilopoulos
       
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