# taz.de -- Frauen an Universitäten: Die Hochschule tickt männlich
       
       > Unter den Studienanfängern sind Frauen in der Mehrheit. Doch viele Frauen
       > brechen ihre wissenschaftliche Karriere irgendwann frustriert ab.
       
 (IMG) Bild: Frauen schaffen es in der Uni deutlich seltener nach vorn als Männer
       
       Susanne Koblitz wollte Professorin werden. 2009 hat sie an der Universität
       Mainz in Physik promoviert, Note: magna cum laude. Dass sie den Beruf
       ausüben könnte, daran hat sie nie gezweifelt. Sie wollte die Teilchenphysik
       erklären, sich mit Wissenschaftlern austauschen. Koblitz hatte am Cern, am
       europäischen Kernforschungszentrum in der Schweiz gearbeitet und als
       wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Physik in
       München. Jetzt ist sie 34, hat vier Kinder und ist Versuchsingenieurin bei
       einem Ingenieurdienstleister. Sie ging in die Wirtschaft statt in die
       Wissenschaft.
       
       Auslöser war ein Ereignis, das sie zum Nachdenken gebracht hat. Zwei Monate
       vor ihrer Kündigung sollte am Max-Planck-Institut einer von zwei Kollegen
       entfristet werden. „Derjenige, der entfristet wurde, war deutlich besser
       vernetzt. Da ist mir klar geworden, dass es nicht nur um fachliche
       Kompetenz geht.“ Ihr eigenes Netzwerk war nicht so gut. „Für Frauen ist es
       schwieriger, an Stellen zu kommen.“
       
       Eine feste Stelle an einer Hochschule haben derzeit die wenigsten
       WissenschaftlerInnen. DozentInnen, wissenschaftliche MitarbeiterInnen,
       AssistentInnen, JuniorprofessorInnen – über 80 Prozent von ihnen sind nur
       für eine begrenzte Zeit angestellt.
       
       ## Eine vierprozentige Chance auf eine Professur
       
       Eine wesentliche Ursache dafür ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Es
       erlaubt den Hochschulen und Forschungseinrichtungen, MitarbeiterInnen
       unbefristet befristet anzustellen. Dann nämlich, wenn sie in zeitlich
       begrenzten Forschungsprojekten arbeiten, die nicht aus dem Grundetat,
       sondern über andere Quellen finanziert werden – sogenannten
       Drittmittelprojekten. Und da die Hochschulen zunehmend auf Drittmittel
       angewiesen sind, steigt auch der Anteil des befristet angestellten
       wissenschaftlichen Personals seit einigen Jahren. Dabei sind Frauen in
       allen Stellenkategorien häufiger von Befristungen betroffen als Männer,
       zeigt eine Sonderauswertung des Kompetenzzentrums Frauen in Wissenschaft
       und Forschung.
       
       Eine feste Stelle eröffnet in der Regel nur die Berufung auf eine
       Professur. Doch die Chance ist gering. Sie liege derzeit bei unter vier
       Prozent pro Doktorandenkohorte, schreibt der Wissenschaftsrat in seiner
       Empfehlung vom Sommer.
       
       Auch hier sind Wissenschaftlerinnen benachteiligt – unter den derzeit
       45.000 hauptberuflich tätigen Professoren waren 2012 nur 9.000 Frauen. Je
       höher die Qualifikationsstufe, desto weniger Frauen gibt es an Hochschulen
       und Forschungsinstituten. Zu Studienbeginn ist das Geschlechterverhältnis
       ausgewogen, Frauen sind sogar leicht in der Überzahl. Nach dem
       Studienabschluss beginnt sich die Waage zugunsten der Männer zu neigen. 45
       Prozent der Promovierenden sind Frauen, unter jenen, die die nächste Stufe
       zur Professur nehmen und sich habilitieren, sind es noch 27 Prozent.
       
       Die Postdoc-Zeit ist die Phase, in der die meisten Frauen die Wissenschaft
       verlassen. Soziologen sprechen von einer gläsernen Decke, an der sich
       Frauen abarbeiten. An einem bestimmten Punkt stoßen sie an diese Decke und
       können nicht aufsteigen, obwohl sie die Qualifikationen dazu haben. Die
       Soziologin Svea Korff hat hat ihre Dissertation über Abbruchgedanken von
       Promovierenden geschrieben. „Frauen denken eher ans Abbrechen als Männer“,
       sagt Korff. „Vielleicht liegt es daran, dass Frauen kritischer mit sich
       selbst und den Rahmenbedingungen der Arbeit sind.“ Etwa damit, dass die
       Promovierenden an Hochschulen zu wenig betreut werden und ständig anwesend
       sein müssen.
       
       Die Postdoc-Phase bezeichnet Korff als Phase von Einzelkämpfern. „Der
       Wettbewerb wird härter – und das System des Konkurrenzkampfs entspricht
       eher einem männlichen Ideal.“ Korffs Fazit: „Für Frauen ist der Aufstieg im
       Wissenschaftssystem beschwerlicher.“
       
       ## Männer sprechen Männer an
       
       Hania Siebenpfeiffer ist in der Wissenschaft geblieben, sie arbeitet als
       Vertretungsprofessorin am Institut für Deutsche Sprache und Literatur I in
       Köln.
       
       „Meine Förderung hing an Einzelpersonen“, sagt sie. „Sie brauchen jemanden,
       der Sie rausfischt und sagt: ’Sie sind mir aufgefallen.‘ “ Jemand, der
       weiß, wo Stellen frei werden. Das Problem: Männer sprechen Männer an.
       „Leute, die mir Chancen eröffnet haben, waren meistens Frauen.“
       
       Wer Postdoc wird, ist oft Anfang 30. Es ist eine schwierige Zeit. Die
       Fördermöglichkeiten brechen ein, Wissenschaftlerinnen müssen präsent sein:
       Sie sollen forschen und in anerkannten Publikationen Artikel
       veröffentlichen, Vorträge halten und Kontakte knüpfen.
       
       Siebenpfeiffer ist jetzt 44 Jahre und hat keine Kinder. „In der Universität
       wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Frau zugeschrieben“, sagt
       sie. „Und es fehlt die Struktur, beides zu vereinbaren.“ So tagen etwa die
       Berufungskommissionen, die geeignete Kandidaten für eine Professur
       auswählen, oft in den Abendstunden; das stillschweigende Einverständnis
       aller Beteiligten voraussetzend.
       
       ## Kinder bremsen die Krarriere
       
       Lena Haug promoviert in Mannheim am Institut für Sozialwissenschaften. Die
       32-Jährige hat ein Kind und ist alleinerziehend. Sie würde gern in der
       Wissenschaft bleiben, weiß aber, wie schwierig das ist. Denn
       wissenschaftliche Karrieren erfordern Tagungsbesuche, Auslandsaufenthalte
       und Publikationen. „Ich habe aber nicht die gleichen Möglichkeiten wie
       Leute ohne Kind, meinen Lebenslauf auf Vordermann zu bringen.“ Sie wünscht
       sich, dass das bei einer Bewerbung später berücksichtigt wird.
       
       Haug sagt, von DoktorandInnen werde oft erwartet, dass sie über die
       vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus arbeiten. „Wenn man das
       verweigert, kann es sein, dass man die nächste Stelle nicht bekommt.“ Ihr
       Promotion finanzierte sie zu Beginn über drei Stellen als wissenschaftliche
       Hilfskraft. Die Doktorarbeit schrieb sie nebenbei. „Für die Promotion hätte
       ich so locker zehn Jahre veranschlagen müssen.“ Sie habe überlegt, ganz
       abzubrechen. Dann bekam sie ein Stipendium.
       
       Die Hochschulen haben es lange versäumt, Frauen gezielt zu fördern. Nun
       bemühen sie sich, das nachzuholen. Sie bieten Programme, um
       Aufstiegshemmnisse von Frauen abzubauen. Auch die Politik hat das Problem
       erkannt. Hochschulen, die ein gutes Gleichstellungskonzept haben, bekommen
       Geld vom Staat: „Die Kompetenzen hochqualifizierter Frauen werden in der
       Wissenschaft dringend gebraucht“, sagt die Bundesbildungsministerin Johanna
       Wanka (CDU). Mit dem Professorinnenprogramm wollen Bund und Länder seit
       2008 den Professorinnenanteil erhöhen. Dafür geben sie bis 2017 insgesamt
       300 Millionen Euro aus.
       
       „All die Programme greifen aber nur zögerlich, und sie reichen nicht aus“,
       meint Siebenpfeiffer. Korff hat 275 Förderangebote im Rahmen des Projekts
       „Chancengleichheit in der Postdoc-Phase“ an der Universität Hildesheim
       untersucht. Sie und ihre Kolleginnen haben geschaut, wie Postdocs nach
       ihrer Promotion unterstützt werden. Grundlage war eine repräsentative
       Stichprobe der Internetseiten von 43 Universitäten und 93 Fachhochschulen.
       
       ## Karriere-Programme sind unverbindlich und neutral
       
       Lediglich ein Viertel der untersuchten Programme richtete sich explizit an
       Wissenschaftlerinnen. „Meist wird das Geschlecht in den
       Programmbeschreibungen neutralisiert“, sagt Korff und folgert: „Die
       Programme sind meist unspezifisch und unverbindlich. Postdocs müssen
       Eigeninitiative zeigen, um sich Informationen und finanzielle Unterstützung
       zu suchen.“ Problematisch sei außerdem, dass die meisten Programme
       projektbezogen seien, und damit zeitlich und finanziell begrenzt.
       Ausschließlich Mentoringprogramme laufen über einen längeren Zeitraum.
       
       „Ja, formell sind Männer und Frauen gleichgestellt“, sagt Siebenpfeiffer.
       „Aber Frauen verhalten sich anders als Männer.“ Sie stellten sich weniger
       zur Schau, verkauften ihre Qualifikation eher unter Wert, positionierten
       sich auf der Seite der Fragenden, überprüften alles fünfmal, bevor sie
       Artikel publizierten. „Sie sind zögerlicher.“ Die Wissenschaftlerin
       beobachtet das auch in ihren Seminaren. „In meinem Fach sind drei von vier
       Studierenden Frauen – aber die Studenten sind offensiver, hauen schneller
       eine These in den Raum.“
       
       Als Susanne Koblitz die Wissenschaft vor drei Jahren während Postdoc-Phase
       aufgab, war sie 31 Jahre und hatte gerade ihr drittes Kind bekommen. „Ich
       hatte eine sehr gute Stelle am Max-Planck-Institut. Hätte ich sieben Tage
       die Woche in der Wissenschaft gearbeitet, abends Papers gelesen und auf
       Mails reagiert, dann hätte ich vermutlich ganz andere Chancen gehabt.“ Sie
       hat entschieden, Wochenenden und Abende nicht dem Beruf zu opfern. Dabei
       hätte sie ihre Stelle um weitere drei Jahre verlängern können. „Aber es gab
       etwa zehn Kollegen, die dann in direkter Konkurrenz gewesen wären.“
       
       Die Promovendin Lena Haug scheut das Karrieredenken. Ihr ist die Arbeit am
       Forschungsthema wichtiger. Bisher ist sie in gutem Kontakt mit
       Wissenschaftlerinnen, die auf höheren Karrierestufen stehen. Sie kennen die
       Situation, geben Tipps. „Wenn es sie nicht gäbe, würde es mir schwerfallen,
       den Mut nicht zu verlieren.“
       
       29 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Neumann
       
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