# taz.de -- Als die Kids noch allright waren
       
       > POST-PUNK Die junge Comicautorin Martina Lenzin setzt sich in „rpm“ mit
       > der letzten heroischen Jugendbewegung auseinander
       
       VON SVEN JACHMANN
       
       Subkultur und Jugendrevolte gleichen heute ausgehöhlten Zeichensystemen
       eines gestrigen Aufruhrs. Zur politischen Vernetzung, gar als eine
       Sozialisationsinstanz taugen sie heute nicht mehr viel. Ihre Klänge
       verhallen entweder in den Marketingagenturfluren, bündeln sich ungehört zum
       Datenstrom in den Weiten des Internets oder verkommen zum erstarrten Ritual
       des Immergleichen. Widerstand und Konformität jedenfalls lassen sich
       heutzutage immer schwerer voneinander unterscheiden. Das war natürlich mit
       Abstrichen auch früher nicht anders. Im Post-Punk artikulierte sich Ende
       der 70er, Anfang der 80er Jahre eine Bewegung, die ideologisch der
       nihilistischen Attitüde des Punk mit der Politisierung sämtlicher
       Lebensbereiche und vollkommener Kontrolle über alle Produktionsstadien
       entgegentrat.
       
       In ihrer ersten Graphic Novel versucht die 1980 geborene und in Hamburg
       lebende Zeichnerin Martina Lenzin, Mitherausgeberin der „Two Fast
       Colour“-Anthologie und Musikerin in der Band Honeyheads, jene Tage zu
       rekonstruieren. Implizit ruft sie dadurch ins Gedächtnis, wie isoliert
       emanzipatorische gegenkulturelle Versuche heutzutage sind.
       
       Gleichzeitig ist dies jedoch kein nostalgischer Blick in die Vergangenheit,
       keine Apologetik einer besseren Zeit, und schon gar nicht wird dem
       Ordnungsprinzip Biografie und seiner Illusion einer geradlinigen
       Entwicklung vertraut. Selbst auf das beliebte Mittel oral history, wie es
       in zeitgenössischen Punkbiografien gerne zum Einsatz kommt, wird
       verzichtet. Trotzdem finden sich all diese Elemente in den Stimmen von
       Interviewpartnern wieder.
       
       ## Mach es selber
       
       Durch einen dramaturgischen Kniff nämlich gelingt es Lenzin, diese
       vergangene Ära zu beschreiben, ohne sie endgültig zu historisieren. Anhand
       der fiktiven Biografie von Tin, der im England der Thatcher-Ära über sein
       Fanzine Count an die ebenfalls erfundene Post-Punk-Band The Does gerät,
       deren Platten er auf seinem dafür eigens gegründeten Label veröffentlicht,
       eröffnet sich die ganze Bandbreite des D.I.Y.-Aktivismus: Es geht um
       Selbstbestimmung, Arbeit im Kollektiv, Hausbesetzungen und darum, mit den
       Musikern und für die Musiker jede erdenkliche Freiheit zu erkämpfen unter
       den Bedingungen des hermetischen Zugriffs auf jedwede Produktionsphase, in
       dem sich wiederum das Politische ausdrückt.
       
       Anders gesagt: Der Prozess selbst wird zur politischen wie ästhetischen
       Kategorie, und Lenzin übersetzt dieses Prinzip in ein narratologisches
       Programm des Fragmentierens. Als in der Gegenwart interviewte
       Repräsentanten ihrer Zeit resümieren Tin, The Does und weitere Weggefährten
       die gemeinsamen vergangenen Tage. Ihre Rückblicke bilden eigenständige
       Handlungselemente, die jedoch immer wieder gegenwärtig von Reflexionen des
       Sprechenden unterbrochen werden. Auf diese Weise gelingt Lenzin nicht nur
       eine geradezu idealtypische Beschreibung der Post-Punk-Bewegung, ihrer
       Ambitionen und ihrer unvermeidlichen Ankunft im Mainstream. Sie vermeidet
       zugleich jede Inanspruchnahme endgültiger Klärung.
       
       Das Stimmenwirrwarr der Interviewten führt nicht zu endgültigen Antworten,
       aber zu Wahrheiten. Die Linearität der Erzählung, die die Gesamtheit der
       Erzählungen suggeriert, könnte sich so abgespielt haben, aber auch ganz
       anders. Selbst die schwarz-weißen Zeichnungen, die Hintergründe und
       Gegenstände konturieren, aber nie detailliert abbilden, visualisieren die
       Durchlässigkeit jeder Bilanz.
       
       Durch diese Unabgeschlossenheit, diesen brüchigen Dokumentarismus rettet
       Lenzin all die Fragen, die die Figuren und ihr Handeln motivieren, in die
       Gegenwart. So sehr sich der popkulturelle Kontext, auf den Post-Punk
       reagierte, gewandelt haben mag, so radikal pervertieren zugleich die
       gesellschaftlichen Bedingungen, die Post-Punk notwendig machten. Ein
       schöneres Fazit einer vergangenen Ära, das auf stilistische Weise ein
       politisches Plädoyer formuliert, lässt sich wohl kaum wünschen.
       
       ■ Martina Lenzin: „rpm“. Reprodukt Verlag, Berlin 2011. 142 Seiten, s/w, 15
       Euro
       
       1 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) SVEN JACHMANN
       
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