# taz.de -- Gentrifizierung in Prenzlauer Berg: Relaunch für das Nachbarschaftshaus
       
       > Die Gentrifizierung rund um den Helmholtzplatz ist abgeschlossen - nur
       > ein paar Alkoholiker haben sich bisher noch nicht verdrängen lassen.
       
 (IMG) Bild: Wettrennen in Prenzlauer Berg: Wer hat den teuersten Kinderwagen?
       
       „Kaaatze!“ – Wenn Platzhirsch Pinkie (Name geändert), Glatze, Piercings,
       nach seinem Hund ruft, der irgendwo im Gebüsch herumpirscht, röhrt es
       heiser über den Helmholtzplatz. Sechs der berüchtigten Alkis sitzen an
       diesem Freitagabend auf dem Mäuerchen unter einem Basketballkorb, gegenüber
       dem Spielplatz. Bierflaschen neben sich, unauffällige Winterjacken, ein
       Blaumann ist dabei, ruhige Unterhaltung. Daneben balgen sich ihre
       Schäferhunde. Ein etwa dreijähriges Kind bleibt stehen und guckt fasziniert
       zu, der Vater in edler Winterjacke und Kordhose achtet darauf, dass es der
       Szenerie nicht zu nahe kommt. Dann schiebt er den Zögling weiter in
       Richtung Café Kiezkind. Es ist schwer, hier einen sozialen Konflikt
       auszumachen. Vielleicht gibt es auch gar keinen. Jemand von außerhalb würde
       die Szenerie als friedliche Feierabendstimmung an einem befriedeten
       Milieutreffpunkt inmitten spielender Kinder interpretieren. Wenn die Sache
       mit der Kündigung nicht wäre.
       
       Im September bekommen Ilona Sachs und Jörg Lampe vom [1][Förderverein
       Helmholtzplatz, Betreiber des Platzhauses], die Kündigung zugeschickt. Der
       Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Jens-Holger Kirchner (Grüne) fasst
       sich knapp. „Wie Ihnen sicherlich nicht entgangen sein wird“, so der Brief,
       hätten sich Nutzungskonflikte der vergangenen zehn Jahre verändert, der
       Platz solle nun umgestaltet werden. Entgangen war den beiden Vorsitzenden
       des Fördervereins wenig. Auch nicht, dass ein Bagger bereits auf dem Platz
       steht.
       
       Seit zwölf Jahren betreiben die beiden hier das Platzhaus, einen selbst
       verwalteten Aufenthaltsraum für Nachbarschaftsinitiativen:
       Kindergeburtstage kann man hier feiern, der Tauschring ist hier zu Hause.
       Bandproben finden hier statt, Sprachkurse, manchmal. Etwas „vor uns hin
       gedümpelt“ seien sie im vergangenen Jahr, gibt Lampe zu. Der kräftige Mann
       aus Hessen, von Beruf Quartiersmanager in Marzahn, blickt in den
       überschaubaren Raum, Steinfußboden, Biertische. Auf den Fenstersimsen hat
       sich eine Staubschicht gebildet. „Viele Aktive leben nicht mehr im Kiez“,
       erklärt er traurig. Die Frage scheint auch für ihn im Raum zu stehen: Kann
       man in einem Stadtviertel, dessen Gentrifizierung abgeschlossen ist, noch
       ein selbst verwaltetes Nachbarschaftshaus betreiben? Oder wird es nicht
       dringender für die sozialen Problemfälle auf dem Platz gebraucht?
       
       Bezirksstadtrat Kirchner gibt sich flapsig am Telefon: „Das Platzhaus sieht
       innen grottig aus, außen sieht’s aus wie Siff.“ Kirchner will den Raum
       renovieren und neuen Akteuren zugänglich machen. „Das Platzhaus braucht
       ’nen Relaunch“, sagt er und verweist auf neue Anwohner des
       Helmholtzplatzes. „Der Kiez sind jetzt auch andere.“
       
       Die anderen, damit könnten die 28 Prozent der 465 befragten Anwohner
       gemeint sein, die sich auf dem Helmholtzplatz unwohl fühlten – laut dem
       letzten „Kundenmonitoring“ der Polizei. Kirchner sieht darin eine
       Verschärfung des Platzklimas: ein schlechtes Image für die durchsanierte
       Nachbarschaft. Er schließt nicht aus, dass das Platzhaus künftig
       Sozialarbeitern zur Verfügung gestellt wird, die sich um die Alkis kümmern:
       „Die Alkis kommen aus ganz Europa und nehmen Drogen. Da weiß keiner mehr,
       wie die ticken.“
       
       Barbara Ennenbach, schlanke Hornbrille, esoterisch anmutende Kette, weiß,
       wie sie ticken. Jahre von schlaflosen Nächten haben die 49-jährige Ärztin
       zur Expertin werden lassen: Irgendwann reichten ihr die teils heftigen
       nächtlichen Streitereien der Alkis im Vollrausch vor ihrem Fenster. „Wenn
       auch noch im Sommer die Leute auf der Treppe zum Hostel nachts ihr Bier
       trinken, kriegte ich die Krise.“ Ennenbach hat ihr Schlafzimmer inzwischen
       auf die Rückseite ihrer Mietwohnung verlegt.
       
       Seit 2001 wohnt sie mit ihrem Mann und drei inzwischen erwachsenen Kindern
       am Helmholtzplatz. Sie hat den Milieutreffpunkt inzwischen akzeptiert: „Das
       gehört dazu, das ist das Leben“, sagt sie halb seufzend, halb lächelnd.
       Ihre Söhne seien gesund auf dem Helmholtzplatz aufgewachsen, ohne Probleme
       mit Drogendealern oder Spritzen im Gebüsch. „Die Alkis respektieren ja auch
       die Grenzen zum Spielplatz – das fand ich immer sensationell“, erzählt
       Ennenbach. Prügeleien unter den Trinkern habe sie noch nie erlebt,
       unangenehm angemacht habe sie auch noch niemand. Ob sich in letzter Zeit
       die Konflikte verschärft haben? – Ennenbach schüttelt entschieden den Kopf.
       Mehr Probleme bereite ihr die Gentrifizierung des Kiezes: „Es fehlt hier
       irgendwo der normale Mensch. Das ist keine gesunde Mischung mehr.“
       Ennenbach, in den Siebzigern im einst wilden Münchner Stadtteil Schwabing
       aufgewachsen, befürchtet, dass den Helmholtzplatz das gleiche Schicksal
       ereilt wie jenen: „Dass alles so spießig wird wie in München.“
       
       In Sachen Alkis habe sich das Platzhaus immer herausgehalten, sagt Ilona
       Sachs, die Vorsitzende des Fördervereins. Sie führten eine friedliche
       Koexistenz.“ Sachs, die für ihr soziales Engagement 2011 mit dem
       Ehrenamtsorden ausgezeichnet wurde, ist sichtlich um Neutralität bemüht:
       „Wir machen nichts mit denen, aber wir setzen uns dafür ein, dass sie
       bleiben.“
       
       Sachs glaubt, dass die Kündigung auch mit ihrer solidarischen Haltung
       gegenüber den Alkis zusammenhängt. „Kirchner hat sich den Ruf des
       Gentrifizierungsstadtrats erarbeitet. Er hätte mit uns reden können.“
       
       Darauf reagiert der Stadtrat kühl: Bei einer offiziellen Begehung des
       Platzes „waren sie nicht da“. Dem Vorwurf fügt er seine generelle Kritik an
       dem Verein hinzu: „Das Haus ist zu wenig geöffnet.“
       
       Das sehen die Vorsitzenden des Vereins ganz ähnlich: Doch nur ehrenamtlich,
       ganz ohne Mittel für eine Hausmeisterstelle lasse sich das Haus nicht jeden
       Tag betreiben. Immerhin: Durch die Kündigung seien sie jetzt wach geworden:
       Das Vorhaben des Bezirks habe einen „Aufschrei und Empörung“ der
       vereinsnahen Anwohnern ausgelöst und Menschen aktiviert: So hätten sie
       Fragebögen unter den Anwohnern verteilt, um den Dialog über deren Wünsche
       zu erneuern. Auch eine schwarze Folie haben sie um das Platzhaus gewickelt.
       Mit weißen Eddings sollten Anwohner ihre Wünsche für den künftigen
       Helmholtzplatz notieren. „Mehr Trinker auf dem Helmi = weniger Yuppies
       daher Solisaufen“ steht da. Oder: „Manchmal ist es ein Fortschritt, es
       einfach zu lassen, wie es ist.“
       
       Auch Kirchner hat inzwischen eingeräumt: „Ich frage mich, ob unsere Signale
       gegenüber dem Verein eindeutig waren.“ Er hat die Kündigungsfrist auf Juni
       ausgedehnt und lädt am Dienstag zu einem Ratschlag, bei dem sich alle
       Bürger zur Zukunft des Helmholtzplatzes äußern sollen. „Die Kreativität
       muss aus dem Kiez kommen“, so Kirchner.
       
       Wie viel Kreativität in diesem Kiez noch steckt, hat Andrea Kanapee,
       schwarze Jacke, kurzer Haarschnitt, einmal ausprobiert. Für eine
       Seminararbeit in ihrem Studienfach Soziale Arbeit hat Kanapee eine Woche
       lang mit ihrem Team aus Studentinnen auf dem Helmholtzplatz ein
       Theaterprojekt organisiert: Bei „Odyssee mit freier Platzwahl“ riefen sie
       Tag für Tag die Passanten dazu auf, an Szenen mitzuwirken. Inoffiziell
       hätten sie diesen Versuch „Sozialarbeit für Reiche“ genannt: Kanapee habe
       damit auch herausfinden wollen: „Wer sind meine Nachbarn? Warum zahlen die
       6.000 Euro pro Quadratmeter?“ Das Resümee, das Kanapee nach der einen
       Projektwoche auf dem Helmholtzplatz zieht, ist ernüchternd: „Bei einigen
       Anwohnern sind wir total gescheitert. Die Leute sind vorbeigeeilt. Unser
       Versuch, sie kennenzulernen, hat sie nicht erreicht.“
       
       Etwas anderes aber sei geschehen, erzählt Kanapee. „Schon am zweiten Tag
       gab’s Leute, die abends mit uns den Platz gefegt haben.“ Ironischerweise
       waren es gerade die Alkis, die bei den Projekten mitgemacht haben. „Manche
       Anwohner kamen dann vorbei und sagten: „In dieser Woche ist hier alles viel
       friedlicher.“
       
       An diesem Dienstag, 20. Januar, findet um 17 Uhr die erste Gesprächsrunde
       zur Zukunft des Platzhauses statt: Kuppelsaal der Eliasgemeinde, Göhrener
       Straße 11
       
       20 Jan 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://platzhaus-helmholtzplatz.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Krone
       
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