# taz.de -- "Tanz zwischen den Welten" im Hamburger Süden.: Tanz’ die Teilhabe
       
       > Der Berliner Brite Royston Maldoom ist bekannt für seine Tanzprojekte,
       > die er mit solchen Menschen durchführt, für die der Weg auf eine Bühne
       > weiter ist als für andere: Arme, Randständige.
       
 (IMG) Bild: "Its easy, nicht schwer!": Royston Maldoom.
       
       HAMBURG taz | Ein imposanter Backsteinbau in Hamburg-Heimfeld. Die
       Friedrich-Ebert-Halle, Baujahr 1929, bildet hier am südlichen Rand der
       Stadt, im Bezirk Harburg, ein ideales Beispiel für die Architektur der
       „Roten Moderne“. Massiv steht die Halle auf dem Gelände des Gymnasiums, das
       auch nach Ebert benannt ist, und während ein paar Halbwüchsige widerwillig
       der Schulglocke folgen, als die das Ende der großen Pause signalisiert,
       arbeitet im Nachbargebäude Royston Maldoom – der Choreograf, der spätestens
       seit dem Dokumentarfilm „Rhythm is it!“ ein Star ist.
       
       Erst mal aber ist er nicht aufzufinden. Ein Lehrer zeigt in Richtung
       Bühnenpforte. Als die verschlossen bleibt, rät ein anderer zur Umkehr und
       zum Vordereingang. Nichts deutet an diesem regnerischen Vormittag darauf
       hin, dass Heimfeld gerade solch hohen künstlerischen Besuch hat. Keine
       Fotografen, kein Fernsehteam.
       
       Von vorn erzählt die Friedrich-Ebert-Halle, 2013 renoviert, von
       formvollendeter Geometrie. Es geht eine flache Treppe hinauf, durch eine
       gläserne Schwingtür ins Foyer, dann in den als Stadthalle konzipierten
       Theatersaal. Dieser fasst 1.100 Plätze, ein einziger Rang umrahmt das tiefe
       Parkett. Hier spielten schon die Hamburger Symphoniker, aber auch die Dead
       Kennedys oder, unlängst, die Band Revolverheld. Und im Keller nahmen die
       Beatles 1961 ihre erste Platte auf.
       
       Jetzt probt hier also Royston Maldoom. Gemeinsam mit seiner langjährigen
       künstlerischen Partnerin Tamara McLorg erarbeitet er einen „Tanz zwischen
       den Welten“: Mit 40 größtenteils unerfahrenen Männern und Frauen studieren
       sie eine Choreografie ein, die dann am 7. Mai dort Premiere haben wird.
       
       Maldoom ist hoch konzentriert, streng, rigoros. „Shht! I am serious!“,
       fährt er die Laiengruppe auf der Bühne an, es ist ihm ernst. Dann beginnt
       er laut zu zählen: „Eins, zwei, drei, vier … “ Seine Hände trommeln auf den
       Bühnenboden, das Timing muss stimmen. Etwa 20 Tänzer probieren gerade, eine
       Gruppe Männer kauert im Kreis am Boden, sieben Frauen kommen aus den
       Seitengängen hinzu, heben mit ruhigen Bewegungen die Arme, senken sie zu
       einer bittenden Geste. „Slowly, slowly!“, ruft Maldoom, dann eindringlich:
       „Langsam!“ Der 72-Jährige fährt sich über seinen ergrauten Schnauzbart. Er
       ist nicht zufrieden, lässt die Szene wiederholen. Viel Zeit hat er nicht.
       
       Eilig geht Maldoom zwischen den Stuhlreihen auf und ab, prüft die bereits
       einstudierten Abläufe, korrigiert und erklärt. Seine Stimme ist freundlich,
       aber resolut. Die zahlreichen Lachfalten und die schmunzelnd in den Raum
       geworfene Klage „They give me a heart attack!“ erzählen von seinem Humor.
       Zwei Wochen lang probt er mit dieser Laiengruppe, jeweils sechs Tage die
       Woche. Warum er das macht? „Weil ich an jeden einzelnen Menschen glaube und
       daran, dass er über sich selbst hinauswachsen kann“, sagt Maldoom. „Für die
       meisten gibt es jenen entscheidenden Moment – und vielleicht ist es sogar
       der Moment während der Arbeit in einer Tanzklasse, der rückblickend ihr
       Leben verändert hat.“
       
       Die Hälfte der Teilnehmer ist oder war von Armut betroffen, von sozialer
       Teilhabe ausgegrenzt. In Wohlstandsgesellschaften wird Armut nicht als
       existenzielle, sondern meist als „relative“ Armut definiert: relativ im
       Verhältnis zum Wohlstand der Bevölkerung des Landes. In der Europäischen
       Union gelten Menschen als arm, die monatlich weniger als 60 Prozent des
       nationalen Mittelwerts verdienen. 2013 lag diese Schwelle bei
       Einpersonenhaushalten in Deutschland bei 892 Euro, bei Familien mit zwei
       Erwachsenen und zwei Kindern bei 1.873 Euro.
       
       Kritikern geht die Definition von Einkommensarmut nicht weit genug. Neben
       dem monetären Aspekt müsse der Aspekt der Teilhabe berücksichtigt werden:
       an Lebensbereichen wie Bildung, Gesundheit, Kultur, Transport und
       Kommunikation. Als arm gilt dann, wer zu vielen dieser Bereiche erschwerten
       Zugang hat oder ganz davon ausgegrenzt ist – und damit geringere Chancen
       hat, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Hier greift die Grundidee
       des Community Dance, der in den 1970er-Jahren in Großbritannien entstand:
       einer sozial oder kulturell definierten Gruppe den Zugang zu Tanz zu
       ermöglichen.
       
       Als der Paritätische Wohlfahrtsverband das Heimfelder Projekt ins Leben
       rief, ging es vor allem darum, den Zusammenhang von Armut und solcher
       Teilhabe nicht ein weiteres Mal in Gesprächen oder Diskussionsforen zu
       erörtern, sondern tatsächlich erfahrbar zu machen: Begegnung und Teilhabe
       sollten stattfinden. 2013 und 2014 sei der Verband „federführend“ in der
       Nationalen Armutskonferenz (NAK) engagiert gewesen, erläutert Sylke Känner,
       die Projektleiterin. In diesem Rahmen habe man „Teilhabe von Betroffenen
       möglich machen“ wollen, führt sie aus. „Uns ist es wichtig, neue,
       ungewöhnliche Wege in der sozialen Arbeit zu gehen, sodass wir uns
       regelmäßig über neue Veranstaltungsformate Gedanken machen und diese auch
       umsetzen.“
       
       In Hamburg-Heimfeld geschieht das nun, auch dank einer Förderung durch die
       Bundeszentrale für politische Bildung. Für zwei Wochen treffen da unter den
       strengen choreografischen Blicken Maldooms Menschen aus denkbar
       unterschiedlichen Kontexten aufeinander: Da sind Flüchtlinge aus Syrien und
       dem Sudan, dazu Freiwillige aus der Flüchtingshilfe, dann wieder
       urhamburgische Menschen aus Eilbek, Heimfeld oder Bergedorf, die
       Altersspanne reicht von 18 bis 72 Jahren.
       
       Sie arbeiten, tanzen – und profitieren voneinander. Nehmen wir Tobias,
       Student der Ernährungswissenschaften, der schon immer tanzen wollte, und
       noch einen Tag vor Probenbeginn dachte: „Ich schaffe es nicht.“ Nun möchte
       er gar nicht mehr damit aufhören. Oder Imam, ein 19-jähriger Flüchtling,
       der „überglücklich“ ist, mitmachen zu können. Seit acht Monaten lebt er,
       der im Heimatland Sudan als Hirte gearbeitet hat, in Deutschland und nimmt
       aus dem Projekt ein „völlig neue Lebensgefühl“ mit.
       
       In der Probenpause beschreiben zwei Tanztherapeutinnen begeistert, wie
       schnell und gut die Gruppe zueinander gefunden hat. Selbst für diese
       beiden, die einen professionellen Background mitbringen, ist das Projekt
       eine „ganz besondere Erfahrung“. Der Umgang miteinander sei „sehr
       respektvoll“, berichtet die eine, und „ja, natürlich eine gewisse Disziplin
       muss sein“.
       
       Abgesprungen ist bis zu diesem Zeitpunkt kein Teilnehmer – trotz, aber
       vermutlich eher wegen der Strenge und Ernsthaftigkeit, mit der der rastlose
       Engländer seine Proben gestaltet. Meist spricht Maldoom Englisch, nur
       manchmal, wenn er seinen Wörtern noch mehr Nachdruck verleihen möchte,
       wechselt er ins Deutsche. „It’s easy, nicht schwer!“, ruft er dann und
       springt behende selbst auf die Bühne, um alterslos agil zu zeigen, wie man
       auf der Bühne ganz leise rennen kann.
       
       Seit 2009 lebt Maldoom in Berlin. Seit 40 Jahren initiiert und leitet er
       weltweit Tanzprojekte. Unermüdlich, für jeden, unabhängig von sozialem
       Status, Alter, Hautfarbe oder Talent. „Wenn ich choreografiere, ist es
       egal, ob ich mit Profis oder mit Laien arbeite“, erläutert der Mitbegründer
       der Community-Dance-Bewegung. „Ich nehme meine Arbeit immer gleichermaßen
       ernst. Und ich nehme die jeweiligen Tänzer und Menschen auch gleichermaßen
       ernst.“
       
       Seine Choreografie für „Tanz zwischen den Welten“ ist voller einfacher
       Bewegungen. Das macht es den Teilnehmern erst einmal leicht. Aber diese
       Bewegungen müssen bis ins Detail stimmen, da ist Maldoom hartnäckig.
       Rennende, fallende, rollende Körper wechseln sich ab mit Hebefiguren und
       Sprüngen. „Auf der Bühne seid ihr alle gleich“, erklärt er am Ende der
       Probe. „Niemanden interessiert es, woher ihr kommt und wie viel Geld ihr
       habt. Wenn wir auf der Bühne sind, geht es um Kunst.“
       
       So ist es auch ganz gleich, ob Maldoom in Berlin probt oder auf Teneriffa,
       ob er mit katholischen Jugendlichen in Nordirland oder mit Straßenkindern
       in Äthiopien arbeitet. Ob in Hamburg auf der Kampnagel-Fabrik oder im
       Deutschen Schauspielhaus: Überall geht es um die Kunst. Jetzt gerade in
       Heimfeld, hinter dicken Backsteinmauern. Neben einem Schulhof. Am Rande der
       Öffentlichkeit und doch mitten in der Gesellschaft.
       
       Der Regen hat aufgehört. Von nebenan ertönt wieder die Schulglocke. Die
       Vormittagsproben sind zu Ende, jeder Teilnehmer geht mit seinen eigenen
       Eindrücken und Erlebnissen nach Hause, zurück in seine eigene Wirklichkeit.
       Was bleibt, ist die Erfahrung der Teilhabe an einem
       Community-Dance-Projekt. Und beim einen oder anderen vielleicht sogar die
       Erfahrung eines Moments, den Maldoom „entscheidend“ nennt.
       
       ## Aufführung: Donnerstag, 7. Mai, 19.30 Uhr, Hamburg,
       Friedrich-Ebert-Halle
       
       4 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Ullmann
       
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 (DIR) Gesellschaftliche Teilhabe
 (DIR) Tanztheater
 (DIR) Flüchtlinge
       
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