# taz.de -- Helfen: Geben und Nehmen
       
       > In der ev. Luthergemeinde in Hamburg verteilen ehrenamtliche
       > MitarbeiterInnen Essen und Kleidung an Bedürftige. Eine von ihnen ist
       > Sara R. aus Afghanistan. Sie war die erste Muslima, die sich dort
       > engagiert.
       
 (IMG) Bild: Sara R. aus Afghanistan arbeitet seit anderthalb Jahren ehrenamtlich in der Kleiderkammer der Luthergemeinde in Hamburg-Bahrenfeld. Wie viele andere Helfer auch ist sie selbst keine Protestantin
       
       HAMBURG taz | Sara R. ist tief religiös. Die 36-jährige Muslima betet drei
       Mal am Tag. Doch an zwei Tagen der Woche hilft sie in der Luthergemeinde in
       Hamburg-Bahrenfeld: Die zierliche Frau mit dem glitzernden Kopftuch steht
       dann etwa im Café Käthe und sortiert Möhren und Radieschen, packt Brot und
       Kuchen in Plastikkörbe und füllt Tüten mit Lebensmitteln. Die ehrenamtliche
       Arbeit hat aber nur bedingt etwas mit ihrem Glauben zu tun.
       
       „Ich helfe der Gemeinde und sie hilft mir“, sagt Sara, die vor zwölf Jahren
       vor den Taliban aus Afghanistan floh und ihren ganzen Namen nicht in der
       Zeitung lesen will. Sie stapelt Kartons voller Marzipankugeln und
       Eierlikör-Pralinen auf einen Tisch. Ab 17 Uhr findet im Café Käthe die
       Essensausgabe statt: Bedürftige können sich gegen eine Spende von einem
       Euro Lebensmittel abholen. Zwei Stunden vorher sind die HelferInnen da, um
       die Lebensmittel aus einem Lkw zu laden und auszupacken.
       
       Sara ist an diesem Dienstag eine von 20 ehrenamtlichen HelferInnen. Aber
       sie ist nicht die einzige mit Kopftuch. „Unter den Helfern sind Muslime,
       Katholiken, Buddhisten und Menschen, die gar nicht glauben“, sagt Bärbel
       Daube. Sie managt die sozialen Angebote der Kirchengemeinde. Weniger als
       die Hälfte der HelferInnen sind ProtestantInnen, schätzt sie.
       
       Viele der Freiwilligen sind selbst bedürftig. Sie kommen, um Lebensmittel
       zu beziehen, und bleiben, um zu helfen, erzählt Daube. Unter den
       Bedürftigen sind Hartz-IV-EmpfängerInnen und GeringverdienerInnen ebenso
       wie RentnerInnen und Flüchtlinge.
       
       Nur fünf Minuten zu Fuß vom Café Käthe entfernt, in der Sibeliusstraße,
       liegt eine Unterkunft für Flüchtlinge bestehend aus 43 Wohnungen. Aus
       Erstaufnahmeeinrichtungen wie in der Schnackenburgallee, wo derzeit 1.500
       Flüchtlinge leben, werden sie unter anderem dorthin umgesiedelt. Viele der
       Familien, die in den Wohnungen leben, kommen wie Sara aus Afghanistan. Auch
       sie hat eine Zeit lang mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in der
       Unterkunft gewohnt.
       
       Schnell sprach sich dort herum, dass es eine Essensausgabe in der Nähe
       gibt. Sara war eine der ersten Helferinnen und die erste Muslima am
       evangelischen Campus.
       
       „Seit ich hier bin, lerne ich viel“, sagt Sara. Seit anderthalb Jahren
       kommt sie regelmäßig: Dienstags hilft sie im Café Käthe, mittwochs in der
       Kleiderkammer. Hier sortiert sie Essen, dort Klamotten: Kleine Hosen, große
       Hosen, Blusen, Röcke und Winterschuhe. Seit die Kleiderkammer im Fernsehen
       gezeigt wurde, kommen pro Tag mehr als fünfzig Autos und bringen
       Kleiderspenden. Montags und Donnerstags ist Ausgabe. Viele Flüchtlinge
       kommen und holen sich Wintersachen.
       
       Saras Deutsch hat sich in den anderthalb Jahren sehr verbessert. „Im
       Deutschkurs lernt man nicht so viel wie hier“, sagt sie. Außer Deutsch
       spricht Sara Persisch und Dari, eine neupersische Sprache, die in
       Afghanistan verbreitet ist. Sie übersetzt, wenn Flüchtlinge kommen, die
       kein Deutsch verstehen.
       
       Eine dreiviertel Stunde, bevor die Essensausgabe im Café Käthe beginnt, ist
       bereits alles aufgebaut. Acht Tische reihen sich im Raum aneinander und
       bilden eine Hufeisenform. Darauf stehen palettenweise Konservendosen mit
       Eintöpfen und Suppen, Tütenreis, Pappschachteln mit Teebeuteln, Buttertoast
       und Trockenobst. In einem Karton stapeln sich hundertfünfzig Dosen
       Pangasiusfilet in Currysoße. Die Lebensmittelspenden kommen von der Tafel
       und von Rewe; Brot und Brötchen spendet ein Bäcker aus der Nachbarschaft.
       In der Ecke brummt leise die Kühltruhe mit Wurst und Milchprodukten, auf
       den Tischen an der Fensterfront sind die Kästen voll mit Obst und Gemüse:
       Salatköpfe, Frühlingszwiebeln, Tomaten, Bananen und Litschis. Zwischen den
       Tischen steht Sara mit sechs anderen HelferInnen. Mit beiden Händen hält
       eine von ihnen eine Mülltüte auf, während eine andere sie mit Lebensmitteln
       füllt - drei Kartoffeln, zwei Möhren, eine Büchse Sahnehering, ein
       Rosinenzopf, alles gerecht verteilt. Die Tüten fährt Leiterin Daube später
       zu sieben alten Damen, die den Weg zum Café nicht schaffen.
       
       Nach den alten Damen sind die HelferInnen selbst dran: Wer bedürftig ist,
       kann sich jetzt selbst mit Lebensmitteln versorgen. Alle Bedürftigen haben
       sich per Nachweis registriert. Sie haben einen Hartz-IV-Bescheid, einen
       Asylbewerberschein vorgelegt – oder ein Dokument, das eine niedrige Rente
       oder den Empfang von ergänzenden Sozialleistungen bestätigt. 140 Haushalte
       versorgt das Café Käthe momentan, 500 Personen, schätzt Daube. Wer vier Mal
       nicht kommt, ohne sich abzumelden, fliegt raus.
       
       Sara zieht einen Einkaufsroller an den Tischen vorbei, einen richtigen
       Hackenporsche. Eine Dose mit Fertigsuppe verschwindet darin, eine Dose Cola
       Zero, eine Tüte Chips und eine Schachtel Reis. Eine andere Helferin steht
       vor einer großen braunen Packung Mondamin-Pulver und rätselt über deren
       Inhalt. Sahne? Nein, Soßenbinder, erklärt Sara auf Persisch. Sie nimmt noch
       eine Packung Eier und studiert den Inhalt eines Fertiggerichts – Fleisch
       darf nicht darin sein, sonst nimmt sie es nicht. „Das muss halal sein“,
       erklärt sie. Das geht also nur, wenn es vom türkischen Laden kommt. Fisch
       ist okay, sie nimmt eine Packung Lachs aus der Kühltruhe. Die vegetarische
       Wurst lässt sie liegen. „Was ich nicht kenne, nehme ich nicht mit“, sagt
       sie.
       
       Als sie an den Tischen mit Obst und Gemüse vorbeigegangen ist, quillt der
       Roller schon fast über. Ein bisschen Schokolade noch - der Tisch mit den
       Süßigkeiten biegt sich so kurz nach Weihnachten unter der Last. Sara nimmt
       zwei Schokoweihnachtsmänner und zwei Tüten Hasel- und Walnüsse und kann
       dann wirklich nichts mehr tragen.
       
       Zu Hause bei Familie R. kochen sie afghanisch. Das heißt meistens Fleisch
       mit Reis und Gemüse. Und in der Regel kocht nicht Sara, sondern ihr Mann.
       Seit einem Jahr ist er arbeitslos, seit er Rückenprobleme bekam und einen
       Monat nicht arbeiten konnte. Nun geht es ihm besser, aber das Restaurant,
       in dem er gearbeitet hat, hat jemand anderen zum Tellerwaschen eingestellt.
       
       Sara und ihr Mann haben sich im Iran kennengelernt. Als sie zwei Jahre alt
       war, floh ihr Vater mit der ganzen Familie ins Nachbarland, als sowjetische
       Truppen nach Afghanistan einrückten und sich einen militärischen Kampf mit
       den widerständischen Mudschahiddin-Kämpfern lieferten. Mit sechzehn ging
       Sara mit ihrem frisch angetrauten Mann zurück nach Afghanistan - das
       iranische Regime hatte seinen Pass eingezogen und er musste das Land
       verlassen. In ihrer Heimatstadt Herat bekam Sara zwei Kinder. Als der
       jüngere Sohn vier war, floh die Familie vor dem andauernden Krieg nach
       Deutschland.
       
       Zwölf Jahre ist das nun her. Vor vier Jahren bekamen Sara und ihre Familie
       endlich ein unbefristetes Aufenthaltsrecht – aus humanitären Gründen. So
       konnten sie auch umziehen - nach langen Jahren in verschiedenen
       Flüchtlingsunterkünften bewohnt Familie R. zum ersten Mal eine ganz normale
       Wohnung.
       
       Ins Café Käthe und zur Kleiderkammer will Sara weiterhin gehen, auch wenn
       ihr Mann lieber hätte, dass sie bei ihm zu Hause bleibt. Und auch, wenn sie
       viel anderes zu tun hat, als Mutter von drei Kindern.
       
       Sara wünscht sich, dass ihre Kinder eine gute Ausbildung und einen guten
       Arbeitsplatz bekommen. Auch sie selber möchte irgendwann einen gute Arbeit
       finden. „Ich weiß, eine richtige Arbeit ist schwer zu finden“, sagt sie.
       „Aber wenn es Gott gibt, ist alles möglich.“
       
       Vielleicht schreibt Sara irgendwann ihre Geschichte auf, überlegt sie. Und
       fügt hinzu: „Manchmal schreibe ich Lieder auf Persisch.“ Nur singen, das
       dürfe sie als Frau nicht - wegen ihres Glaubens, sagt sie. Ganz streng sei
       sie dabei zwar nicht, aber, so sagt sie, „ich akzeptiere meine Religion mit
       ganzem Herzen“. In jedem Glauben gebe es Sachen, die andere komisch fänden.
       Bei der Arbeit in der Luthergemeinde diskutieren sie nicht darüber. Sie
       erzählen nur: Bei mir ist das eine so, das andere so. Schließlich gehe es
       bei allen um das Gleiche: um Akzeptanz und Respekt, um Geben und Nehmen.
       
       11 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Schipjkowski
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Ehrenamt
 (DIR) kirchliche einrichtungen
       
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