# taz.de -- 79.-81. Tag FDLR-Unterstützerprozess: Der Gutachter und die Miliz
       
       > Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf erklärt Gutachter Gerd Hankel, warum
       > er die FDLR-Verbrechen als von oben angeordnet einschätzt.
       
 (IMG) Bild: Eine straff organisierte Truppe mit klassischer Befehlskette: FDLR-Spezialeinheit
       
       DÜSSELDORF taz | „Haben Sie Erkenntnisse über die Verwicklung des
       ruandischen Verteidigungsministers James Kabarebe in die Unterstützung von
       Milizen im Kongo?“ fragt Verteidiger Karl Engels. Gutachter Gerd Hankel
       verneint. Es geht am 80. Verhandlungstag vor dem Düsseldorfer Strafsenat,
       wo drei Angeklagte wegen mutmaßlicher Unterstützung der im Kongo kämpfenden
       ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas)
       als terroristische Vereinigung vor Gericht stehen, um den umstrittenen
       „Mudacumura-Befehl“ vom Frühjahr 2009.
       
       Das ist die Anordnung des Militärchefs der FDLR im Kongo, General Sylvestre
       Mudacumura, als Vergeltung für vorherige Angriffen der kongolesischen und
       ruandischen Streitkräfte mit Vergewaltigungen, Massenmorden und
       Plünderungen eine humanitäre Katastrophe unter der kongolesischen
       Bevölkerung auszulösen, um diese gegen ihre Regierung aufzubringen und
       Druck auf die internationale Gemeinschaft zu machen.
       
       Ein Befehl dieses Inhalts wurde an die Kommandanten der nachgeordneten
       Einheiten geschickt. Dieser Befehl ist im parallel laufenden Stuttgarter
       Prozess gegen die beiden politischen FDLR-Führer Ignace Murwanashyaka und
       Straon Musoni und auch im Düsseldorfer Prozess eine wichtige Stütze der
       Anklage zum Nachweis des terroristischen Charakters der FDLR. Die
       Verteidiger in Düsseldorf aber glauben, dass der Befehl vom ruandischen
       Geheimdienst in die Welt gesetzt worden sei, um die FDLR zu diskreditieren.
       
       ## „Alle umbringen - da kann ich nicht Nein sagen“
       
       „Können Sie sich vorstellen, dass der Mudacumura-Befehl vom ruandischen
       Geheimdienst verbreitet worden sein könnte?“ fragt Engels weiter. Hankel
       kann es nicht ausschließen. Die Vorsitzende, Richterin Martine Stein,
       interveniert: „Sie legen dem Sachverständigen Worte in den Mund, Herr
       Rechtsanwalt Engel!“
       
       Engels erwidert: „Ich weiß, Frau Vorsitzende, das wollen Sie nicht hören!“
       Und fährt fort: „Haben Sie Kenntnis von einem Befehl, der alles erlaubt?
       Menschen den Kopf abschlagen? Vergewaltigen?“ Fehlanzeige. Außer bei dem
       Punkt „Alle umbringen“ - „da kann ich nicht mit gutem Gewissen Nein sagen,“
       erklärt der Sachverständige.
       
       Engels argumentiert: „Wenn Zivilisten sich beteiligen, zum Beispiel als
       Aufklärer, in Versorgungseinheiten, als Spione, alles was dazu dient, die
       Kampfkraft der Truppe zu unterstützen, das darf man bekämpfen, das ist
       erlaubt nach Kriegsvölkerrecht. Haben Sie Kenntnis von einem Befehl,
       Zivilisten anzugreifen, auf die diese Kriterien nicht zutreffen?“ Hankel
       erwidert: „2009 hatte ich keine Erkenntnis über einen Befehl, eine
       humanitäre Katastrophe auszulösen.“
       
       ## Kann ein Nichtjurist Gutachten schreiben?
       
       Gerd Hankel ist Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung und
       befasst sich seit Jahren mit der juristischen und soziologischen
       Aufarbeitung von Völkermord und Kriegsverbrechen, insbesondere in Ruanda.
       Die Bundesanwaltschaft hatte ihn im Rahmen ihrer Ermittlungen gegen die
       FDLR beauftragt, ein sozialwissenschaftlich-historisches Gutachten über die
       Verbrechen, welche die FDLR im Kongo begangen haben soll, zu erarbeiten.
       
       Zwei Richter des Düsseldorfer Senats hatten dem Antrag der Ankläger zu
       Hankels Bestellung zugestimmt. Das hatte der Verteidigung von zwei der drei
       Angeklagten, Bernard und Felicien, Anlass gegeben, zu Prozessbeginn im
       November 2013 den Senat wegen Befangenheit anzulehnen. Begründung: Hankel
       sei Jurist und ihm fehle die Qualifikation als Sozialwissenschaftler.
       
       Der Senat habe ihn nicht mit einem Gutachten beauftragen dürfen, in dem
       rechtliche Bewertungen vorgenommen werden sollten. Ein
       sozialwissenschaftliches Gutachten sei kein juristisches.
       
       Vor allem aber stoßen sich die Verteidiger an Hankels Formulierung, die
       FDLR habe eine „Spur blutroter Flecken durch Ostkongo“ gezogen, die dieser
       dem Human Rights Watch-Bericht „You will be punished“ aus dem Jahr 2009
       entnommen hatte. Hankel stützte sich im Folgenden auch öfter auf den
       HRW-Report, den er als sehr ausgewogen bezeichnete. Zu seinen direkten
       Kontakten mit der FDLR sagt er: „Ich habe keinen von der FDLR-Führung
       gesprochen, aber Militärs bis hin zum Bataillonskommandeur.“
       
       ## Grenze zwischen FDLR und Kongos Armee fließend
       
       Nach seiner Ansicht sind die Verbrechen im Ostkongo Folge eines langen
       Krieges: die ständige Einmischung Ruandas im Kongo, die Präsenz der FDLR
       und anderer bewaffneter Gruppen, die Bemühung der Regierung in Kinshasa,
       wieder Herr im eigenen Hause zu werden. Jahrelang habe sich die Regierung
       Kabila in Kinshasa mit der Hutu-Miliz FDLR gegen den Einfluss Ruandas und
       gegen Tutsi-Milizen in Kongo verbündet. Aber Anfang 2009 habe sie die
       Seiten gewechselt, um gemeinsam mit der ruandischen Armee die FDLR, ihre
       früheren Verbündeten, aus dem Land zu treiben.
       
       Es habe lange eine enge Zusammenarbeit zwischen der FDLR-Armee FOCA und der
       kongolesischen Regierungsarmee FARDC gegeben, so Hankel. „Es gab ständige
       Wechsel zwischen FARDC und FOCA. Ich kenne FOCA-Offiziere, die plötzlich
       Offiziere der kongolesischen Armee waren. Je nachdem, wie mächtig der Feind
       Ruanda wurde.“
       
       Die FOCA, die Armee der FDLR, sei eine straff organisierte Truppe, mit
       einer Befehlskette und einer militärischen Struktur, die sich in
       Bataillone, Regimenter und so weiter gliedere, mit Militärgerichten,
       eigenen Statuten und Vorschriften, einer dreijährigen Offiziersausbildung,
       einer Ausbildung für Unteroffiziere und Mannschaftsgrade. Verbrechen seien
       streng geahndet worden, auf Vergewaltigung und Mord stehe die Todesstrafe.
       Ein Militärrichter habe ihm erklärt, er selbst habe mehrere Todesurteile
       wegen Vergewaltigung vollstrecken lassen.
       
       FOCA-Soldaten seien bei ruandischen Hutu-Flüchtlingen im Kongo und zivilen
       FDLR-Mitgliedern hoch angesehen, sagt Hankel, weil sie mit ihrem Leben für
       die Flüchtlinge einstünden. Der Sachverständige schildert eine Begegnung
       mit zwei Personen, einem FDLR-Zivilisten und einem FOCA-Mann. „Wenn der
       FOCA-Mann sprach, war der Zivilist still,“ sagte er.
       
       Hutu-Flüchtlinge und FDLR-Mitglieder der zivilen Struktur unterschieden
       deutlich zwischen „Zivilisten“, den FDLR-Mitgliedern, und „Soldaten“, den
       FOCA-Angehörigen. Die Kongolesen allerdings machten keinen Unterschied
       zwischen FDLR und FOCA, für sie seien alle einfach „FDLR“
       
       ## Disziplinierte Truppe, keine Marodeure
       
       Sein Fazit: die FOCA sei eine disziplinierte Truppe, keine Marodeure. Es
       sei daher sehr plausibel, dass die Kriegsverbrechen seit 2009 „von oben“
       angeordnet und systematisch begangen worden seien. Außer Massakern in
       Bunyakiri und Kavanga kann Hankel, der vor allem in Süd-Kivu recherchiert
       hat, der FDLR jedoch keine konkreten Verbrechen aus direkter eigener
       Kenntnis anlasten.
       
       „Ich bin bei der Schilderung einzelner Gewalttaten sehr zurückhaltend,“
       erklärt der Gutachter. „Aus folgenden Gründen: Erstens gibt es dort unten
       viele Wahrheiten, zweitens ist die Schulbildung sehr rudimentär und
       drittens gibt es oft einen Schleier des Vergessens bei den Opfern.“
       
       Hankel schildert ein Massaker im Dorf Kavanga im Jahr 2012. Er selbst sei
       zwei Wochen nach dem Ereignis mit einer Ordensschwester, die in diesem Ort
       ein Zentrum für Vergewaltigungsopfer leitete, dorthin gekommen und habe mit
       etwa 20 Leuten gesprochen. „Die Kinder waren völlig traumatisiert, bewegten
       sich wie Roboter. Junge Männer schilderten detailliert, was geschehen war,
       und Frauen, die dazu kamen, trugen weitere Details bei. 32 Menschen wurden
       getötet, sogar ein Baby.“ Auf die Leichen seien Briefe mit einer Warnung an
       die Bevölkerung gelegt worden.
       
       „Ich bin sicher, dass die FDLR/FOCA dieses Verbrechen begangen hat, auch
       angesichts eines Rufverlustes unter den eigenen Leuten. Es könnte sein,
       dass die ruandischen Flüchtlinge Druck auf die FDLR-Führung gemacht haben,
       nach dem Motto Wir können uns nicht alles gefallen lassen, tut was!“
       
       Der Überfall ereignete sich im Kontext schwerer Angriffe auf ruandische
       Hutu-Flüchtlinge durch lokale kongolesische Milizen. Er sei im Morgengrauen
       geschehen. „In 15 Minuten, einer halben Stunde war alles vorbei. Ob es von
       vorneherein als kurzer Überfall geplant war, ob sie Angst hatten, dass die
       MONUSCO (UN-Mission im Kongo) doch noch eingreift, ich weiß es nicht“, so
       Hankel.
       
       Auch im Jahr 2009 habe die FDLR vor dem Massaker in Busurungi einige
       Kongolesen überfallen, nachdem die kongolesische Armee das Flüchtlingslager
       Shario überfallen hatte. Auch in diesem Fall seien Briefe auf den Leichen
       gefunden worden, in denen die FDLR die Bevölkerung von einer Kooperation
       mit der Armee gewarnt habe.
       
       ## Gezielte Strategie der Rache
       
       Dass Kongos Armee 2009 das Bündnis mit der FDLR beendet und gemeinsam mit
       Ruandas Armee sowie in die eigenen Reihen integrierten kongolesischen
       Tutsi-Rebellen gegen sie im Rahmen der Armeeoperation Umoja Wetu kämpfte,
       habe Wut und Verbitterung über den „Verrat“ erzeugt, erklärt Hankel.
       Ausgerechnet die aus FDLR-Sicht schlimmsten Feinde seien nun Teil der FARDC
       geworden.
       
       „Wie hat die FDLR tatsächlich reagiert?“, fragt Richterin Martine Stein.
       
       „Sie hat in einer Weise reagiert, wie es vorher auch die
       Vorläuferorganisation ALIR getan hat“, erläutert der Gutachter.
       „Militärisch zu dokumentieren, dass man nicht einverstanden ist; den Feind
       zu bekämpfen, dem Feind die Ressourcen abzuschneiden. Das heißt, man hat
       sich gegen die kongolesische Zivilbevölkerung gewandt.“
       
       „Haben Sie Erkenntnisse zum Mudacumura-Befehl“, fragt nun Frau Stein.
       
       Hankel: „In der ersten Phase der Operation Umoja Wetu im Nord-Kivu war die
       Bevölkerung dort das Hauptziel der Verbitterung über den Verrat. Ich führte
       unzählige Gespräche, Leute erzählten mir von Überfällen, Plünderungen, zum
       Beispiel von Gesundheitsstationen. Nach 2010/2011 flauten die Kämpfe stark
       ab, dieses Phänomen verlagerte sich durch die Flucht der FDLR nach
       Süd-Kivu. Ich habe später dort mit vielen FDLR-Leuten gesprochen, die haben
       mir unisono gesagt, dass die FDLR/FOCA eine disziplinierte Truppe sei, dass
       Verbrechen bestraft würden, und dass es keine Desperados seien. Mein Fazit
       ist: Es ist sehr plausibel, dass es eine Anordnung von oben war.“
       
       „Es mussten bei der Flucht aus Nord-Kivu Hunderte von Familien mitgenommen
       werden. Die mußten versorgt werden. Vorher hatten sie von der
       Landwirtschaft gelebt bis 2008, wenn man sie in Ruhe ließ, und von den
       Bodenschätzen, wie es die kongolesische Armee auch tat. Jetzt mussten
       Nahrungsmittel, Medikamente, Kleidung und so weiter für sie besorgt werden
       und das holte man sich bei der kongolesischen Bevölkerung. Man stahl und
       raubte, was man brauchte. Das waren jeweils Einheiten von 15 bis 20 Mann.“
       
       Diese Antwort fordert Rechtsanwalt Engels heraus: „Gestern hat der Zeuge
       auf die Frage nach der Zuordnung von Straftaten gesagt: 'Außer Bunyakiri
       kann ich nicht sagen, was die FDLR gemacht hat.' Und heute spricht er von
       Plünderungen.“ Engels verlangt, zur Klärung die Tonbandprotokolle der
       Verhandlung vom Vortag anzuhören.
       
       Alternativ wolle er die Prozessbeteiligten fragen, so zum Beispiel die im
       Raum anwesende taz-Berichterstatterin, was der Zeuge am Tag zuvor gesagt
       habe. Für fünf Minuten muss die Berichterstatterin den Saal verlassen. Der
       Senat wehrt das Ansinnen schließlich ab, Engels insistiert nicht weiter.
       
       ## Was die taz aus Stuttgart berichtet
       
       Auch die Frage der Rekrutierung von Kindersoldaten ist eine wichtige Stütze
       der Anklage in Düsseldorf. Hankel ist zwar vielen Kindersoldaten begegnet,
       konnte aber nicht zuordnen, welcher Miliz sie angehörten. Es sei schwierig,
       15jährige von 16jährigen zu unterscheiden. Im Kongo würden schon
       Minderjährige fest in den Arbeitsprozess integriert. Es sei oft von Kindern
       kontrolliert worden und habe Zigaretten oder Geld geben müssen.
       Erkenntnisse über eine gezielte Rekrutierung habe er nicht.
       
       Engels verweist auf einen taz-Beitrag aus dem Stuttgarter Prozess:
       [1][„188. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Kinderrekrutierung kein
       Anklagepunkt.“] „Das ist sicher unjuristisch“, meint er. Die Rede ist von
       einem rechtlichen Hinweis des Stuttgarter Senats, dass er keine
       Anhaltspunkte für gezielte Rekrutierung von Kindersoldaten sehe. Das ist
       ein ziemlich deutliches Zeichen dafür, dass der Senat in Stuttgart diesen
       Vorwurf als nicht ausreichend bewiesen erachtet. Und ihn womöglich nicht
       berücksichtigen wird.
       
       Bundesanwalt Barthe war dieser Hinweis bislang nicht bekannt. Er meinte:
       „Es bedeutet nicht zwingend, dass, wenn der Anklagepunkt fallengelassen
       wird, auch der dringende Tatverdacht entfällt“. Das heißt, dass die
       Bundesanwaltschaft weiterhin Beweise für die gezielte Rekrutierung von
       Kindersoldaten sammeln kann.
       
       27 Nov 2014
       
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