# taz.de -- Rassismus contra Kritik: „Wer will schon islamophob sein?“
       
       > Der Begriff 'Islamophobie' macht eine rassismusfreie Islamkritik
       > unmöglich, meint der Sozialwissenschaftler Martin Kloke im Interview.
       
 (IMG) Bild: Nein zu Islamophobie - Für Martin Kloke muss rassismusfreie Kritik am Islam möglich bleiben
       
       Herr Kloke, Sie beschäftigen sich mit Antisemitismus in Deutschland. Was
       verstehen Sie unter Islamophobie? 
       
       Wenn Leute sich dem Kampf gegen den Islam widmen, ist das für mich
       Islamophobie. Zum Beispiel in rechtspopulistischen Kreisen von Pegida und
       AfD. In diesem Rahmen ist das ein legitim einzusetzender Begriff.
       Grundsätzlich finde ich den Begriff aber eher problematisch. Ich würde
       lieber von Fremdenfeindlichkeit oder Xenophobie sprechen. 
       
       Warum sagen Sie lieber Xenophobie als Islamophobie? 
       
       Der Begriff wird in gegenaufklärerischer Funktion missbraucht. Wenn man
       etwa den virulenten Sexismus oder die Homophobie in der islamischen Welt
       kritisiert und deshalb als islamophob bezeichnet wird, neigt man vielleicht
       dazu, seine Kritik abzumildern oder zurückzunehmen. 
       
       Wer will schon islamophob sein? Das führt zu Denkverboten, zu Selbstzensur.
       Migrantengruppen aus Nahost oder der Afrikaregion können Muslime, säkulare
       Muslime, aber auch Christen oder Jesiden sein. All diese Menschen werden
       von bestimmten sogenannten Biodeutschen als Fremde bekämpft. 
       
       Aber rassistische Ressentiments werden ja nicht mehr offen heraus gesagt,
       sondern andere Argumente benutzt. Das Kultur-Argument, Menschen hätten eine
       andere Kultur, und das Religionsargument, „Sie haben eine andere Religion,
       deswegen“. Spielt das nicht doch eine Rolle? 
       
       Natürlich spielt die Religion auch eine Rolle, sie ist nicht alles
       erklärend, weil Kultur sicherlich umfassender ist. Aber es gibt ein
       Setting, das auch aus religiösen Traditionen besteht, aus Erziehung, aus
       Clan- und Familientraditionen. 
       
       Vielleicht sollte man treffender unterscheiden zwischen
       Muslimenfeindlichkeit und Islamkritik: Erstere richtet sich gegen Menschen,
       die Muslime sind oder als Muslime angegriffen werden. So etwas muss auf
       jeden Fall gesellschaftlich geächtet werden. Davon abgrenzen würde ich eine
       legitime, menschenrechtlich begründete Ablehnung des Islam. 
       
       Und was macht diese für Sie aus? 
       
       Es muss in einer liberalen, offenen, säkularen Gesellschaft möglich sein
       rassismusfrei Religionskritik zu üben und damit auch den Islam abzulehnen.
       Es ist sehr wohlfeil heute bei uns, sich über den Papst und die katholische
       Kirche lustig zu machen und diese zu kritisieren. 
       
       Aber es gehört inzwischen Mut dazu, mit demselben Nachdruck sich auch gegen
       repressive Erscheinungsformen im Islam zu wenden. Das muss man wagen
       dürfen. Aber mit der ganz klaren Unterscheidung von Muslimenfeindlichkeit
       und Islamkritik. 
       
       Ist es nicht schwierig, den Islam zu kritisieren, ohne dem rechten Lager
       Argumentationshilfe zu geben? 
       
       Man kann sich nie dagegen wehren, instrumentalisiert und missbräuchlich
       zitiert zu werden. Aus der Erfahrung der letzten Monate würde ich es eher
       als großes Risiko ansehen, es nicht zu tun. Man spielt den rechten
       Populisten in die Hände, wenn man islamistisch motivierte Anschläge
       kleinredet. Und die Gesellschaft entmündigt, indem man bestimmte
       Tatbestände verheimlicht, oder sie nur mit Verspätung an die Öffentlichkeit
       gelangen. Das schürt Pegida- und AfD-Sympathien. 
       
       Es gibt auch im islamischen Bereich Verbündete, die das kritisch sehen.
       Kamel Daoud zum Beispiel, oder Ahmed Mansour. Die sagen, wir müssen als
       Muslime raus aus dieser Opferhaltung, wir müssen ungeschminkt unsere eigene
       Kultur und Religion analysieren, und selbstverantwortliche Akteure sein. 
       
       Kamel Daoud und Ahmed Mansour wurden dafür ja auch öffentlich angegangen. 
       
       Leute wie Daoud oder Mansour sollten aus der Zivilgesellschaft unterstützt
       werden. Aber es gibt so ein Gutmenschentum, wo es heißt, man darf die
       Muslime nicht so hart kritisieren, weil sie Opfer in der Gesellschaft seien
       und diskriminiert würden. Diese Schutzzone, die man da baut, ist
       gefährlich, weil sie blind macht für tatsächliche gesellschaftliche
       Probleme. 
       
       Welche gesellschaftlichen Probleme meinen Sie? 
       
       Wenn Teile muslimisch geprägter Migranten tatsächlich antisemitisch
       orientiert sind und zum Beispiel den Staat Israel dämonisieren, muss man
       das nicht nur aussprechen, sondern sich auch Konzepte überlegen, wie man
       von vornherein etwa in der Flüchtlings-Integrationspolitik mit solchen
       Herausforderungen fertig wird. Da reichen Sprachkurse, Wohnungen und Jobs
       nicht. Das ist ein Mehrgenerationenprojekt, was uns da bevorsteht. 
       
       In linken Kreisen wird gesagt, dass der Islam kritisiert wird, während die
       Zustände in der deutschen, christlich-westlichen Gesellschaft nicht
       beleuchtet werden. Homo-Ehe etwa, gibt es hier immer noch nicht, Sexmus,
       gibt es hier viel. 
       
       Sehe ich auch so, es gibt Leute, die plötzlich zu Frauenrechtlern mutieren,
       wenn es um Muslime geht, aber ansonsten sich darum überhaupt nicht kümmern.
       Aber es gibt umgekehrt Leute, die sich feministisch und für andere linke
       Themen einsetzen, aber wenn sie mit den Herausforderungen aus der
       islamistischen Szene konfrontiert werden, einen Bogen drum machen. Aus
       Sorge islamophob zu erscheinen. 
       
       Ich finde, es gibt klare Regeln und die Menschenrechte sind unteilbar, das
       ist ein Prinzip, das ich für unaufgebbar halte. 
       
       Das ist ja die Frage vom Universalismus der Menschenrechte: Dass es
       universelle Menschenrechte gibt und damit eine gewisse Deutungshoheit, wer
       bestimmen darf, was zu den Menschenrechten gehört und was nicht. 
       
       Ich finde es höchst zynisch, wenn man sagt, Menschen in Saudi-Arabien
       empfänden Dinge halt anders. Diese Art von Kulturrelativismus lehne ich ab.
       Da werden doch „die“ Araber, die arabische Kultur als Diskurspartner nicht
       ernst genommen. 
       
       Und es gibt ja Menschenrechtsaktivisten im arabischen Raum, in Ägypten, in
       Saudi-Arabien, die genau das einfordern. Sie müssen unterstützt werden und
       nicht noch von Kulturrelativisten aus dem Westen im Stich gelassen werden. 
       
       Im Grunde ist das ja der alte Grabenkampf zwischen Antiimps und
       Antideutschen. Würden Sie sich dem antideutschen Lager zusprechen? 
       
       Nein, das sind Schablonen, ich bin ein deutscher Staatsbürger, ich bin hier
       geboren – warum soll ich da antideutsch sein? Finde ich absurd. Ich sehe in
       der sogenannten antideutschen Szene neben einer erfrischenden, manchmal
       provokanten Israel-Empathie auch ideologische Verkrustungen. 
       
       Das ist ja oft so bei Konvertiten, dass sie besonders scharf darauf achten,
       ihre neuen Einsichten in eine Form gießen, die der alten verlassenen Form
       sehr ähnlich werden. 
       
       Was wären das zum Beispiel für Verkrustungen? 
       
       Es gibt ja Zeitschriften und Diskurse in der antideutschen Szene, in denen
       Israel zu einer eigenen antideutschen Ersatzidentität wird. Alle nationalen
       Sehnsüchte, die man früher auf die Palästinenser bezogen hat, auf die PLO,
       die werden jetzt auf den Zionismus, in der Version des Likuds, projiziert. 
       
       Und der gesamte Pluralismus, den es in der real existierenden israelischen
       Gesellschaft gibt, wird ausgeblendet. Das hat mehr mit den Befindlichkeiten
       dieser Menschen zu tun und weniger mit dem real existierenden Staat Israel
       in all seiner Buntheit und Widersprüchlichkeit. 
       
       Das Interview führte [1][MARION BERGERMANN], taz.lab-Redakteurin
       
       30 Mar 2016
       
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 (DIR) Marion Bergermann
       
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