# taz.de -- Regietheater als ewiger Delinquent
       
       Nur ein wackeres Häuflein war zur Halbzeit des Berliner Theatertreffens
       aufs Land gepilgert, um die x-te Auflage einer Regietheaterdebatte oder
       einfach nur Trost bei Gerhard Stadelmaier zu suchen. Der Großkritiker der
       FAZ hatte angekündigt, in seinem Neuhardenberger Vortrag Antwort auf die
       schillernde Frage „Was heißt und zu welchem Ende erdulden wir ein
       Regietheater?“ zu geben. Anschließend sollten die Kritiker Joachim Kaiser
       (SZ) und Peter Kümmel (Zeit) sowie die Intendanten Ulrich Khuon (Berlin)
       und Lars-Ole Walburg (Hannover) die Stadelmaier’sche „Standortbestimmung“
       bestätigen oder attackieren: Es versprach unterhaltsam zu werden.
       
       Tatsächlich hielt der Kritiker seine Gemeinde mit rhetorischen Volten in
       Atem: Auf die einleitend verlesene Anklageschrift mit der Aufzählung der
       kriminellen Handlungen des Delinquenten Regietheater, die von
       Zuschauernötigung über Textvergewaltigung bis zu realer Körperverletzung
       reicht, folgte eine unerwartet differenzierende Zeitreise ins Jahr 1800, wo
       bereits Goethe und Schiller um die Aufführungspraxis eigener Texte
       stritten. Der Schwabe Stadelmaier sprach dabei den Lands- und
       Vollbluttheatermann Schiller im Originalidiom und drängte den strengeren
       Goethe in die Rolle des klemmigen Gralshüters. An die Herrschaftskritik am
       Regisseur, der um 1870 die Bühne betrat, als Placebo-Absolutist im
       bürgerlichen Zeitalter schloss er das überraschende Lob einzelner
       Autokraten (darunter Marthaler und Robert Lepage) und Inszenierungen an,
       deren Regierung beziehungsweise Regie er als geglückt betrachtet.
       
       ## Historische Rache
       
       Doch dann brach die Wende in den Vortrag ein – und das „Erbe der DDR“
       musste „theatrale Rache“ am historischen Sieger BRD üben. Das „egoistische,
       ungezogene, text- und menschenverachtende Regisseurstheater“, in dem ein
       „Ein-Mann-Stammtisch“ auf die Bühne bringe, „was ihm gerade durch die Rübe
       rauscht“, habe schreckliche Schule gemacht. Außer „Papi Castorf“ nannte der
       Kritiker keine Namen, ließ aber durchblicken, dass auch die Wessis Jürgen
       Kruse, Christoph Schlingensief und Rimini Protokoll zu seinem
       Böse-Buben-Kanon zählen – sowie ein „liebloses“ Publikum, das das Theater
       bekommt, was es verdient. Überhaupt wirkte nach dem Schweinsgalopp durch
       die Geschichte Stadelmaiers ästhetisches Programm doch äußerst allgemein:
       „Menschendarstellung statt Darstellermaschinen“, Theater als Zauber und
       Fest, Spiel und Verdichtung. Wer wollte da widersprechen?
       
       Widerspruch schloss der (womöglich zart besaitete) Kritiker-Autokrat auch
       dadurch aus, dass er sofort nach seinem Vortrag abreiste. Die Herrenrunde,
       die sich anschließend noch einmal über die unbedarft lüsternen Fragen des
       Moderators Manfred Osten (Nacktheit! Blut! Schändung!) beugen musste, war
       denn auch eher zu bemitleiden. Zumindest der gut gelaunte Grand Old Sack
       Joachim Kaiser zeigte jedoch, dass selbst sture Textgläubigkeit („Die Lulu
       sollte vielleicht nicht hochgeschlossen sein“) skurrilen Charme entfalten
       kann, wenn sie mit einer Portion Selbstironie einhergeht.
       
       EVA BEHRENDT
       
       18 May 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) EVA BEHRENDT
       
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